| # taz.de -- Teilzeitarbeit und Rollenverständnis: Einfach ein bisschen weniger | |
| > Dieser Text ist zum Teil mit dem Kind auf dem Schoß entstanden. Unsere | |
| > Autorin fragt sich: Wie könnten sich alle, die das wollen, Teilzeit | |
| > leisten? | |
| Bild: Wer hat bloß an ihr gedreht: Modell der historischen Uhr am Schloss Wolf… | |
| Ich habe nahezu immer Teilzeit gearbeitet, ohne darin ein Thema zu sehen, | |
| über das ich hätte nachdenken müssen. Bevor ich Kinder hatte, tat ich es um | |
| der Schönheit eines freien Tages willen, an dem ich Trompete spielte oder | |
| lange im Café saß. Da ich bei der taz ohnehin sehr überschaubar verdiene, | |
| hatte ich nicht das Gefühl, dass mich der eine Arbeitstag mehr aus dem | |
| Bankrott führen würde. | |
| Mein eigenes Interesse an Teilzeitarbeit als Frage, auch als Problem kam | |
| auf, als ich nach meiner zweiten Elternzeit wieder in die Redaktion | |
| zurückkehrte. Die Texte, die ich schreiben möchte, stemme ich in meiner | |
| Arbeitszeit nicht, sie erfordern Zeit, um mit Leuten zu sprechen, Zeit zu | |
| schreiben. | |
| Ich bin älter geworden, vielleicht stecke ich die schlechten Nächte | |
| schlechter weg, vielleicht sind wir in der Redaktion personell noch ein | |
| Stück schlechter aufgestellt. Vielleicht bin ich mit der Frage ohnehin | |
| Sprachrohr jenes fragwürdigen Machbarkeitsdiskurses, der uns fortwährendes | |
| Gelingen, Erdbeeren im Winter und ewiges Leben verspricht. | |
| Im Augenblick denken viele über Arbeitszeit nach, die Politik tut es, die | |
| Gewerkschaften und die Unternehmen. Die Frage, ob sich Arbeitszeit | |
| reduzieren lässt, taucht überall auf. Aber weder Exfamilienministerin | |
| Manuela Schwesig konnte sich mit einer finanziell abgefederten | |
| Familienarbeitszeit von 26 bis 36 Stunden durchsetzen, noch | |
| Exarbeitsministerin Andrea Nahles mit einem Rechtsanspruch auf Rückkehr von | |
| Teil- auf Vollzeitarbeit. Die IG-Metall hat gerade, und das war ein | |
| Meilenstein, erreicht, dass Vollzeitkräfte ihre Arbeitszeit zeitweise | |
| verkürzen dürfen – während die Arbeitgeber die Flexibilisierung nach oben | |
| durchgesetzt haben. | |
| Teilzeitarbeit erscheint als große Umverteilungsutopie: Für die Männer | |
| etwas weniger Arbeit, Frauen etwas mehr, Führungskräfte weniger – und dann | |
| klafft eine Lücke, weil die Aldi-Kassiererin, die aufstocken will, damit | |
| das Geld reicht, in der Regel nicht auftaucht. Die ProtagonistInnen der | |
| neuen Arbeitswelt scheinen vor allem hippe AkademikerInnen zu sein. Ich | |
| frage mich, ob da Sonntagsreden gehalten werden: ähnlich unüberzeugend wie | |
| die zur Besserbezahlung der sozialen Berufe, die immer gefordert, aber nie | |
| durchgesetzt wird, oder zu einer Energiewende, bei der niemand Strom sparen | |
| muss, weil der ja irgendwie grün sein wird. Umverteilung und Abstriche: Das | |
| war noch nie populär. Ich frage mich angesichts der beeindruckenden Statik | |
| der Arbeitszeitverteilung – Väter gleich Vollzeit, Mütter gleich Teilzeit �… | |
| wer da eigentlich eine Veränderung will, und ich frage mich, ob sie zu | |
| haben ist, ohne dass man einen Preis dafür zu zahlen hat. | |
| Sicher bin ich, dass ich den Geht-doch-alles-Duktus in der Debatte immer | |
| schlechter vertrage, dass mir die von beiden Geschlechtern gleichermaßen | |
| paternalistisch vorgebrachten Dogmen, wie Frauen, Männer, Mütter, Väter zu | |
| arbeiten haben, sauer aufstoßen, egal in welche Richtung sie gehen. Es ist | |
| erstaunlich, wie inakzeptabel da alle Arbeits- und Lebensentwürfe scheinen, | |
| die nicht die eigenen sind, wie sich die Welt verengt in Muttis und | |
| Karriereknicks einerseits und Rabenmütter andererseits – und jetzt | |
| klingt es schon wie ein Frauenthema, obwohl es keines ist. | |
| Als ich mit einem Kollegen darüber sprach, wie bevormundend ich den | |
| Mach-gefälligst-Karriere-Diskurs empfinde, erinnerte er mich daran, dass | |
| das Recht zu arbeiten doch eine zentrale Errungenschaft der Emanzipation | |
| sei. Keine Frage. Aber die Emanzipation hat auch eine Unibildung im | |
| Schlepptau, die mich gelehrt hat, cui bono? – wem nutzt es? – zu fragen. | |
| Geht es um meine Autonomie oder darum, mich als Verschiebemasse auf dem | |
| Arbeitsmarkt zu nutzen? „Mach dich passend, es ist zu deinem Besten“, tost | |
| es, „wir liefern die 24-Stunden-Kitas dazu.“ „Lass deine Arbeitskraft nic… | |
| liegen, mach etwas aus deinem Humankapital“, raunt man mir zu, als sei ich | |
| eine Mensch gewordene Anlageoption. | |
| Ich sollte noch vorausschicken, dass ich selbst in einer exklusiven Nische | |
| lebe, was mein Arbeitsleben anbelangt. Mein Partner ist Teil eines | |
| Bioladenkollektivs, er hat gerade seine Arbeitszeit dort auf 24 Stunden | |
| reduziert, weil er nebenbei als freier Autor arbeiten will. Wir verbringen | |
| gleich viel Zeit mit den Kindern, und wir arbeiten auch gleich viel. Wenn | |
| ich die Statistiken über Teilzeit lese, erkenne ich, dass wir hochexotisch | |
| sind; die Paare, die egalitär Teilzeit arbeiten, sind nahezu nicht | |
| vorhanden. | |
| Tatsächlich ändert sich gesamtgesellschaftlich trotz aller Verheißungen | |
| herzlich wenig. Die Quote der Frauen, die Teilzeit arbeiten, liegt seit | |
| zehn Jahren bei rund 46 Prozent, die überwiegende Mehrheit sind Mütter. Bei | |
| den Männern ist der Anteil der Teilzeitarbeitenden auf 10 Prozent | |
| gestiegen. Das klingt viel, aber der Grund dafür ist selten der Wunsch, | |
| jemanden zu pflegen, Zeit für seine Kinder oder sich selbst zu haben. Oft | |
| sind es Stellen, die nur in Teilzeit angeboten werden, oder es gibt | |
| gesundheitliche Gründe für die Reduzierung. In Befragungen wünschen sich | |
| die meisten Arbeitnehmerinnen zwischen 28 und 32 Arbeitsstunden, aber kaum | |
| jemand arbeitet so. Die deutliche Mehrheit, etwa zwei Drittel der Familien, | |
| lebt ein modernisiertes männliches Ernährermodell mit den Frauen als | |
| Hinzuverdienerinnen. | |
| Das ist der Stand der Dinge, aber er muss nicht so bleiben. Das zumindest | |
| glaubt Christina Klenner, sie arbeitet bei der Böckler-Stiftung und forscht | |
| zu Teilzeit. Sie hat Menschen durch alle Schichten nach ihren Wünschen zur | |
| Arbeitszeit befragt: Die meisten haben ein Unbehagen daran, so viel zu | |
| arbeiten. Sie leben nicht so, wie sie es sich einmal vorgestellt haben, und | |
| haben die Fantasie, es könnte anders sein. „Aber es ist nicht so weit, dass | |
| es praktisch wird“, sagt Klenner. Um so hilfreicher findet sie es, wenn | |
| andere vorangehen, wenn Betriebe ihren Mitarbeiter-Innen die Wahl lassen | |
| zwischen mehr Urlaubstagen oder mehr Geld. Der Nationalökonom Max Weber sah | |
| die Arbeiter zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch selbstverständlich früher | |
| nach Hause gehen, statt mehr Lohn einzustreichen. Weber glaubte, es brauche | |
| einen „Erziehungsprozess“, um die Arbeiter zu funktionierenden Gliedern des | |
| Kapitalismus zu formen, denen Geld kostbarer ist als Zeit. | |
| ## Männer in Teilzeit | |
| Derzeit stellt sich für viele die Frage erst gar nicht: Teilzeitarbeit ist | |
| für die meisten nicht auskömmlich – und sie ist weiblich. „Ein Teilzeit | |
| arbeitender Mann verhält sich wie eine Frau“, sagt Christina Klenner. Es | |
| ist diese Formulierung, die mir die Dramatik des Themas Teilzeitarbeit | |
| klarmacht: Ein teilzeitarbeitender Mann ist ein Mann, der die männliche | |
| Arbeitsnorm verlässt, ein Sekretär, eine männliche Hebamme. Er verletzt | |
| nicht nur die Erwartung der meisten Männer, sondern auch der meisten | |
| Frauen. Der Soziologe Rainer Trinczek hat in einer Studie Anfang der 1990er | |
| Jahre Zeitpioniere befragt, Männer, die damals Teilzeit arbeiteten. Sie | |
| wurden von ihren Kollegen derart angefeindet, dass sie entweder so viel | |
| arbeiteten wie zuvor auf ihrer Vollzeitstelle oder aber behaupteten, sie | |
| hätten noch einen Zweitjob. | |
| Christoph Abendroth (Name geändert) ist Assistenzarzt in einer Großstadt, | |
| ginge es nach ihm, wäre er einer jener Männer, die sich wie eine Frau | |
| verhalten, aber es geht nicht nach ihm. Der 30-Jährige hat zweimal | |
| versucht, Teilzeit zu arbeiten, und es hat ihn jedes Mal die Stelle | |
| gekostet. | |
| Das erste Mal hatte er bereits eine Zusage, aber als er fragte, ob er auch | |
| Teilzeit arbeiten könnte, zog man das Angebot zurück. Das zweite Mal fragte | |
| Abendroth kurz vor Ende der Probezeit, ob er Elternzeit für die | |
| Kita-Eingewöhnung seines Sohns nehmen könne, danach wollte er auf 75 | |
| Prozent reduzieren. Bald darauf kündigte ihm die Klinik ohne Begründung. | |
| Als Abendroth fragte, ob der Grund für die Kündigung sein Teilzeitwunsch | |
| gewesen sei, stritt sein Chef das ab. Nein, es habe viele Gründe gegeben, | |
| aber welche das waren, wurde nicht klar, zumal die Oberärzte durchweg | |
| zufrieden mit seiner Arbeit waren. | |
| Der Personaloberarzt hat Abendroth zum Abschied noch einen kleinen Vortrag | |
| gehalten: Der Arztberuf erfordere Einsatz wie kein anderer, er selbst habe | |
| sechs Wochen am Stück gearbeitet. Für Abendroth ist das einer der Gründe, | |
| warum sich nichts ändert: Dazu müsste die Generation, die jetzt bestimmt, | |
| das eigene Leben infrage stellen. „Er verteidigt ein Lebensmodell, unter | |
| dem er selbst gelitten hat“, sagt Abendroth. | |
| Das ist natürlich Mutmaßung. Und die Debatte über Arbeitsmodelle und die | |
| Erfüllung, die sie mit sich bringen, ist voll solcher Zuschreibungen. | |
| Manche sind statistisch unterlegt. Eine Studie des Roman-Herzog-Instituts, | |
| die die Zufriedenheit von Männern und Frauen mit Familie und Beruf | |
| untersucht, kommt zu dem Schluss, dass Frauen in einer egalitären | |
| Vollzeit-Vollzeit-Beziehung nicht zufriedener sind als solche in | |
| traditionellen Strukturen, in denen sie Teilzeit oder geringfügig arbeiten. | |
| Und dass Mütter im egalitären Modell weniger zufrieden sind als solche, die | |
| im traditionellen leben. Die Autorinnen führen das auf die Doppelbelastung | |
| durch Familie und Beruf zurück. So dass die Unzufriedenheit also eine zu | |
| behebende ist, so wie die Zufriedenheit der kaum berufstätigen Frauen mit | |
| ihrer weiblichen Sozialisation erklärt wird. | |
| Es hat einen Hauch davon, als beschreibe man die Domestizierung vom Wolf | |
| zum Chihuahua, einen häuslichen Charakter, dessen Grundlage eine gewisse | |
| Lebensuntüchtigkeit ist. Aber vielleicht höre ich mich da nur selbst. Ich | |
| wundere mich, warum diese Frauen nicht auf den Tisch hauen, warum sie ohne | |
| Not einknicken, warum sie nicht alles zugleich wollen wie ich, eine | |
| authentische Vertreterin der unzufriedenen Egalitären aus der Studie des | |
| Herzog-Instituts. Und ich frage mich, mit welchem Blick die SoziologInnen | |
| in 50 Jahren auf mein Rennen zwischen Familie und Beruf sehen werden. Und | |
| welche Beschränkungen sie in meiner Sozialisation feststellen werden. | |
| Der Arzt Christoph Abendroth arbeitet jetzt 100 Prozent, seine Freundin 60. | |
| Als klar wurde, dass er als Teilzeitkraft seine Facharztausbildung nicht | |
| würde beenden können, hat seine Freundin um 20 Prozent reduziert. Unter | |
| Abendroths Kollegen arbeitet niemand Teilzeit, nur ein paar Ärztinnen tun | |
| das, und die haben ihre Kinder sicherheitshalber erst nach Ende der | |
| Facharztausbildung bekommen. | |
| Aber sie sind eine Minderheit, und das System ist an der Mehrheit | |
| orientiert. Der Dienstplan ist an Vollzeitstellen ausgerichtet, und | |
| Abendroth macht sich keine Illusionen über die Bereitschaft, das für einen | |
| Einzelfall wie ihn zu ändern. „Ich bin beim Schach der Bauer“, sagt er. | |
| Abendroth kennt kleine Kliniken etwa am Stadtrand von Berlin, die | |
| 75-Prozent-Stellen für alle anbieten. Die Bahn schmückt sich zum Vatertag | |
| 2017 mit einem Teilzeitangebot für Führungskräfte, „familienfreundlicher | |
| Arbeitgeber“ will sie sein. 50 Prozent der Programmteilnehmer, sagt eine | |
| Bahn-Sprecherin, arbeiten dabei 30 oder mehr Stunden, die andere Hälfte 10 | |
| bis 30 Stunden. Ob das einen Kulturwandel zeigt? „Das wage ich nicht zu | |
| beurteilen“, sagt die Bahnfrau. Sicher ist: Teilzeit lässt sich vielerorts | |
| organisieren. Aber dort wo Christoph Abendroth arbeitet, muss man nicht um | |
| Personal werben. Teilzeit arbeiten zu können, ist auch eine Frage des | |
| eigenen Marktwerts. Und deshalb hört man Geschichten wie seine auch aus dem | |
| öffentlichen Dienst, von Menschen etwa, die sich um bedürftige Eltern oder | |
| Geschwister kümmern wollen und es kaum können, weil sich ihr Arbeitgeber | |
| quer stellt. | |
| ## Die Chefin nicht begeistert | |
| In zwei Tagen endet Abendroths Probezeit. Vorher wird er das Wort | |
| Reduzierung nicht in den Mund nehmen. Im Sommer erwarten er und seine | |
| Freundin das zweite Kind, nach der Elternzeit will er Teilzeit arbeiten. | |
| Die Frage für ihn wird dann weniger sein, ob er einen Rechtsanspruch darauf | |
| hat, sondern ob seine Ausbildung darunter leidet. „Meine Chefin wird nicht | |
| begeistert sein“, sagt Abendroth. Wenn er Pech hat, wird sie es so wenig | |
| sein, dass er in einen Bereich kommt, in dem er nichts lernt. „Ich bin | |
| gespannt, was ich in zwei Jahren erzähle“, sagt er zum Abschied. | |
| Bei einem Telefonat für diesen Text liegt meine kranke Tochter schlafend | |
| auf mir. Ich überlege, ob ich sie wecken soll, um mitschreiben zu können, | |
| und entscheide mich dagegen. Ich in meiner Blase bin privilegiert: Wenn ich | |
| mich in eine langwierige Recherche über Teilzeitarbeit werfen will, kann | |
| ich das tun. Ich muss nur sehen, wann es geht. Es geht ziemlich oft abends | |
| zwischen acht und zehn. Die einzige Instanz, die ich dafür beschuldigen | |
| kann, bin ich selbst. Ich könnte ja meine Arbeitszeit aufstocken – aber ich | |
| tue es nicht, weil ich nicht bereit bin, weniger Zeit mit meinen Kindern zu | |
| verbringen. | |
| Teilzeitkräfte, so zeigen es Untersuchungen der Krankenkassen, sind im | |
| Schnitt zufriedener als Vollzeitkräfte. Warum, frage ich Christina Klenner | |
| von der Böckler-Stiftung. Warum in all dem Dauerlauf zwischen Kita und | |
| Büro? Warum, wenn andere Studien belegen, dass die Gesamtarbeitszeit der | |
| weiblichen Teilzeitkräfte länger ist als die der männlichen Vollzeitkräfte, | |
| weil die Haushaltsarbeit weitgehend an ihnen hängen bleibt? Da bleibe ein | |
| Fragezeichen, sagt Klenner. Was sie als Erklärung anbietet: den klaren | |
| Arbeitsschluss zumindest für jene Teilzeitkräfte, deren Arbeit mehr in | |
| Stunden als in Ergebnissen gewertet wird. Und eine Zufriedenheit damit, der | |
| – traditionellen – Rolle gerecht zu werden. | |
| Ich fand es geschickt organisiert, meine nächste Gesprächspartnerin nach | |
| einem Familientreffen bei meinen Eltern im Rheinland zu treffen. Frauke | |
| Bernds ist ein Anschauungsbeispiel für eine zufriedene Vollzeitkraft und | |
| eine Herausforderung für die, die glauben, dass nahezu jede Arbeit auch in | |
| Teilzeit zu leisten ist. Sie ist verantwortlich für das Konzertprogramm der | |
| Kölner Philharmonie, und die Fahrt zu ihr dauert so nur eine halbe Stunde, | |
| statt viereinhalb von Hamburg aus. Die Idee war, dass mein Freund mit den | |
| Kindern zurückreisen würde, aber er wurde krank, und so fuhr ich mit den | |
| Kindern zum Interview. Das war der Kollateralschaden eines Projekts, das | |
| nicht in meine Normarbeitszeit passt, es war zugleich eine kostbare | |
| Erfahrung für mich, weil die Fünfjährige auf dem Boden liegend malte, | |
| während die Zweijährige auf meinem Schoß saß. Es war nicht ideal, aber das | |
| Interview ließ sich führen, und es war auf ulkige Art eine Antwort auf | |
| meine Frage, wie Zeit zu finden ist. Ich war sonderbar stolz, was | |
| irrational ist, aber es schien mir, als hätten wir der gegenwärtigen | |
| Unverträglichkeit von Arbeits- und Familienwelt gemeinsam die Stirn | |
| geboten. | |
| In Frauke Bernds’ Büro hängt eine Postkarte: „Willst du dies noch einmal | |
| und unzählige Male?“, daneben ein Foto ihres zweijährigen Sohns. In einer | |
| gläsernen Vase liegen abgerissene Konzertkarten, neulich hat sie sie | |
| gezählt, 108 sind es, 108 Konzertbesuche in einem Jahr, 108 abendliche | |
| Arbeitstermine. „Die Herausforderung, beides unter einen Hut zu bringen, | |
| geht nicht ohne einen Partner, der den Willen und die Möglichkeit hat, | |
| mitzuziehen“, sagt Bernds, die freundlich und klar in einem ist. Ihr Mann | |
| ist Anwalt und arbeitet Vollzeit, aber mit flexiblen Zeiten. | |
| Sie hat die Stelle mit Kind angetreten, eine Vollzeitstelle, die nicht | |
| anders zu haben war, das hat der Intendant ihr frühzeitig gesagt. | |
| „Vielleicht mache ich mir da Feinde“, sagt Bernds, „aber bei uns würde i… | |
| denken, dass die leitenden Funktionen nur so zu machen sind.“ Um dann | |
| hinterherzuschieben: „Vielleicht kann man für jeden ein Modell finden.“ | |
| Aber sie ist auch gar nicht auf den Gedanken gekommen, es anders zu wollen. | |
| Zwischen der Zeit im Büro und den Abenden im Konzert kann sie ziemlich | |
| regelmäßig zwei, drei Stunden am Nachmittag mit Mann und Kind verbringen – | |
| „wer hat das sonst schon?“ | |
| Das Erfrischende ist, dass Frauke Bernds kaum von Sachzwängen und viel von | |
| eigenen Entscheidungen spricht: „Wenn man im Kulturbetrieb arbeitet, ist es | |
| ja nicht nur Broterwerb, es ist Passion“, sagt sie, und da jegliches Pathos | |
| dabei fehlt, nimmt man es ihr sofort ab. Passionen sind anstrengend. Frauke | |
| Bernds ist schmal geworden in den letzten Jahren, und Zeit für sich allein | |
| hat sie kaum. Und trotzdem ist sie dankbar: „Ich bin privilegiert“. | |
| Ich bin keine Führungskraft, will auch keine sein. Was mich grämt, ist die | |
| Frage, wie ich Texte jenseits des Tagesgeschäfts schreiben kann. Ich sehe | |
| die Möglichkeiten der Komprimierung, die man den Teilzeitkräften nachsagt, | |
| aber ich sehe auch ihre Grenzen. Ein Text, den man noch einmal liest, bevor | |
| man ihn abgibt, hat gute Chancen, ein besserer Text zu werden. Keinem Text | |
| schadet eine zusätzliche Stunde Recherche oder eine Stunde mehr, um auf | |
| einen Rückruf zu warten. | |
| Vor ein paar Tagen las ich in der Süddeutschen Zeitung ein Interview mit | |
| der Biologin, Biochemikerin und Nobelpreisträgerin Christiane | |
| Nüsslein-Volhard. Sie sagte, es sei abwegig, ihre Forschungsarbeit als | |
| Kinderlose mit der von Wissenschaftlerinnen mit Kindern zu vergleichen. Sie | |
| habe schlicht mehr Zeit dafür. Ich war merkwürdig froh, das zu lesen, weil | |
| es endlich einmal eine klare Absage an die Machbarkeitsschimäre war. An die | |
| mantrahaft vorgetragene Idee, dass Teilzeitarbeitende effizienter und | |
| besser organisiert arbeiten und damit alles wettmachen. Ich glaube, dass | |
| sie es tun. Ich sehe ja, wie meine Teilzeitkollegin eine Zeitungsseite nach | |
| der nächsten produziert, während Vollzeitkollegen lange Gespräche auf dem | |
| Flur führen, die manchmal in Texte münden und manchmal nicht. „Sich die | |
| Teilzeit verdienen“, hat Christina Klenner von der Böckler-Stiftung diese | |
| Effektivität bei Teilzeitkräften genannt. | |
| ## Die Scheinheiligkeit der Teilzeitdebatte | |
| Das andere ist das, was der Soziologe Trinczek die – zweite – | |
| Scheinheiligkeit der Teilzeitdebatte nennt. Bei seiner Umfrage unter | |
| Führungskräften beteuerten die meisten, dass eine Stelle mit weniger als 80 | |
| Prozent sicher ins berufliche Aus führe. Derzeit arbeiten ohnehin nur 9 | |
| Prozent aller Führungskräfte in Teilzeit. | |
| Auch im Mittelfeld tut sich nichts. Der Mediziner Abendroth erzählt, dass | |
| sich in seinem Umfeld, also links angehauchte AkademikerInnen, viele Paare | |
| ein Lebensmodell mit gleichberechtigter Teilzeit vorgestellt hätten. Nur, | |
| dass es kaum jemand umgesetzt hat: „Argumentiert wird mit Sachzwängen.“ | |
| Diese Sachzwänge sind ein neuralgischer Punkt beim Nachdenken über | |
| Arbeitsverteilung, sie suggerieren eine klare Notwendigkeit, wo es oft um | |
| Prioritäten geht. Warum ist es gottgegeben, dass derjenige, der mehr | |
| verdient, Vollzeit arbeitet? Zumal laut Statistik auch bei Paaren, bei | |
| denen die Frau mehr verdient, sie diejenige ist, die ihre Arbeitszeit | |
| reduziert, sobald Kinder kommen. | |
| Aber die Teilzeitgrenze verläuft nicht nur entlang unterschiedlicher | |
| Rollenbilder, sie verläuft auch entlang sozialer und finanzieller Gräben. | |
| Die Zahl derjenigen, die laut Vertrag 40 Stunden pro Woche arbeiten – und | |
| das ohne Überstunden – wächst. Er kenne die Debatte von zwei Seiten, sagt | |
| mir ein Arbeitsrechtler: bei Anwältinnen in prestigeträchtigen Kanzleien, | |
| die sie mit Abfindung verlassen, nachdem sie vergeblich eine Teilzeitstelle | |
| gefordert haben, und bei Kassiererinnen in Billigsupermärkten, die ihre | |
| Stundenzahl aufstocken wollen. | |
| Vielleicht ist noch Zeit für einen Ausflug aus der Blase der | |
| Führungskräfte, hinein ins „untere Drittel“, so nennt es Jan Thiele (Name | |
| geändert). Seine Eltern hatten eine Metzgerei, in der sie 80 Stunden pro | |
| Woche arbeiteten. Die Kinder, so sagt er, kamen an die Reihe, wenn der | |
| letzte, der allerletzte Kunde bedient war. Ihr Sohn will es anders machen. | |
| Aber die Ruhe, die er sich wünscht, kann er sich nicht leisten. | |
| Vor unserem Gespräch schickt er mir eine Mail mit seinem Wochenplan. Der | |
| ist diesmal besonders gedrängt, weil Thiele danach Urlaub genommen hat, um | |
| Zeit mit seinem Sohn zu verbringen, der weitgehend bei der Mutter lebt. In | |
| der Mail steht: „Mo – frei. Di – Wawi 8–14 und Wohngruppe 14:45–21:30… | |
| Std. Pause in der S-Bahn oder Auto.“ So geht das bis Sonntag, 13.15 Uhr. | |
| Die Wawi ist der Bioladen, in dem Thiele als Aushilfe arbeitet, in der | |
| Wohngruppe für geistig behinderte Erwachsene arbeitet er als Betreuer. | |
| Thiele ist gelernter Tischler und Erzieher, mit beiden Jobs zusammen | |
| verdient er 1.800 Euro netto, bei 12,30 Euro Stundenlohn in der Wohngruppe. | |
| „Ich kann mir ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen“, sagt Thiele, er will | |
| es auch gar nicht, das fände er dekadent, aber er würde sie gern weniger | |
| gehetzt machen. Vor allem die in der Wohngruppe, weil sie dieses Gedrängte | |
| nicht gut verträgt, weil die Menschen dort das Gedrängte nicht vertragen. | |
| Weil es Leute sind, auf die man warten können muss. „Gestern war es so bei | |
| einem Mann, sagt Thiele. „Der hat ein Gedankengewitter im Kopf, aber gerade | |
| deshalb ist er ja in der Wohngruppe – da muss man am meisten aufpassen.“ | |
| Thiele wünscht sich die Umverteilung, von der in der Theorie immer mal die | |
| Rede ist: eine Angleichung zwischen den hohen und den niedrigen Gehältern | |
| und damit die Chance für die heute zu gering Verdienenden, weniger zu | |
| arbeiten. Aber dafür stehen die Zeichen schlecht. Die Soziologen glauben, | |
| dass sich die Möglichkeit, die eigene Arbeitszeit zu regulieren, genauso | |
| gestalten wird wie der Rest einer sich polarisierenden Gesellschaft: viele | |
| Möglichkeiten am oberen Ende und kaum welche am unteren. | |
| Da muss man nicht einmal Marxist sein wie der französische Philosoph Alain | |
| Badiou, der ausschließt, dass es in unserem kapitalistischen System | |
| tatsächlich zu einer Verteilung der Arbeit auf alle und damit zu einer | |
| allgemeinen Reduzierung der Arbeitszeit kommen wird – denn zu gering wäre | |
| die Rendite der Unternehmer. | |
| Aber solange die Leute sich nur leise wundern, dass sie so anders leben als | |
| erträumt, und zugleich den Kollegen verhöhnen, der sich dagegen auflehnt, | |
| bleibt ohnehin alles beim Alten. | |
| 20 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
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