| # taz.de -- Die Chancen der 28-Stunden-Woche: Weniger arbeiten, mehr leben | |
| > Die 28-Stunden-Woche ist nicht nur die richtige Antwort auf die | |
| > Digitalisierung. Sie gibt den Menschen auch mehr Souveränität – und Zeit. | |
| Bild: Die Roboter kriegen das schon ganz gut alleine hin (Archivbild) | |
| Die [1][IGM hat ihre Forderung nach der 28-Stunden-Woche weitgehend | |
| durchgesetzt]. Die Arbeitszeitverkürzung ist zwar auf zwei Jahre befristet | |
| und soll für Kinderbetreuung, Pflege und durch Schichtarbeit besonders | |
| belastete Beschäftigte gelten. Auch der Lohnausgleich lässt zu wünschen | |
| übrig. Dennoch wurde in vieler Hinsicht gegen die Unternehmen und die | |
| Unions-Parteien ein Sieg errungen: Zum ersten Mal nach 30 Jahren ist die | |
| Arbeitszeit wieder Teil der Tarifverhandlungen geworden. | |
| Die tabuisierende Behauptung, die Arbeitszeitverkürzung sei das Dümmste, | |
| was man sich vorstellen kann, wie einst Helmut Kohl gesagt hat, bekommt mit | |
| diesem Sieg tiefe Risse. Und schließlich veranlasst dieser kleine Schritt | |
| eine breite gesellschaftliche Debatte über die flächendeckende Einführung | |
| der 28-Stunden-Woche für alle Berufsgruppen bei vollem Lohn- und | |
| Personalausgleich. | |
| Diese Perspektive würde nicht nur für das vom Metallgesamtverband | |
| aufgeworfene Diskriminierungsproblem die richtige Lösung liefern; sie trägt | |
| auch der Tatsache Rechnung, dass neue Jobs für die über 6 Millionen | |
| Menschen, die entweder seit Jahren arbeitslos sind oder von Teilzeit auf | |
| Vollzeit wollen, entstehen. Die von Merkel, Seehofer, Lindner und Co. | |
| propagandistisch behauptete „Beinahe-Vollbeschäftigung“ käme in die | |
| Realitätsnähe. | |
| Vollbeschäftigung kann erreicht werden, wenn die Verkürzung der Arbeitszeit | |
| an den vollen Personalausgleich gekoppelt würde. Sonst liefe man Gefahr, | |
| dass die Arbeitsbelastung für die Beschäftigten ansteigt. Dies zeigen die | |
| Erfahrungen bei der Einführung der 35-Stunden-Woche im Metallbereich: Durch | |
| mangelnden Personalausgleich sind seinerzeit bei den Beschäftigten Kraft | |
| und Interesse verloren gegangen, sich für weitere Arbeitszeitverkürzung | |
| einzusetzen. | |
| ## Das größte Modernisierungsprojekt | |
| 28 Stunden oder eine 4-Tage-Woche ist nach übereinstimmender Auffassung | |
| zahlreicher Sozialwissenschaftler, Ökonomen und darüber hinaus auch | |
| Zukunfts- und Nachhaltigkeitsforscher das größte gesellschaftliche | |
| Modernisierungsprojekt im 21. Jahrhundert und die einzig richtige Antwort | |
| auf die umfassende Digitalisierung, die mit Sicherheit in allen Bereichen | |
| zu neuen Wellen von Massenentlassungen führen wird. | |
| Dieses Projekt ist machbar, finanzierbar und zugleich der Schlüssel für die | |
| Bewältigung vieler sozialer und ökonomischer Fehlentwicklungen, die der | |
| Neoliberalismus in den letzten vier Dekaden in allen kapitalistischen | |
| Staaten hervorgerufen hat: sinkende Löhne, unsichere Arbeitsverhältnisse | |
| etwa durch die sachlich nicht begründete Befristung der Arbeitsverträge, | |
| die nur den Sinn haben, alle Beschäftigten in Angst und Schrecken um ihre | |
| Zukunft zu halten und um die Menschen für die Bedürfnisse der Wirtschaft | |
| gefügig zu machen, wie die neoliberalen Propheten à la Hayek unter dem | |
| neutralen Begriff „Flexibilisierung“ gefordert hatten. | |
| Der Zwang zur Unterwerfung ist auch die Hauptursache für 1,9 Milliarden | |
| Überstunden in Deutschland im Jahr 2017, davon circa 0,9 Milliarden ohne | |
| Bezahlung. In diese Kategorie gehören auch die rund 800.000 Leiharbeiter, | |
| die ohne einen sachlichen Grund unter diskriminierenden Bedingungen mit 30 | |
| Prozent weniger Lohn für die gleiche Arbeit beschäftigt und nicht in | |
| Normalarbeitsverhältnisse übernommen werden. | |
| Alle diese skandalösen Zumutungen würden bei der 28-Stunden-Woche und bei | |
| Vollbeschäftigung, wenn man so will, mit einem Schlag verschwinden. Die SPD | |
| würde für die selbst unter Schröder/Fischer herbeigeführte Beseitigung | |
| aller dieser sozialen Rückschritte wohl Jahrzehnte benötigen, um sie in | |
| Koalitionsverhandlungen mit den Unionsparteien zu erbetteln. | |
| Die radikale Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich ist auch | |
| finanzierbar, weil die Unternehmer nachweislich durch überschüssige Gewinne | |
| in Geld schwimmen. Durch die Rückführung der Gewinnüberschüsse in die | |
| Realwirtschaft würde nicht nur die Binnenkaufkraft steigen, sondern auch | |
| dem Finanzsektor ein wichtiger Pfeiler entzogen und dessen unproduktive | |
| Krisen kreierendes Treiben eingedämmt werden. | |
| ## Zeitsouveränität | |
| Die durch die 28-Stunden-Woche gewonnene „Zeitsouveränität“ der arbeitend… | |
| Menschen als Arbeiter in den Produktionsbetrieben oder als Angestellte in | |
| den Dienstleistungseinheiten, im öffentlichen Dienst wie im Privatsektor | |
| wäre dann die Grundlage eines sozial und ökologischen Wandels einer | |
| modernen, weil zukunftsfähigen Gesellschaft. Väter und Mütter hätten mehr | |
| Zeit, um sich gleichberechtigt um die Kindererziehung zu kümmern, die | |
| Pflege der Eltern und Sorgearbeit geriete in den Bereich des Möglichen, | |
| mehr Sport und vorbeugende Gesundheitspflege, mehr Weiterbildung und vor | |
| allem Teilhabe an politischer Basisarbeit und Vertiefung der Demokratie, | |
| dies sind unschätzbaren Möglichkeiten für den Aufbau einer modernen | |
| Gesellschaft. | |
| Um sich nunmehr auch vorstellbar zu machen, welche neue Möglichkeiten für | |
| den ökologischen Umbau in der Perspektive der radikalen | |
| Arbeitszeitverkürzung stecken, skizziere ich folgendes Zukunftsszenario: | |
| Hunderttausende Berliner Familien finden Gefallen an der Idee, im Berliner | |
| Umland für die Eigenproduktion von wirklich lokalen Grundnahrungsmitteln | |
| Agrarland zu erwerben Sie könnten darauf auch ein kleines Wochenendhaus | |
| errichten und für ganze drei Tage, bei einer 20-Stunden-Woche sogar vier | |
| Tage, aufs Land ziehen und sich – neben ökologisch landwirtschaftlicher | |
| Arbeit für die eigenen Nahrungsmittel – dort durch Fahrradfahren oder | |
| andere Freizeitaktivitäten erholen. | |
| Es entstehen ökolandwirtschaftliche Siedlungen mit allen | |
| Freizeitmöglichkeiten für Kinder und Erwachsene, für gemeinsames Feiern und | |
| vieles mehr. Was für eine wunderbare neue Möglichkeit der Regionalisierung | |
| und Dezentralisierung der Landwirtschaft, welch eine kostengünstige | |
| Entlastung in Berlin für den Verkehr, für Schadstoffentwicklung etc. | |
| 7 Feb 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mohssen Massarrat | |
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