# taz.de -- Digitalisierung der Landwirtschaft: Die Schattenseiten | |
> Nicht nur mit der Hardware werden Geschäfte gemacht. Gehandelt wird auch | |
> mit landwirtschaftlichen Daten als Ressource. | |
Bild: GPS-gesteuerter Traktor: Demnächst wird auch kein Fahrer mehr benötigt | |
BERLIN taz | Abgehängtes Landleben? Von wegen! Auf Äckern und in Ställen | |
schreiten [1][Digitalisierung und Automatisierung] mit hohem Tempo voran, | |
auch wenn in der Tat noch nicht jede Milchkanne mit 5G-Netzzugang | |
ausgestattet ist. Höchste Zeit, sich auch mit den Schattenseiten und | |
problematischen Folgewirkungen der Digitalisierung in der Landwirtschaft zu | |
beschäftigen, finden kritische Entwicklungsorganisationen, die das Thema | |
auf der diesjährigen [2][„Grünen Woche“ in Berlin] zur Sprache bringen. | |
„In der aktuellen Diskussion zur Digitalisierung wird vor allem über | |
Wetterdaten und Hightech-Traktoren diskutiert. Die Dimension der Umwälzung | |
durch Drohnen, synthetische Biologie oder Blockchain-Technologien wird | |
dramatisch unterschätzt“, sagt der kanadische Technologieexperte Pat | |
Mooney, Träger des Alternativen Nobelpreises von 1985. „Wenn wir nicht | |
gegensteuern und der Konzernkontrolle über die Digitalisierung enge | |
politische Grenzen setzen, dann bedrohen die neuen Technologien die | |
bäuerliche Landwirtschaft insgesamt“, warnt Mooney, der sich beim | |
internationalen Thinktank [3][ETC Group (Action Group on Erosion, | |
Technology and Concentration)] mit ernährungsbezogenen Fragen beschäftigt. | |
Hinter dem Mantra „Digitalisierung macht alles besser – für Bauern, | |
Konsumenten und die Umwelt“ zeichnen sich gewaltige Veränderungen ab, die | |
keineswegs alle als positiv einzustufen sind. Sowohl auf der Hardware- wie | |
auf der Softwareseite sind gigantische Konzentrationen in der | |
Unternehmenswelt im Gang. Die Fusion von Bayer und Monsanto ist nur ein | |
Beispiel. Landmaschinenhersteller verbünden sich mit Flug-Innovatoren. In | |
Japan wird bereits ein Drittel der Reisproduktion von Drohnen aus der Luft | |
überwacht. Von der Softwareseite drängen Digitalkonzerne wie Google, Amazon | |
oder der chinesische Konzern Alibaba in den Markt, um an die Agrardaten zu | |
gelangen – die Steuerungsressource für die Welternährung der Zukunft. | |
In Deutschland setzen bereits 9 Prozent der Höfe Drohnen ein, ergab eine | |
aktuelle Umfrage des Deutschen Bauernverbandes und des IT-Branchenverbands | |
Bitkom. 4 Prozent fliegen dabei eigene Drohnen, 5 Prozent engagieren | |
externe Dienstleister. „In keiner anderen Branche werden Drohnen | |
vergleichbar intensiv genutzt wie in der Landwirtschaft“, sagte | |
Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. „Bauern sind einmal mehr die | |
Vorreiter der Digitalisierung.“ | |
Für Jan Urhahn von der kirchennahen Entwicklungshilfe-NGO [4][„Inkota“] ist | |
Entmystifizierung der erste Schritt, um zu den richtigen | |
Handlungsstrategien zu gelangen. „Es muss erst geklärt sein, was die | |
Digitalisierung leisten kann und was nicht, bevor eine weitere staatliche | |
finanzielle, aber auch politische Förderung erfolgt“, fordert Urhahn. | |
Bislang gebe es keine wissenschaftlichen Studien, die die Vorteile der | |
Digitalisierung etwa für einen besseren Ressourceneinsatz, zur | |
Hungerbekämpfung oder zum Schutz der Biodiversität belegten. „Vor allem die | |
Frage, inwiefern die Digitalisierung ressourcenneutral zu haben ist, ist | |
vollkommen offen.“ | |
## Rosenduft und Steviasüße | |
Gleichwohl gibt es andere Forschungsthemen, die die große Transformation | |
der Agrarwelt vorantreiben. Zum Beispiel die Synthetische Biologie, eine | |
Weiterentwicklung der Biotechnologie, die dabei ist, durch molekulare | |
Veränderungen künstliche Geschmacksstoffe zu produzieren, die von echten | |
Aromen nicht zu unterscheiden sind. „Damit kann etwa der Duft von Rosen, | |
der Geschmack von Zitrusfrüchten, die Süße von Stevia oder die | |
aufputschende Wirkung von Koffein künstlich hergestellt werden“, schreibt | |
Urhahn mit seiner Kollegin Lena Michelsen im neuen [5][„Kritischen | |
Agrarbericht“], der auf der Grünen Woche in Berlin vorgestellt wurde. | |
Was ein Segen für die Lebensmittelindustrie ist, treibt andere in den Ruin. | |
Nach Schätzungen der ETC Group beliefern etwa 20 Millionen kleinbäuerliche | |
Familien sowie Arbeiterinnen und Arbeiter in Ländern des globalen Südens 95 | |
Prozent des Marktes für Aromastoffe und Gewürze wie Safran, Zimt und | |
andere. „Wenn die Herstellung in Zukunft zunehmend vom Feld ins Labor | |
verlegt wird, wäre die Existenzgrundlage all dieser Erzeuger noch stärker | |
bedroht als bisher“, bemerken die Inkota-Kritiker. | |
Ein anderes Einsatzfeld sind die Blockchain-Technologien. So nutzten nach | |
Ermittlungen der ETC-Group Anfang 2018 „das französische | |
Agrarhandelsunternehmen Louis Dreyfus und der chinesische | |
Lebensmittelhersteller Shangdong Bohi Industry gemeinsam mit den | |
Finanzdienstleistern ING, Société Générale und ABN-Amro eine | |
Blockchain-Plattform für die Verhandlung und Organisation einer | |
Sojabohnenlieferung aus den USA nach China“. Nach Aussagen der Beteiligten | |
habe die Nutzung der Blockchain „sowohl die Dauer als auch die Kosten für | |
den Transport enorm verringert“. | |
Das ganz große Ding ist die Schaffung von übergreifenden Datenplattformen. | |
Daran arbeiten alle. So hat beispielsweise der Traktoren-Hersteller Agco im | |
Jahr 2014 sein erstes Datenabkommen mit dem Chemieriesen DuPont | |
geschlossen, gefolgt von getrennten Abkommen mit Bayer, Monsanto und BASF | |
im darauffolgenden Jahr, hat Mooney in einer [6][Recherche für Inkota] | |
herausgefunden. | |
Und es geht weiter: „2017 kaufte Agco eine der wichtigsten auf Daten | |
spezialisierten Tochtergesellschaften von Monsanto, während der Konzern | |
sein Geschäftsfeld gleichzeitig auf landwirtschaftliche Drohnen und Joint | |
Ventures mit einer Vielzahl von landwirtschaftlichen Daten-Startups | |
ausdehnte.“ Wohin führt das? | |
## Gegensteuern ist möglich | |
Für Urhahn ist der Trend klar erkennbar: „Mit der Digitalisierung wird | |
voraussichtlich eine nie dagewesene vertikale Integration und Kooperation | |
entlang der gesamten Agrarlieferkette vonstattengehen.“ Dennoch: | |
Gegensteuern ist noch möglich. Für Jan Urhahn, der das Thema am Freitag im | |
Rahmen eines Panels auf dem Internationalen Fachkongress der | |
Bundesregierung auf der Grünen Woche, dem [7][„Global Forum for Food and | |
Agriculture“ (GFFA),] gemeinsam mit Vertretern von „Brot für die Welt“ u… | |
dem „Forum Umwelt und Entwicklung“ diskutiert, sind zwei Anliegen besonders | |
wichtig. | |
Zum einen müssten digitale Technologien die Interessen und die Bedürfnisse | |
von kleinbäuerlichen Erzeugern bedienen. „Das bedeutet, dass Technologien | |
in partizipativen Prozessen mit bäuerlichen Erzeuger*innen gemeinsam | |
entwickelt werden und für die bäuerlichen Erzeuger*innen auch wirklich | |
zugänglich sein müssen.“ | |
Nicht weniger wichtig als die Entwicklung angepasster Technologien ist auch | |
der rechtliche Rahmen von staatlicher Seite. „Die neuen Technologien dürfen | |
die Macht- und Einflusssphären des Agribusiness und anderer großer Player | |
wie von Internetkonzernen nicht erweitern“, betont Inkota-Mitarbeiter | |
Urhahn. Notwendig sei daher „der Aufbau unabhängiger und demokratisch | |
kontrollierter digitaler Datenplattformen, ein starker Datenschutz, eine | |
Verschärfung des Wettbewerbsrechts sowie eine staatliche Förderung von | |
Technologien, die explizit bäuerlichen Erzeuger*innen zugutekommen“. | |
18 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Digitalisierung-der-Landwirtschaft/!5265776 | |
[2] https://www.gruenewoche.de/ | |
[3] http://www.etcgroup.org/ | |
[4] https://www.inkota.de/ | |
[5] https://www.kritischer-agrarbericht.de/Home.86.0.html | |
[6] https://webshop.inkota.de/node/1551 | |
[7] https://www.gffa-berlin.de/ | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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