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# taz.de -- Vor dem Parteitag des Front National: Radikal in der Defensive
> Marine Le Pen und ihr Front National verlieren in Frankreich an
> Bedeutung. Auf dem Parteitag am Wochenende soll ein neuer Name her.
Bild: Marine Le Pen vor blau-weiß-roten Flaggen: Beim Parteitag des FN geht es…
Paris taz | So richtig hat sich niemand für Marine Le Pen interessiert auf
der Landwirtschaftsmesse in Paris vor wenigen Tagen. Da konnte sie zwischen
prämierten Schweinen, Lämmern und Milchkühen noch so oft wiederholen, dass
sie – wie die meisten Produzenten im französischen Agrarsektor auch –
gegen die Freihandelsabkommen mit Kanada und Südamerika sei. Es schien den
meisten egal zu sein. Dabei hatte sie vor einem Jahr als
Präsidentschaftskandidatin noch Furore gemacht bei den Landwirten, die sich
über die Folgen der Globalisierung oder EU-Direktiven empörten.
Von einer Trikolore an einem Stand angezogen, schwärmt sie, wie sehr sie
sich unter den Landwirten „daheim“ fühle. Doch das stößt nicht unbedingt
auf Gegenliebe: „Sie reden aus Ihrer charmanten kleinen Villa zu den
Bauern, was aber wissen Sie vom Boden?“, fragt der Landwirt Philippe Nolot.
Und zu den Umstehenden und den Journalisten gewandt wettert er: „Sie ist
überall, wo es Probleme gibt, denn so kann sie ihre Suppe besser
verkaufen.“
Kinder und Erwachsene drängen sich für ein Selfie mit ihr vor. Vom Publikum
wird sie als Prominente wahrgenommen, eine, die man aus dem Fernsehen
kennt. Doch der Unterschied zu ihrem triumphalen Einmarsch in den „Salon de
l’Agriculture“ vor einem Jahr ist krass.
Marine Le Pen hat [1][ihre deutliche Niederlage gegen Emmanuel Macron im
zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen im Mai 2017] noch nicht
verkraftet. Viele ihrer Fans sind der Meinung, dass sie mit schuld daran
ist, dass der Front National bei der anschließenden Parlamentswahl
unerwartet schlecht abgeschnitten hat. Sie wurde zwar in ihrem
nordfranzösischen Wahlkreis in Hénin-Beaumont in die Nationalversammlung
gewählt, seither aber ist es still um sie. Als Sprecherin einer radikalen
rechten Opposition gegen Macrons Regierung hat sie, anders als viele
erwartet haben, keinen Erfolg.
Das Erstarken rechtsextremer und rechtspopulistischer Anti-EU-Bewegungen
müsste sie optimistisch stimmen. Doch Marine Le Pen macht seit Wochen
irgendwie einen lustlosen und fast deprimierten Eindruck bei ihren
Auftritten in den Medien. Die Tiraden der sonst so schlagfertigen
Politikerin wirken auswendig gelernt und aufgewärmt.
## Glaubt Marine Le Pen nicht mehr an sich?
Vor dem Parteitag, der an diesem Wochenende stattfindet, hat sie eine „Tour
de France“ durch die Provinz unternommen – auch da fehlte ihren Parolen
gegen die unkontrollierte Einwanderung, die „Islamisierung“ und die
Leugnung der nationalen Identität der aggressive Eifer.
Glaubt die Parteichefin des Front National selber nicht mehr an sich und
ihre Ambitionen? Der Regionalsender France 3 fragte sie danach, Le Pen
dementierte diesen Eindruck. Sie habe immer noch Lust, auch wolle sie
weiter gegen die Anfechtungen von allen Seiten ankämpfen: Gegen sie und
ihre Partei wird wegen Unterschlagung von EU-Geldern und wegen mutmaßlichen
Steuerdelikten ermittelt; die Banken haben sie boykottiert und wollten ihr
für die Wahlkampagne im letzten Jahr keinen Kredit gewähren – was sie
gezwungen hat, ausgerechnet bei ihrem Vater Geld zu pumpen.
[2][Sie sieht sich, wie immer, als Opfer des Systems.] „Ich bin noch da,
ich werde weiterkämpfen, was immer ihr auch gegen mich vorbringt und welche
Angriffe ihr gegen mich plant. Denn ich kämpfe nicht für mich, sondern für
die Franzosen, ich kämpfe für Frankreich, seine Freiheit, seinen Wohlstand
und seine Sicherheit.“ Auch das ist Teil einer zu oft gehörten Leier der
FN-Chefin.
Neu ist, dass sie erwägt, die Führung der Partei abzugeben. Zwar ist sie
beim Parteitag in Lille die einzige Kandidatin für den Posten als
Präsidentin des FN, doch die bald 50-Jährige möchte das nicht ihr ganzes
Leben lang bleiben: „Ich werde mich nicht bis ins hohe Alter an meinen
Sessel klammern“, sagte sie in Anspielung auf ihren Vater, Jean-Marie Le
Pen. Der hatte ihr 2011, 30 Jahre, nachdem er die Partei gegründet hatte,
den Parteivorsitz übertragen – als 82-Jähriger.
„Der FN hat Jean-Marie Le Pen überlebt, er wird auch Marine Le Pen
überdauern“, sagt sie und denkt dabei bereits an die nächste
Präsidentschaftswahl: „Wenn jemand besser in der Lage ist, unsere Anhänger
zu versammeln und unsere Ideen siegen zu lassen, dann ist das kein Problem
für mich.“
## Ultrakonservativ und streng katholisch
Denkt sie dabei an ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen? [3][Die hatte sich
2017 nach fünf Jahren als FN-Abgeordnete offiziell aus der Politik
verabschiedet], hält sich jetzt aber bereit für ein Comeback. Marine Le Pen
und Marion Maréchal-Le Pen sind unterschiedlicher Meinung, was Themen wie
Abtreibung und die Ehe für alle angeht. Die Tante ist da fast liberal, die
Nichte ultrakonservativ und streng katholisch. Uneinig sind die beiden sich
aber auch in strategischen Fragen.
Im Februar trat Marion Maréchal-Le Pen vor Ultrakonservativen in Washington
auf. Die 28-Jährige, die in Frankreich enge Kontakte sowohl zu
rechtsradikalen wie konservativen Kreisen unterhält, will einen Fuß in der
Politik behalten. Sie bekam viel Applaus für ihre Bemerkung, Donald Trumps
„America first“ sei eine Version des traditionellen rechtsextremen Slogans
„Les Français d’abord“ – „die Franzosen zuerst“.
83 Prozent der FN-Sympathisanten möchten laut einer Umfrage, dass Marion
Maréchal-Le Pen in die Politik zurückkehrt. Das macht sie zu einer Rivalin
für Marine Le Pen. Die dürfte erleichtert sein, dass ihre intern so
populäre Nichte nicht zum Parteitag erscheint und ihr dort die Show stiehlt
– offiziell hält die sich noch zurück.
Die Reihen um die Parteichefin haben sich gelichtet. [4][Marine Le Pen hat
ihren bisherigen Chefstrategen und engsten Vertrauten, Florian Philippot,
entlassen und aus der Partei geworfen.] Sie warf ihm mangelnde
Führungsqualitäten vor. In Wirklichkeit macht sie ihn für die verpatzte
Wahlkampagne und vor allem für ihren eigenen katastrophalen Auftritt im
Fernseh-Duell gegen Emmanuel Macron verantwortlich. In dieser Debatte vor
dem Wahlfinale wirkte Marine Le Pen überaus aggressiv, schlecht vorbereitet
und inkompetent.
[5][Nun hat Philippot mit einer Schar von Sympathisanten eine politische
Bewegung gegründet, „Les Patriotes“.] Deren Hauptforderung ist ein
„Frexit“, eine Abstimmung über einen Austritt Frankreichs aus der EU und
dem Euro. Bislang sind diese unheimlichen Patrioten für den FN mehr ein
Störfaktor als eine Konkurrenz.
## Kritik von innen und von außen
[6][Auch mit ihrem Vater hat Marine Le Pen sich überworfen.] Die beiden
sprechen nicht mehr miteinander. Sie hat ihn 2015 wegen seiner Äußerungen
zum Holocaust aus dem Front National ausschließen lassen. Beim Parteitag in
Lille soll er nun auch noch seine Ehrenpräsidentschaft verlieren.
Er schmollt und hat angekündigt, dass er nicht nach Lille fahren werde, wo
ihm die Parteichefin den Zutritt ohnehin verweigern wollte. Er hat seine im
FN verbliebenen Anhänger aufgefordert, es ihm gleichzutun, um nicht zu
„Komplizen der Ermordung“ seiner Partei durch seine Tochter zu werden.
Stattdessen signiert er in Paris den gerade erschienenen ersten Teil seiner
zweibändigen Memoiren. Über seine Tochter sagt er abfällig, sie sei
„mitleiderregend“.
Die Kritik von innen und von außen kann sich auf eine detaillierte Umfrage
stützen, die belegt, dass die Bemühungen zur „Entdiabolisierung“ des
rechtsextremen Front National letztlich nicht gefruchtet haben. In der
öffentlichen Meinung stehen die Partei und deren Chefin wieder auf dem
Niveau von 2011, als sie den Versuch starteten, den Front National als
demokratisch, salonfähig und somit bündnistauglich zu verkaufen.
Zunächst hat das teilweise funktioniert. Heute indes sind wieder 56 Prozent
der Befragten der Ansicht, der Front National stelle eine Gefahr für die
Demokratie dar. Und der Anteil der Leute, die angeben, sie seien mit den
Ideen des Front National einverstanden, ist von 33 Prozent auf 24 gesunken.
Noch drastischer ist der Absturz der Parteichefin in allen Kategorien: Bei
der Frage, ob Marine Le Pen neue Lösungen für Frankreichs Probleme bringe,
fiel der Anteil der Zustimmenden von 49 auf 30 Prozent.
Marine Le Pen ist in der Defensive. Sie will darum bei diesem Parteitag
Wandel signalisieren. Mittel dazu soll eine Namensänderung sein: Die vom
Vater geerbte Bezeichnung „Front“ findet die Tochter längst zu militärisch
und extremistisch – das schreckt mögliche Bündnispartner ab. Ob ein neues
Etikett die rechtsextreme Partei aus ihrer Isolation herausholt?
9 Mar 2018
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## AUTOREN
Rudolf Balmer
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