# taz.de -- Tagung in Jena zur Demokratieverachtung: Wie Diktaturen entstehen | |
> Bei einer Tagung in Jena suchen HistorikerInnen nach autoritären | |
> Dynamiken und Ähnlichkeiten zwischen der Weimarer Republik und heute. | |
Bild: Wenn Demokratie von denen repräsentiert wird, die über sie lachen, wird… | |
BERLIN taz | „Bonn ist nicht Weimar“, das konstatierte schon Mitte der 50er | |
Jahre Fritz René Allemann mit Blick auf die junge Bundesrepublik. Der | |
Schweizer Publizist wurde seitdem häufig zitiert – mal im Sinne einer | |
sachlichen Beschreibung, mal beschwörend gemeint. Könnte aber Berlin zu | |
Weimar werden? Seit Nationalismus und [1][Rechtspopulismus] [2][in | |
Europa] und den USA auf dem Vormarsch sind, richtet sich der Blick vermehrt | |
auf die Zwischenkriegszeit. Erinnern die Entwicklungen in den westlichen | |
Demokratien an jene der Weimarer Republik? Gibt es Ähnlichkeiten? Und | |
können Lehren für die Gegenwart gezogen werden? | |
„Demokratieverachtung“ lautete der Titel einer Tagung, zu der am | |
vergangenen Wochenende HistorikerInnen der Friedrich-Schiller-Universität | |
in Jena eingeladen hatten. Drei Tage lang diskutierten WissenschaftlerInnen | |
aus verschiedenen europäischen Ländern und den USA „autoritäre Dynamiken in | |
der Zwischenkriegszeit und in der Gegenwart“. Dabei gehe es nicht um | |
„überzeitliche Analogien oder Zwangsläufigkeiten“, sagte Joachim von | |
Puttkamer, Direktor des Imre-Kertesz-Kollegs, in seiner | |
Eröffnungsansprache. Doch die Lage sei ernst. Das Kolleg hat die Tagung | |
gemeinsam mit dem Jena-Center um den Historiker Norbert Frei organisiert. | |
Dass man keine klaren Parallelen zwischen den Entwicklungen in der | |
Zwischenkriegszeit und der Gegenwart ziehen kann, darin waren sich die | |
DiskutantInnen einig. Demokratie? Sei heute in Deutschland viel stabiler | |
als in der Weimarer Republik, deshalb sei die Situation nicht vergleichbar, | |
erklärte der Hitler-Biograf [3][Ian Kershaw] aus Manchester, der gerade den | |
zweiten Teil seiner europäischen Geschichte des 20. Jahrhundert beendet | |
hat. Die Mobilisierungsstrategien der rechten Bewegungen? Sehr | |
unterschiedlich, Gewalt sei damals, anders als heute, zentral gewesen, | |
erläuterte Sven Reichardt aus Konstanz am Beispiel der italienischen | |
Faschisten. Und während es in der Weimarer Republik an einer | |
kompromissbereiten Politik der Mitte gefehlt habe, gebe es heute in | |
Deutschland vielleicht zu viel davon, sagte Puttkamer. | |
Und doch tauchten immer wieder Ähnlichkeiten auf: die Lüge als Mittel der | |
Politik von Hitler und Trump zum Beispiel, Begriffe wie „Lügenpresse“ und | |
„Volksverräter“, die damals wie heute zur Diskreditierung von Medien und | |
Politik benutzt wurden, die Konstruktion eines Volkswillens oder eine | |
rassistisch überformte Sozialpolitik. | |
## „Krise des Liberalismus, nicht der Demokratie“ | |
Das waren viele offene Enden, die im Abschlusspanel unter der Überschrift | |
„Demokratie und Demokratur in der Gegenwart“ zusammengeführt werden | |
wollten. Doch schon die Begriffe führten zur Diskussion. „Verachtet wird | |
die liberale Form der Demokratie“, sagte Piotr Butras, | |
Politikwissenschaftler und Journalist aus Warschau. „Wir haben eine Krise | |
des Liberalismus und nicht der Demokratie.“ Der Rechtswissenschaftler | |
Dieter Grimm dagegen schlug vor, konkret zu werden und lieber zu benennen, | |
was Demokratie nicht sei. „Nicht demokratisch ist, dass sich eine Gruppe | |
mit dem Volk identifiziert und damit den demokratischen Prozess dahinter | |
abschneidet.“ Das komme der „Volksgemeinschaft“ schon sehr nahe, fügte d… | |
britische Historiker Kershaw hinzu. | |
Kershaw betonte, dass die Krise der Demokratie schon in der 70er Jahren mit | |
der Durchsetzung des Neoliberalismus begonnen habe – in Großbritannien mit | |
der Politik Margaret Thatchers. Überhaupt, so wurde aus dem Publikum | |
ergänzt, sei die Integrationskraft von Gewerkschaften und Sozialdemokratie | |
für den Zusammenhalt der Gesellschaft zentral gewesen. Den Brexit aber | |
führt Kershaw konkret auf kurzfristige Entwicklungen zurück: die | |
Bankenkrise 2008 und die starke Migration im Jahr 2015. | |
Butras dagegen, der stark die kulturellen Dimensionen der Krise betonte, | |
erläuterte, wie Jarosław Kaczyński von der polnischen PiS den | |
„Impossibilismus“ geschaffen habe, um ihn dann zu überwinden: Dazu gehören | |
jene demokratischen Institutionen wie etwa das Verfassungsgericht, die die | |
Umsetzung des Willens der gewählten Mehrheit blockieren können. Der | |
Legitimitätsverlust der politischen Parteien und auch des Kongresses, | |
führte die Hannoveraner Politikwissenschaftlerin Christiane Lemke mit Blick | |
auf die USA aus, sei das Kernproblem moderner Demokratien. | |
Am Ende blieb, dass die Begeisterung für diese neu entflammt werden müsse. | |
Und auch eine gewisse Ratlosigkeit darüber, wie das gelingen kann. Wie | |
solle man zum Beispiel im Fall von Siemens-Chef Joe Kaeser gegen | |
Elitenverachtung vorgehen, fragte der Jenenser Historiker Frei. Kaeser | |
hatte jüngst angekündigt, die Turbinenwerke in Görlitz und Leipzig | |
dichtzumachen, 1.000 Arbeitsplätze sind betroffen. Die Nachfrage sei zu | |
gering. Am Wochenende sagte Kaeser dann bei einem Dinner in Davos | |
US-Präsident Donald Trump zu, in den USA eine neue Generation von | |
Gasturbinen zu bauen. | |
29 Jan 2018 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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