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# taz.de -- Teilzeitarbeit und Rollenverständnis: Einfach ein bisschen weniger
> Dieser Text ist zum Teil mit dem Kind auf dem Schoß entstanden. Unsere
> Autorin fragt sich: Wie könnten sich alle, die das wollen, Teilzeit
> leisten?
Bild: Wer hat bloß an ihr gedreht: Modell der historischen Uhr am Schloss Wolf…
Ich habe nahezu immer Teilzeit gearbeitet, ohne darin ein Thema zu sehen,
über das ich hätte nachdenken müssen. Bevor ich Kinder hatte, tat ich es um
der Schönheit eines freien Tages willen, an dem ich Trompete spielte oder
lange im Café saß. Da ich bei der taz ohnehin sehr überschaubar verdiene,
hatte ich nicht das Gefühl, dass mich der eine Arbeitstag mehr aus dem
Bankrott führen würde.
Mein eigenes Interesse an Teilzeitarbeit als Frage, auch als Problem kam
auf, als ich nach meiner zweiten Elternzeit wieder in die Redaktion
zurückkehrte. Die Texte, die ich schreiben möchte, stemme ich in meiner
Arbeitszeit nicht, sie erfordern Zeit, um mit Leuten zu sprechen, Zeit zu
schreiben.
Ich bin älter geworden, vielleicht stecke ich die schlechten Nächte
schlechter weg, vielleicht sind wir in der Redaktion personell noch ein
Stück schlechter aufgestellt. Vielleicht bin ich mit der Frage ohnehin
Sprachrohr jenes fragwürdigen Machbarkeitsdiskurses, der uns fortwährendes
Gelingen, Erdbeeren im Winter und ewiges Leben verspricht.
Im Augenblick denken viele über Arbeitszeit nach, die Politik tut es, die
Gewerkschaften und die Unternehmen. Die Frage, ob sich Arbeitszeit
reduzieren lässt, taucht überall auf. Aber weder Exfamilienministerin
Manuela Schwesig konnte sich mit einer finanziell abgefederten
Familienarbeitszeit von 26 bis 36 Stunden durchsetzen, noch
Exarbeitsministerin Andrea Nahles mit einem Rechtsanspruch auf Rückkehr von
Teil- auf Vollzeitarbeit. Die IG-Metall hat gerade, und das war ein
Meilenstein, erreicht, dass Vollzeitkräfte ihre Arbeitszeit zeitweise
verkürzen dürfen – während die Arbeitgeber die Flexibilisierung nach oben
durchgesetzt haben.
Teilzeitarbeit erscheint als große Umverteilungsutopie: Für die Männer
etwas weniger Arbeit, Frauen etwas mehr, Führungskräfte weniger – und dann
klafft eine Lücke, weil die Aldi-Kassiererin, die aufstocken will, damit
das Geld reicht, in der Regel nicht auftaucht. Die ProtagonistInnen der
neuen Arbeitswelt scheinen vor allem hippe AkademikerInnen zu sein. Ich
frage mich, ob da Sonntagsreden gehalten werden: ähnlich unüberzeugend wie
die zur Besserbezahlung der sozialen Berufe, die immer gefordert, aber nie
durchgesetzt wird, oder zu einer Energiewende, bei der niemand Strom sparen
muss, weil der ja irgendwie grün sein wird. Umverteilung und Abstriche: Das
war noch nie populär. Ich frage mich angesichts der beeindruckenden Statik
der Arbeitszeitverteilung – Väter gleich Vollzeit, Mütter gleich Teilzeit �…
wer da eigentlich eine Veränderung will, und ich frage mich, ob sie zu
haben ist, ohne dass man einen Preis dafür zu zahlen hat.
Sicher bin ich, dass ich den Geht-doch-alles-Duktus in der Debatte immer
schlechter vertrage, dass mir die von beiden Geschlechtern gleichermaßen
paternalistisch vorgebrachten Dogmen, wie Frauen, Männer, Mütter, Väter zu
arbeiten haben, sauer aufstoßen, egal in welche Richtung sie gehen. Es ist
erstaunlich, wie inakzeptabel da alle Arbeits- und Lebensentwürfe scheinen,
die nicht die eigenen sind, wie sich die Welt verengt in Muttis und
Karriereknicks einerseits und Rabenmütter andererseits – und jetzt
klingt es schon wie ein Frauenthema, obwohl es keines ist.
Als ich mit einem Kollegen darüber sprach, wie bevormundend ich den
Mach-gefälligst-Karriere-Diskurs empfinde, erinnerte er mich daran, dass
das Recht zu arbeiten doch eine zentrale Errungenschaft der Emanzipation
sei. Keine Frage. Aber die Emanzipation hat auch eine Unibildung im
Schlepptau, die mich gelehrt hat, cui bono? – wem nutzt es? – zu fragen.
Geht es um meine Autonomie oder darum, mich als Verschiebemasse auf dem
Arbeitsmarkt zu nutzen? „Mach dich passend, es ist zu deinem Besten“, tost
es, „wir liefern die 24-Stunden-Kitas dazu.“ „Lass deine Arbeitskraft nic…
liegen, mach etwas aus deinem Humankapital“, raunt man mir zu, als sei ich
eine Mensch gewordene Anlageoption.
Ich sollte noch vorausschicken, dass ich selbst in einer exklusiven Nische
lebe, was mein Arbeitsleben anbelangt. Mein Partner ist Teil eines
Bioladenkollektivs, er hat gerade seine Arbeitszeit dort auf 24 Stunden
reduziert, weil er nebenbei als freier Autor arbeiten will. Wir verbringen
gleich viel Zeit mit den Kindern, und wir arbeiten auch gleich viel. Wenn
ich die Statistiken über Teilzeit lese, erkenne ich, dass wir hochexotisch
sind; die Paare, die egalitär Teilzeit arbeiten, sind nahezu nicht
vorhanden.
Tatsächlich ändert sich gesamtgesellschaftlich trotz aller Verheißungen
herzlich wenig. Die Quote der Frauen, die Teilzeit arbeiten, liegt seit
zehn Jahren bei rund 46 Prozent, die überwiegende Mehrheit sind Mütter. Bei
den Männern ist der Anteil der Teilzeitarbeitenden auf 10 Prozent
gestiegen. Das klingt viel, aber der Grund dafür ist selten der Wunsch,
jemanden zu pflegen, Zeit für seine Kinder oder sich selbst zu haben. Oft
sind es Stellen, die nur in Teilzeit angeboten werden, oder es gibt
gesundheitliche Gründe für die Reduzierung. In Befragungen wünschen sich
die meisten Arbeitnehmerinnen zwischen 28 und 32 Arbeitsstunden, aber kaum
jemand arbeitet so. Die deutliche Mehrheit, etwa zwei Drittel der Familien,
lebt ein modernisiertes männliches Ernährermodell mit den Frauen als
Hinzuverdienerinnen.
Das ist der Stand der Dinge, aber er muss nicht so bleiben. Das zumindest
glaubt Christina Klenner, sie arbeitet bei der Böckler-Stiftung und forscht
zu Teilzeit. Sie hat Menschen durch alle Schichten nach ihren Wünschen zur
Arbeitszeit befragt: Die meisten haben ein Unbehagen daran, so viel zu
arbeiten. Sie leben nicht so, wie sie es sich einmal vorgestellt haben, und
haben die Fantasie, es könnte anders sein. „Aber es ist nicht so weit, dass
es praktisch wird“, sagt Klenner. Um so hilfreicher findet sie es, wenn
andere vorangehen, wenn Betriebe ihren Mitarbeiter-Innen die Wahl lassen
zwischen mehr Urlaubstagen oder mehr Geld. Der Nationalökonom Max Weber sah
die Arbeiter zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch selbstverständlich früher
nach Hause gehen, statt mehr Lohn einzustreichen. Weber glaubte, es brauche
einen „Erziehungsprozess“, um die Arbeiter zu funktionierenden Gliedern des
Kapitalismus zu formen, denen Geld kostbarer ist als Zeit.
## Männer in Teilzeit
Derzeit stellt sich für viele die Frage erst gar nicht: Teilzeitarbeit ist
für die meisten nicht auskömmlich – und sie ist weiblich. „Ein Teilzeit
arbeitender Mann verhält sich wie eine Frau“, sagt Christina Klenner. Es
ist diese Formulierung, die mir die Dramatik des Themas Teilzeitarbeit
klarmacht: Ein teilzeitarbeitender Mann ist ein Mann, der die männliche
Arbeitsnorm verlässt, ein Sekretär, eine männliche Hebamme. Er verletzt
nicht nur die Erwartung der meisten Männer, sondern auch der meisten
Frauen. Der Soziologe Rainer Trinczek hat in einer Studie Anfang der 1990er
Jahre Zeitpioniere befragt, Männer, die damals Teilzeit arbeiteten. Sie
wurden von ihren Kollegen derart angefeindet, dass sie entweder so viel
arbeiteten wie zuvor auf ihrer Vollzeitstelle oder aber behaupteten, sie
hätten noch einen Zweitjob.
Christoph Abendroth (Name geändert) ist Assistenzarzt in einer Großstadt,
ginge es nach ihm, wäre er einer jener Männer, die sich wie eine Frau
verhalten, aber es geht nicht nach ihm. Der 30-Jährige hat zweimal
versucht, Teilzeit zu arbeiten, und es hat ihn jedes Mal die Stelle
gekostet.
Das erste Mal hatte er bereits eine Zusage, aber als er fragte, ob er auch
Teilzeit arbeiten könnte, zog man das Angebot zurück. Das zweite Mal fragte
Abendroth kurz vor Ende der Probezeit, ob er Elternzeit für die
Kita-Eingewöhnung seines Sohns nehmen könne, danach wollte er auf 75
Prozent reduzieren. Bald darauf kündigte ihm die Klinik ohne Begründung.
Als Abendroth fragte, ob der Grund für die Kündigung sein Teilzeitwunsch
gewesen sei, stritt sein Chef das ab. Nein, es habe viele Gründe gegeben,
aber welche das waren, wurde nicht klar, zumal die Oberärzte durchweg
zufrieden mit seiner Arbeit waren.
Der Personaloberarzt hat Abendroth zum Abschied noch einen kleinen Vortrag
gehalten: Der Arztberuf erfordere Einsatz wie kein anderer, er selbst habe
sechs Wochen am Stück gearbeitet. Für Abendroth ist das einer der Gründe,
warum sich nichts ändert: Dazu müsste die Generation, die jetzt bestimmt,
das eigene Leben infrage stellen. „Er verteidigt ein Lebensmodell, unter
dem er selbst gelitten hat“, sagt Abendroth.
Das ist natürlich Mutmaßung. Und die Debatte über Arbeitsmodelle und die
Erfüllung, die sie mit sich bringen, ist voll solcher Zuschreibungen.
Manche sind statistisch unterlegt. Eine Studie des Roman-Herzog-Instituts,
die die Zufriedenheit von Männern und Frauen mit Familie und Beruf
untersucht, kommt zu dem Schluss, dass Frauen in einer egalitären
Vollzeit-Vollzeit-Beziehung nicht zufriedener sind als solche in
traditionellen Strukturen, in denen sie Teilzeit oder geringfügig arbeiten.
Und dass Mütter im egalitären Modell weniger zufrieden sind als solche, die
im traditionellen leben. Die Autorinnen führen das auf die Doppelbelastung
durch Familie und Beruf zurück. So dass die Unzufriedenheit also eine zu
behebende ist, so wie die Zufriedenheit der kaum berufstätigen Frauen mit
ihrer weiblichen Sozialisation erklärt wird.
Es hat einen Hauch davon, als beschreibe man die Domestizierung vom Wolf
zum Chihuahua, einen häuslichen Charakter, dessen Grundlage eine gewisse
Lebensuntüchtigkeit ist. Aber vielleicht höre ich mich da nur selbst. Ich
wundere mich, warum diese Frauen nicht auf den Tisch hauen, warum sie ohne
Not einknicken, warum sie nicht alles zugleich wollen wie ich, eine
authentische Vertreterin der unzufriedenen Egalitären aus der Studie des
Herzog-Instituts. Und ich frage mich, mit welchem Blick die SoziologInnen
in 50 Jahren auf mein Rennen zwischen Familie und Beruf sehen werden. Und
welche Beschränkungen sie in meiner Sozialisation feststellen werden.
Der Arzt Christoph Abendroth arbeitet jetzt 100 Prozent, seine Freundin 60.
Als klar wurde, dass er als Teilzeitkraft seine Facharztausbildung nicht
würde beenden können, hat seine Freundin um 20 Prozent reduziert. Unter
Abendroths Kollegen arbeitet niemand Teilzeit, nur ein paar Ärztinnen tun
das, und die haben ihre Kinder sicherheitshalber erst nach Ende der
Facharztausbildung bekommen.
Aber sie sind eine Minderheit, und das System ist an der Mehrheit
orientiert. Der Dienstplan ist an Vollzeitstellen ausgerichtet, und
Abendroth macht sich keine Illusionen über die Bereitschaft, das für einen
Einzelfall wie ihn zu ändern. „Ich bin beim Schach der Bauer“, sagt er.
Abendroth kennt kleine Kliniken etwa am Stadtrand von Berlin, die
75-Prozent-Stellen für alle anbieten. Die Bahn schmückt sich zum Vatertag
2017 mit einem Teilzeitangebot für Führungskräfte, „familienfreundlicher
Arbeitgeber“ will sie sein. 50 Prozent der Programmteilnehmer, sagt eine
Bahn-Sprecherin, arbeiten dabei 30 oder mehr Stunden, die andere Hälfte 10
bis 30 Stunden. Ob das einen Kulturwandel zeigt? „Das wage ich nicht zu
beurteilen“, sagt die Bahnfrau. Sicher ist: Teilzeit lässt sich vielerorts
organisieren. Aber dort wo Christoph Abendroth arbeitet, muss man nicht um
Personal werben. Teilzeit arbeiten zu können, ist auch eine Frage des
eigenen Marktwerts. Und deshalb hört man Geschichten wie seine auch aus dem
öffentlichen Dienst, von Menschen etwa, die sich um bedürftige Eltern oder
Geschwister kümmern wollen und es kaum können, weil sich ihr Arbeitgeber
quer stellt.
## Die Chefin nicht begeistert
In zwei Tagen endet Abendroths Probezeit. Vorher wird er das Wort
Reduzierung nicht in den Mund nehmen. Im Sommer erwarten er und seine
Freundin das zweite Kind, nach der Elternzeit will er Teilzeit arbeiten.
Die Frage für ihn wird dann weniger sein, ob er einen Rechtsanspruch darauf
hat, sondern ob seine Ausbildung darunter leidet. „Meine Chefin wird nicht
begeistert sein“, sagt Abendroth. Wenn er Pech hat, wird sie es so wenig
sein, dass er in einen Bereich kommt, in dem er nichts lernt. „Ich bin
gespannt, was ich in zwei Jahren erzähle“, sagt er zum Abschied.
Bei einem Telefonat für diesen Text liegt meine kranke Tochter schlafend
auf mir. Ich überlege, ob ich sie wecken soll, um mitschreiben zu können,
und entscheide mich dagegen. Ich in meiner Blase bin privilegiert: Wenn ich
mich in eine langwierige Recherche über Teilzeitarbeit werfen will, kann
ich das tun. Ich muss nur sehen, wann es geht. Es geht ziemlich oft abends
zwischen acht und zehn. Die einzige Instanz, die ich dafür beschuldigen
kann, bin ich selbst. Ich könnte ja meine Arbeitszeit aufstocken – aber ich
tue es nicht, weil ich nicht bereit bin, weniger Zeit mit meinen Kindern zu
verbringen.
Teilzeitkräfte, so zeigen es Untersuchungen der Krankenkassen, sind im
Schnitt zufriedener als Vollzeitkräfte. Warum, frage ich Christina Klenner
von der Böckler-Stiftung. Warum in all dem Dauerlauf zwischen Kita und
Büro? Warum, wenn andere Studien belegen, dass die Gesamtarbeitszeit der
weiblichen Teilzeitkräfte länger ist als die der männlichen Vollzeitkräfte,
weil die Haushaltsarbeit weitgehend an ihnen hängen bleibt? Da bleibe ein
Fragezeichen, sagt Klenner. Was sie als Erklärung anbietet: den klaren
Arbeitsschluss zumindest für jene Teilzeitkräfte, deren Arbeit mehr in
Stunden als in Ergebnissen gewertet wird. Und eine Zufriedenheit damit, der
– traditionellen – Rolle gerecht zu werden.
Ich fand es geschickt organisiert, meine nächste Gesprächspartnerin nach
einem Familientreffen bei meinen Eltern im Rheinland zu treffen. Frauke
Bernds ist ein Anschauungsbeispiel für eine zufriedene Vollzeitkraft und
eine Herausforderung für die, die glauben, dass nahezu jede Arbeit auch in
Teilzeit zu leisten ist. Sie ist verantwortlich für das Konzertprogramm der
Kölner Philharmonie, und die Fahrt zu ihr dauert so nur eine halbe Stunde,
statt viereinhalb von Hamburg aus. Die Idee war, dass mein Freund mit den
Kindern zurückreisen würde, aber er wurde krank, und so fuhr ich mit den
Kindern zum Interview. Das war der Kollateralschaden eines Projekts, das
nicht in meine Normarbeitszeit passt, es war zugleich eine kostbare
Erfahrung für mich, weil die Fünfjährige auf dem Boden liegend malte,
während die Zweijährige auf meinem Schoß saß. Es war nicht ideal, aber das
Interview ließ sich führen, und es war auf ulkige Art eine Antwort auf
meine Frage, wie Zeit zu finden ist. Ich war sonderbar stolz, was
irrational ist, aber es schien mir, als hätten wir der gegenwärtigen
Unverträglichkeit von Arbeits- und Familienwelt gemeinsam die Stirn
geboten.
In Frauke Bernds’ Büro hängt eine Postkarte: „Willst du dies noch einmal
und unzählige Male?“, daneben ein Foto ihres zweijährigen Sohns. In einer
gläsernen Vase liegen abgerissene Konzertkarten, neulich hat sie sie
gezählt, 108 sind es, 108 Konzertbesuche in einem Jahr, 108 abendliche
Arbeitstermine. „Die Herausforderung, beides unter einen Hut zu bringen,
geht nicht ohne einen Partner, der den Willen und die Möglichkeit hat,
mitzuziehen“, sagt Bernds, die freundlich und klar in einem ist. Ihr Mann
ist Anwalt und arbeitet Vollzeit, aber mit flexiblen Zeiten.
Sie hat die Stelle mit Kind angetreten, eine Vollzeitstelle, die nicht
anders zu haben war, das hat der Intendant ihr frühzeitig gesagt.
„Vielleicht mache ich mir da Feinde“, sagt Bernds, „aber bei uns würde i…
denken, dass die leitenden Funktionen nur so zu machen sind.“ Um dann
hinterherzuschieben: „Vielleicht kann man für jeden ein Modell finden.“
Aber sie ist auch gar nicht auf den Gedanken gekommen, es anders zu wollen.
Zwischen der Zeit im Büro und den Abenden im Konzert kann sie ziemlich
regelmäßig zwei, drei Stunden am Nachmittag mit Mann und Kind verbringen –
„wer hat das sonst schon?“
Das Erfrischende ist, dass Frauke Bernds kaum von Sachzwängen und viel von
eigenen Entscheidungen spricht: „Wenn man im Kulturbetrieb arbeitet, ist es
ja nicht nur Broterwerb, es ist Passion“, sagt sie, und da jegliches Pathos
dabei fehlt, nimmt man es ihr sofort ab. Passionen sind anstrengend. Frauke
Bernds ist schmal geworden in den letzten Jahren, und Zeit für sich allein
hat sie kaum. Und trotzdem ist sie dankbar: „Ich bin privilegiert“.
Ich bin keine Führungskraft, will auch keine sein. Was mich grämt, ist die
Frage, wie ich Texte jenseits des Tagesgeschäfts schreiben kann. Ich sehe
die Möglichkeiten der Komprimierung, die man den Teilzeitkräften nachsagt,
aber ich sehe auch ihre Grenzen. Ein Text, den man noch einmal liest, bevor
man ihn abgibt, hat gute Chancen, ein besserer Text zu werden. Keinem Text
schadet eine zusätzliche Stunde Recherche oder eine Stunde mehr, um auf
einen Rückruf zu warten.
Vor ein paar Tagen las ich in der Süddeutschen Zeitung ein Interview mit
der Biologin, Biochemikerin und Nobelpreisträgerin Christiane
Nüsslein-Volhard. Sie sagte, es sei abwegig, ihre Forschungsarbeit als
Kinderlose mit der von Wissenschaftlerinnen mit Kindern zu vergleichen. Sie
habe schlicht mehr Zeit dafür. Ich war merkwürdig froh, das zu lesen, weil
es endlich einmal eine klare Absage an die Machbarkeitsschimäre war. An die
mantrahaft vorgetragene Idee, dass Teilzeitarbeitende effizienter und
besser organisiert arbeiten und damit alles wettmachen. Ich glaube, dass
sie es tun. Ich sehe ja, wie meine Teilzeitkollegin eine Zeitungsseite nach
der nächsten produziert, während Vollzeitkollegen lange Gespräche auf dem
Flur führen, die manchmal in Texte münden und manchmal nicht. „Sich die
Teilzeit verdienen“, hat Christina Klenner von der Böckler-Stiftung diese
Effektivität bei Teilzeitkräften genannt.
## Die Scheinheiligkeit der Teilzeitdebatte
Das andere ist das, was der Soziologe Trinczek die – zweite –
Scheinheiligkeit der Teilzeitdebatte nennt. Bei seiner Umfrage unter
Führungskräften beteuerten die meisten, dass eine Stelle mit weniger als 80
Prozent sicher ins berufliche Aus führe. Derzeit arbeiten ohnehin nur 9
Prozent aller Führungskräfte in Teilzeit.
Auch im Mittelfeld tut sich nichts. Der Mediziner Abendroth erzählt, dass
sich in seinem Umfeld, also links angehauchte AkademikerInnen, viele Paare
ein Lebensmodell mit gleichberechtigter Teilzeit vorgestellt hätten. Nur,
dass es kaum jemand umgesetzt hat: „Argumentiert wird mit Sachzwängen.“
Diese Sachzwänge sind ein neuralgischer Punkt beim Nachdenken über
Arbeitsverteilung, sie suggerieren eine klare Notwendigkeit, wo es oft um
Prioritäten geht. Warum ist es gottgegeben, dass derjenige, der mehr
verdient, Vollzeit arbeitet? Zumal laut Statistik auch bei Paaren, bei
denen die Frau mehr verdient, sie diejenige ist, die ihre Arbeitszeit
reduziert, sobald Kinder kommen.
Aber die Teilzeitgrenze verläuft nicht nur entlang unterschiedlicher
Rollenbilder, sie verläuft auch entlang sozialer und finanzieller Gräben.
Die Zahl derjenigen, die laut Vertrag 40 Stunden pro Woche arbeiten – und
das ohne Überstunden – wächst. Er kenne die Debatte von zwei Seiten, sagt
mir ein Arbeitsrechtler: bei Anwältinnen in prestigeträchtigen Kanzleien,
die sie mit Abfindung verlassen, nachdem sie vergeblich eine Teilzeitstelle
gefordert haben, und bei Kassiererinnen in Billigsupermärkten, die ihre
Stundenzahl aufstocken wollen.
Vielleicht ist noch Zeit für einen Ausflug aus der Blase der
Führungskräfte, hinein ins „untere Drittel“, so nennt es Jan Thiele (Name
geändert). Seine Eltern hatten eine Metzgerei, in der sie 80 Stunden pro
Woche arbeiteten. Die Kinder, so sagt er, kamen an die Reihe, wenn der
letzte, der allerletzte Kunde bedient war. Ihr Sohn will es anders machen.
Aber die Ruhe, die er sich wünscht, kann er sich nicht leisten.
Vor unserem Gespräch schickt er mir eine Mail mit seinem Wochenplan. Der
ist diesmal besonders gedrängt, weil Thiele danach Urlaub genommen hat, um
Zeit mit seinem Sohn zu verbringen, der weitgehend bei der Mutter lebt. In
der Mail steht: „Mo – frei. Di – Wawi 8–14 und Wohngruppe 14:45–21:30…
Std. Pause in der S-Bahn oder Auto.“ So geht das bis Sonntag, 13.15 Uhr.
Die Wawi ist der Bioladen, in dem Thiele als Aushilfe arbeitet, in der
Wohngruppe für geistig behinderte Erwachsene arbeitet er als Betreuer.
Thiele ist gelernter Tischler und Erzieher, mit beiden Jobs zusammen
verdient er 1.800 Euro netto, bei 12,30 Euro Stundenlohn in der Wohngruppe.
„Ich kann mir ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen“, sagt Thiele, er will
es auch gar nicht, das fände er dekadent, aber er würde sie gern weniger
gehetzt machen. Vor allem die in der Wohngruppe, weil sie dieses Gedrängte
nicht gut verträgt, weil die Menschen dort das Gedrängte nicht vertragen.
Weil es Leute sind, auf die man warten können muss. „Gestern war es so bei
einem Mann, sagt Thiele. „Der hat ein Gedankengewitter im Kopf, aber gerade
deshalb ist er ja in der Wohngruppe – da muss man am meisten aufpassen.“
Thiele wünscht sich die Umverteilung, von der in der Theorie immer mal die
Rede ist: eine Angleichung zwischen den hohen und den niedrigen Gehältern
und damit die Chance für die heute zu gering Verdienenden, weniger zu
arbeiten. Aber dafür stehen die Zeichen schlecht. Die Soziologen glauben,
dass sich die Möglichkeit, die eigene Arbeitszeit zu regulieren, genauso
gestalten wird wie der Rest einer sich polarisierenden Gesellschaft: viele
Möglichkeiten am oberen Ende und kaum welche am unteren.
Da muss man nicht einmal Marxist sein wie der französische Philosoph Alain
Badiou, der ausschließt, dass es in unserem kapitalistischen System
tatsächlich zu einer Verteilung der Arbeit auf alle und damit zu einer
allgemeinen Reduzierung der Arbeitszeit kommen wird – denn zu gering wäre
die Rendite der Unternehmer.
Aber solange die Leute sich nur leise wundern, dass sie so anders leben als
erträumt, und zugleich den Kollegen verhöhnen, der sich dagegen auflehnt,
bleibt ohnehin alles beim Alten.
20 Apr 2018
## AUTOREN
Friederike Gräff
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