# taz.de -- Kommentar Tragödie der SPD: Die Irgendwie-Partei | |
> Werden die Sozialdemokraten wieder zum Stützrad der Union? Fürs Land wäre | |
> es nicht das Schlechteste – für die Partei schon. Längst herrscht | |
> Melancholie. | |
Bild: Will für alle wählbar sein: Volkspartei im Schwundstadium | |
Die SPD hat für eine 20-Prozent-Partei ein ordentliches Sondierungspapier | |
ausgehandelt. Die nächste Regierung wird sozialdemokratisch geprägt sein, | |
wenn auch weniger als die letzte. Auf der Habenseite der Genossen steht, | |
dass die wachsenden Kosten im Gesundheitswesen künftig wieder fair geteilt | |
werden. Die nächste Große Koalition wird das Leben von Normalverdienern | |
also ein bisschen verbessern. In der Europapolitik wird alles wohl so | |
weitergehen wie bisher. Kein glänzender Aufbruch, aber auch kein EU-Abriss, | |
wie er mit einem FDP-Finanzminister gedroht hätte. Realistisch gesehen ist | |
nicht mehr drin als diese Regierung, mit der rechten Mehrheit im Bundestag. | |
Warum aber leidet die SPD dann so? Muss immer Tragödie, immer Drama sein? | |
Die SPD ist seit je fasziniert von der Zukunft. Die Spannung zwischen dem | |
Jetzt und der Utopie (oder handfester: dem sozialen Aufstieg ins Bürgertum) | |
gehört zum Erbgut der Sozialdemokraten. Konservativen ist das fremd; sie | |
halten das Jetzt für die beste aller Welten. Die Grünen wiederum wollen das | |
Bedrohte bewahren. | |
Die Spannung zwischen dem Jetzt und dem Morgen trieb die Sozialdemokratie | |
lange voran. Doch seit sie nicht mal mehr sonntags an den Sozialismus | |
glaubt und das Aufstiegsversprechen für immer weniger Arbeiterkinder gilt, | |
ist der kühne Fortschrittsglaube verdampft. Zurückgeblieben ist eine | |
Neigung zum Grüblerischen und Melancholischen. Das letzte Mal, dass sich | |
die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit schloss, war die Zeit von | |
Ostpolitik und Bildungsreform. Das ist lange her. | |
Also alles nur Phantomschmerz? Nein. Es ist wirklich ernst. Die | |
schrumpfende SPD ist dabei, von einer stolzen Programm- zur Funktionspartei | |
zu verkümmern. Sie hat den Job, der Union eine Mehrheit zu verschaffen und | |
sie mit ein paar Ideen zu versorgen. Staatspolitische Verantwortung wird | |
zum Daseinszweck, die SPD zum Stützrad der Union. Das ist ziemlich | |
demütigend. | |
Die SPD laboriert an den Widersprüchen einer Volkspartei im Schwundstadium. | |
Sie will für alle wählbar sein und wird deshalb von immer wenigeren | |
gewählt. Nach innen muss sie mühsam die stets etwas lauen Kompromisse | |
austüfteln zwischen dem zufriedenen Facharbeiter und der prekären Jobberin, | |
zwischen dem Busfahrer und der gut verdienenden leitenden Angestellten. | |
Dieser Spagat wird in einer individualisierten Gesellschaft immer | |
komplizierter. So wird die SPD zur Irgendwie-Partei. Martin Schulz hat | |
dabei das fatale Talent, dieses Beliebige und Schwankende unverhüllt zum | |
Vorschein zu bringen. | |
Die SPD muss sich aber entscheiden. Die lauwarme Gemütlichkeit der | |
Merkel-Ära geht vorbei. Mit dem Rechtspopulismus zieht scharfer Wind auf. | |
Wenn der Wirtschaftsboom mal vorbei ist, kehren echte Verteilungskämpfe | |
zurück. Die SPD braucht eine Wende nach links, mit Erbschaftsteuer und | |
Umverteilung. Schafft sie das? | |
Ob die Partei in der Opposition dazu in der Lage wäre, ist offen. Sicher | |
ist: Wenn sie nun brav mit Merkel regiert, bleibt alles, wie es ist: der | |
linke Flügel lahm, der rechte tonangebend. Wenn die SPD regiert, heißt das: | |
oben die Minister und die Fraktion, unten die Partei, die wie ein | |
nervtötender, ewig quengelnder Verwandter behandelt wird, den man leider | |
nicht loswird. Die Chuzpe, mit der Schulz & Co die Basis in die Große | |
Koalition manövrieren, ist ein Vorgeschmack darauf. Der Schwur, | |
ergebnisoffen zu verhandeln, war ein Meineid. Das Argument, dass [1][der | |
Parteitag] nun gar nicht Nein sagen darf, weil doch am Ende die Basis | |
entscheiden muss, ist ein rhetorischer Hütchenspielertrick. Denn am Ende | |
kann die Basis nur zwischen Ja und Neuwahl mit zertrümmerter Parteispitze | |
wählen – also Selbstzerstörung. | |
Erst das Land, dann die Partei? Wahrscheinlich wird sich die SPD wieder für | |
die Verantwortung fürs große Ganze entscheiden. In diesem Fall hat die Wahl | |
etwas wirklich Tragisches. | |
Lesen Sie auch: [2][„Im Kern gespalten“ – wie die SPD-Führung um ein „… | |
des Parteitags geworben hat]. Und: [3][Wer? Wie? Was? – Wer stimmt in Bonn | |
eigentlich ab?] | |
21 Jan 2018 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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