| # taz.de -- Rechtspopulismus in Frankreich: Risiken einer Banalisierung | |
| > Die Medien in Frankreich haben das Phänomen „Front National“ lange | |
| > unterschätzt. Das ist heute anders – und Marine Le Pen geriert sich als | |
| > Opfer. | |
| Bild: Da waren sie noch ein Herz und eine Seele. Marine und Jean-Marie Le Pen. … | |
| Für die französischen Medien ist die Geschichte des rechtsextremen Front | |
| National (FN) eine Familiensaga mit endlosen Fortsetzungen. Einfach | |
| abschalten kann das Publikum nicht – und auch die JournalistInnen können | |
| dieses Phänomen nicht ignorieren. | |
| Ganz zu Beginn des Aufstiegs von Jean-Marie Le Pen war das noch möglich. | |
| Damals versuchte der alte Le Pen die politischen Fossile der bis dahin | |
| völlig zersplitterten Fraktionen der extremen Rechten im Front National zu | |
| vereinen: Alt- und Neofaschisten, Nostalgiker der Algérie française, | |
| Monarchisten und katholische Fundamentalisten. Die ersten Wahlergebnisse | |
| des FN waren so unbedeutend, dass die Medien sich nicht verpflichtet | |
| fühlten, über diese Entwicklungen am Rande der Politik zu berichten. | |
| Die Partei wurde in ihren Anfangsjahren, den frühen 1970ern, von vielen | |
| unterschätzt: Die Studentenrevolten der 68er hatten das Land politisch | |
| umgekrempelt. Für die meisten Franzosen waren es unvorstellbar, dass eine | |
| politische Strömung, die die Kollaboration mit den Nazis verherrlicht es | |
| schaffen würde, Wähler zu gewinnen. | |
| Das änderte sich in den 1980er Jahren, als die Fremdenfeindlichkeit im Land | |
| wuchs. Bei den Parlamentswahlen 1986 zog der FN mit Le Pen an der Spitze | |
| dank des Verhältniswahlrechts mit 35 Abgeordneten in die | |
| Nationalversammlung ein. Das war ein Schock und eine Herausforderung für | |
| die Medien, denen nun plötzlich bewusst wurde, wen sie da ignoriert hatten. | |
| ## Unverhohlen rassistisch und antisemitisch | |
| Mit geschmacklosen und zum Teil unverhohlen rassistischen und | |
| antisemitischen Äußerungen lieferte Jean-Marie Le Pen ihnen regelmäßig | |
| einen Anlass zu berichten, selbst wenn gerade keine Wahlen anstanden. Seine | |
| Absicht war es mit solchen Provokationen Tabus zu brechen und seinen | |
| ultrarechten Gesinnungsfreunden zu signalisieren, er könne die Grenzen des | |
| Sagbaren in die Richtung reaktionärer Ideologien und Vorurteile | |
| verschieben. | |
| Die Medien blieben oft sachlich und zitierten Le Pen wahrheitsgemäß. Noch | |
| gingen viele Kommentatoren davon aus, dass Le Pen sich mit seinen | |
| verunglimpfenden und hetzerischen Aussagen selbst schaden würde. Heute ist | |
| klar: Die Medien haben die zunehmende „Banalisierung“ der rechten | |
| Ressentiments damals unterschätzt. | |
| Das führte zu einer Strategieänderung. Dem alten Le Pen ließ die Presse | |
| schließlich keine verbale Entgleisung mehr durchgehen. Seine Tochter, die | |
| ehemalige Präsidentsschaftskandidatin Marine, sieht sich heute viel | |
| kritischeren Journalisten gegenüber. Damit haben die französischen Medien | |
| auch dazu beigetragen, dass der FN bis heute kein akzeptabler | |
| Bündnispartner ist. | |
| ## Als Rechtspopulismus verniedlicht | |
| Es gibt aber auch Stimmen, die französischen JournalistInnen vorwerfen, sie | |
| hätten das Phänomen FN überhaupt erst fabriziert, indem sie selbst mit | |
| kritischen Berichten dieser Randpartei eine öffentliche Bühne geboten | |
| hätten. Dieser Vorwurf übersieht allerdings, dass gerade die heute als | |
| Rechtspopulismus verniedlichte extreme Rechte ihre eigentliche Kraft nicht | |
| aus dem Medienüberbau schöpft, sondern aus den sozialen und | |
| wirtschaftlichen Problemen der französischen Gesellschaft. | |
| Der FN profitiert mehr von der Machtlosigkeit der Politik als vom | |
| Medienecho. Dem Argument mancher Le-Pen-SympathisantInnen, dass der FN, der | |
| nie die Regierungsverantwortung hatte, die einzig wahre Opposition zum | |
| „System“ sei, hatten die Parteien und Medien oft wenig entgegenzusetzen. | |
| Das gilt erst recht für die Linie von Marine Le Pen, seit dem sie ihren | |
| Vater entmachtet hat und selbst Parteivorsitzende wurde. Mit einigem | |
| Geschick versucht sie immer wieder, den FN als Opfer einer systematischen | |
| Verteufelung durch die Medien darzustellen. Sie profitiert dabei auch von | |
| Teilen der konservativen Wählerschaft, die mittlerweile viele extreme | |
| Ansichten der FN-Parteipropaganda teilt. Für JournalistInnen ist es dadurch | |
| schwieriger geworden, die rechtsextreme Demagogie zu entlarven. | |
| 31 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
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