# taz.de -- Gastbeitrag: Roboter gegen Menschen: Leistung soll sich wieder lohn… | |
> Die Kehrseite der Automatisierung ist die Ausbeutung von Rohstoffen. Die | |
> so entstandenen Einkommen sind ungerecht, weil ihnen keine Leistung | |
> entspricht. | |
Bild: Ungleiches Duell: Der Roboter verbraucht viel mehr Energie als der Mensch | |
Maschinen sind Menschen an Kraft schon lange überlegen. Mittlerweile | |
übertreffen Sensoren und Roboterarme auch Sinne und Präzision des Menschen, | |
und gegen Supercomputer kann kein Mensch mehr ein Schachspiel gewinnen. | |
Busse fahren, Anträge bearbeiten, Musikstücke komponieren oder Partner | |
vermitteln – die Ideen der Ingenieure und Informatikerinnen sowie die | |
Fähigkeiten von Computern und Algorithmen scheinen unbegrenzt. | |
Doch während für einige ein technisches Utopia greifbar wird, fürchten | |
andere zu Recht um ihre Arbeitsplätze. Entsprechend sind Forderungen nach | |
einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung oder einem bedingungslosen | |
Grundeinkommen populär: Lasst Maschinen die Arbeit machen, und lasst uns | |
die Erträge dieses Utopia gerecht verteilen. | |
## Es lohnt sich, Arbeit durch Ressourcenverbrauch zu ersetzen | |
Aus dem Blick gerät die physische Seite dieser Entwicklung. Seit Beginn der | |
Industrialisierung werden mit Hilfe von Technologie Rohstoffe verbraucht − | |
vor allem, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Ein Bagger geht weit | |
verschwenderischer mit Energie um als jeder schaufelnde Mensch. Diesel | |
kostet einen guten Euro je Liter. Sein Energieinhalt entspricht rund 100 | |
Stunden körperlicher Arbeit, für die man hierzulande mindestens 850 Euro | |
bezahlen müsste. | |
Deshalb ist es so profitabel, menschliche Arbeit durch Ressourcenverbrauch | |
zu ersetzen. Die Digitalisierung ist eine Weiterführung dieses Prozesses: | |
Als der Weltklassespieler Lee Sedol 2016 im Strategiespiel Go gegen die | |
Software Alpha-Go antrat und verlor, verbrauchte der Supercomputer etwa | |
500.000 Watt. | |
Das Gehirn seines menschlichen Kontrahenten musste mit etwa 25 Watt | |
auskommen: Schach matt. | |
In Marktwirtschaften werden die Mittel dort eingesetzt, wo das Verhältnis | |
von Preis und Leistung am besten ist. Mit technischen Produkten und | |
Dienstleistungen kann dieses Verhältnis massiv verbessert werden, indem der | |
Brennwert von Erdöl, die Leitfähigkeit von Kupfer oder die Rechenfähigkeit | |
eines Halbleiterchips genutzt und verkauft wird. | |
Man sollte die Ideen, Kreativität und Mühen hinter der Technik nicht gering | |
schätzen, aber genauso wenig den damit verbundenen Ressourcenverbrauch | |
übersehen. Wer Technik entwickelt und nutzt, steht einkommensmäßig gut da: | |
Die meisten Softwareentwickler, Ingenieurinnen und Schrauber beim Daimler | |
(und natürlich die Baggerführerinnen) haben kein Arbeitslosigkeitsproblem | |
und müssen auch keinen zweiten Job nebenher machen, um über die Runden zu | |
kommen. Ihr Einkommen bestimmt sich nicht nur nach ihrer persönlichen | |
Leistung, sondern der Ressourcenverbrauch ihrer Arbeitsmittel sorgt für | |
einen schönen Zuschlag. Zugleich werden die ökologischen Kosten der | |
Ressourcennutzung auf die Allgemeinheit abgewälzt. | |
Für ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit ist diese Rolle | |
von Technologie fatal. Die Bemühungen, den Ressourcenverbrauch zu | |
reduzieren, scheitern verlässlich. Die „Klimakanzlerin“ hat die Klimaziele | |
aufgegeben. Gleichzeitig versuchen Politiker verzweifelt, das Wegbrechen | |
der Arbeitseinkommen zu verhindern – die negativen Auswirkungen von | |
ausbleibendem Wirtschaftswachstum wären so verheerend, dass von einem | |
Wachstumszwang gesprochen werden kann. Umverteilung ist unpopulär, denn die | |
Leistungsträgerinnen könne man ja nicht noch stärker belasten. | |
Das Leistungsprinzip ist eine wichtige Gerechtigkeitsnorm: Wer mehr | |
leistet, soll auch Anspruch auf mehr Gegenleistung haben. Politik muss | |
daher Leistungsgerechtigkeit sicherstellen. | |
Allerdings haben insbesondere Vertreter eines wirtschaftlichen Liberalismus | |
völlig falsche Vorstellungen davon, wo heutzutage das Leistungsprinzip | |
verletzt wird: Ressourcenintensive Technologie führt ebenso zu | |
leistungslosen Einkommen wie Immobilien in „guter Lage“ oder | |
Konjunkturpakete für die Autoindustrie. Leistungslose Einkommen (ökonomisch | |
„Renten“ genannt) sind das Kennzeichen des Kapitalismus. Sie liegen immer | |
dann vor, wenn Leistungen anderer, der Allgemeinheit oder der Natur ohne | |
adäquate Gegenleistung angeeignet und verkauft werden. | |
## Die Quellen leistungsloser Einkommen trockenlegen | |
Mit dem Leistungsprinzip als Ausgangspunkt bedeutet die Suche nach | |
Gerechtigkeit: die Quellen leistungsloser Einkommen identifizieren und | |
trockenlegen. Das wäre Marktwirtschaft statt Kapitalismus. Viele | |
Sozialleistungen würden überflüssig, weil es wieder realistische Chancen | |
gäbe, Einkommen mit „ehrlicher Arbeit“ zu erzielen. Der „natürliche“ | |
Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital würde abgeschwächt, und die | |
Sozialversicherungssysteme müssten nur noch jene mit Grundleistungen | |
unterstützen, die aus persönlichen Gründen kein Einkommen erzielen können. | |
Damit lassen sich politische Auswege formulieren, die ökologische | |
Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit nicht gegeneinander ausspielen | |
müssen. Ein Modell heißt „Cap & Dividend“: Staat, EU oder UN verkaufen | |
begrenzte Ressourcenlizenzen, und die Einnahmen daraus werden über ein | |
„ökologisches Grundeinkommen“ an alle ausgeschüttet. Während das durch | |
Einkommensteuern finanzierte bedingungslose Grundeinkommen dem | |
Leistungsprinzip widerspricht, stellt dieses Konzept Leistungsgerechtigkeit | |
her, weil es die Ressourcenrenten fair an alle verteilt, und wer zusätzlich | |
ressourcensparsam lebt, profitiert doppelt. | |
Ökonomische Ungleichheit würde an mehreren Stellen verringert. Technischer | |
Fortschritt würde endlich nicht mehr vorrangig Arbeit durch | |
Ressourcenverbrauch ersetzen, sondern vor allem die Ressourcenproduktivität | |
erhöhen. Auch die „unvermeidliche“ Digitalisierung müsste sich daran mess… | |
lassen, inwiefern sie zum Ressourcensparen beiträgt − ein Schelm, wer | |
skeptisch dabei wird. | |
Wenn man konsequent gegen verschiedene Formen leistungsloser Einkommen | |
vorgeht und den Ressourcenverbrauch begrenzt, würde Politik strukturell | |
einfacher und billiger: Verbräuche und Umweltschäden, die gar nicht erst | |
entstehen, sind die beste Nachhaltigkeitspolitik. | |
In sozialer Hinsicht sieht es ähnlich aus. Anstatt durch Besteuerung, | |
Subventionen und Sozialpolitik eine nachträgliche Umverteilung | |
durchzusetzen, würde von vornherein die Gerechtigkeit der Markteinkommen | |
verbessert und hohe Sockelarbeitslosigkeit verhindert. Dadurch würde auch | |
der Wachstumszwang gelindert. Leistung würde sich wieder lohnen, anstatt | |
als Floskel herzuhalten, um Reichtum und leistungslose Einkommen zu | |
legitimieren. Eine echte Marktwirtschaft ist weder Realität noch Dystopie, | |
sondern eine geniale gesellschaftliche Utopie. | |
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27 Apr 2018 | |
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## AUTOREN | |
Oliver Richters | |
Andreas Siemoneit | |
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