# taz.de -- Debatte um Schriftsteller Simon Strauß: Kultureller Clash | |
> Kein Wunder, dass die Debatte um den Autor Simon Strauß so hochgekocht | |
> ist. Hier zeigt sich eine politische Spaltung im jungen Literaturbetrieb. | |
Bild: Rich Kids of Literature: Katharina Holzmann, Sascha Ehlert, David Rabolt,… | |
An irgendeine Wunde muss sie dann wohl doch rühren, die Debatte um den | |
Schriftsteller und FAZ-Feuilletonredakteur Simon Strauß. Eine Woche lang | |
haben sich Literaturredaktionen, Blogger, Verleger und | |
Literaturinteressierte nun an dessen Roman „Sieben Nächte“, an einzelnen | |
Artikeln des Autors zur politischen Großwetterlage und dem von ihm | |
mitinitiierten „Jungen Salon“ in Berlin abgearbeitet, mit der Frage: Macht | |
Strauß rechte und nationalistische Positionen im deutschen Literaturbetrieb | |
(wieder) salonfähig? | |
Man könnte auf die Idee kommen, diese Frage voreilig zu bejahen. Da ist der | |
Schriftsteller Strauß, dessen gegenwartsmüder Erzähler sich in ein | |
heroisches Zeitalter zurücksehnt, in dem Männer mit Argumenten wie mit | |
Schwertern fochten, ihr Steak blutig aßen und für eine Sache brannten. Der | |
in seinen Roman Sätze einstreut wie: „Oben über dem alten Backsteingebäude | |
weht die Deutschlandfahne im Wind und fragt sich, wofür. Warum sich jeden | |
Tag aufs Neue hochziehen lassen, wenn doch keiner zu ihr aufschaut.“ | |
Da ist der Journalist Strauß, der in der FAZ die passende Reportage dazu | |
liefert und das Bild eines dahinsiechenden, unter Merkel verkommenen Landes | |
skizziert, in der der geschundene autochthone Bürger und Bildungsbürger | |
nichts mehr zählt. Und da ist der Salonbetreiber Strauß, der schon mal Götz | |
Kubitschek auf einen Plausch einlud. | |
Natürlich kann man sich aus Strauß einen „Wegbereiter der Rechten“ | |
zusammenbasteln, wie Volker Weidermann, der ihn zunächst abgefeiert hatte, | |
es nun tat. Strauß verstreut die Puzzleteile, die man sich dafür | |
zusammensuchen muss, allzu großzügig, spielt mit den aus der | |
Literaturgeschichte bekannten antidemokratischen Strömungen („Wer von Wut | |
spricht, gerät unter Verdacht, wird zum Antidemokraten abgestempelt“, sagt | |
sein Erzähler). | |
## Das Zerwürfnis zweier literarischer Zirkel | |
Wobei man, wenn man genau wäre, auch dann sagen müsste, Strauß | |
repräsentiere schlicht nur ein – gerade recht populäres – politisches | |
Denkmuster in der Literatur. Es haben bestimmt keine Alexander Gaulands und | |
Jörg Meuthens auf den hoffnungsvollen Jungredakteur und Messias Simon | |
Strauß gewartet, auf dass er ihnen den Weg ebne. Das schaffen die schon | |
ganz gut alleine. | |
Insofern waren es die sehr erwartbaren Reiz-Reaktions-Schemata, die man in | |
dieser Woche beobachten konnte. Die einen sehen einen neuen Faschismus in | |
der Literatur aufziehen, weil einem 29-Jährigen vor der Tastatur ein | |
bisschen langweilig war und er nichts mit seinem Leben anzufangen weiß. Die | |
anderen verteidigen den Autor und sehen „Gesinnungsprüfer“ (Welt) am Werk. | |
Der Furor der Debatte verwundert aber nicht, denn es schwingt mehr mit als | |
nur die erfolgreichen Provokationen von Strauß. Am deutlichsten zeigt sich | |
das Zerwürfnis zweier literarischer Zirkel, die sich zunächst neugierig | |
beschnupperten und sich im Verlauf dieser Debatte heillos zerkrachten: Der | |
Strauß’sche Kreis auf der einen Seite und die Berliner Literaturgruppe | |
„Rich Kids of Literature“, die sich rund um den Korbinian Verlag und die | |
Redaktion des Magazins Das Wetter gebildet hat, auf der anderen Seite. | |
## Berliner Mischung, Bohemeanstrich | |
Beide sind aus der gleichen Generation, um die 30, und beide beziehen sich | |
irgendwie auf die Romantik. Nur die einen nennen es Neoromantik (Strauß) | |
und die anderen „Ultraromantik“. „Ultraromantik“ heißt ein von Korbini… | |
herausgegebenes Manifest, in dem Autor Leonhard Hieronymi sich in Manier | |
der Dadaisten und Futuristen eine Synthese von Romantik und Science-Fiction | |
herbeifantasiert. Strauß hatte es als Inspirationsquelle genannt, der | |
Guardian – und dann die taz – stellten einen Zusammenhang zwischen beiden | |
her. | |
Eigentlich war aber klar, dass das nicht zusammengehen konnte: Hier die | |
„Rich Kids“ und der Korbinian Verlag, ein popkulturnaher Verlag, | |
Hipsterverdacht, in Kreuzberg und gefühlt in Neukölln zu Hause, irgendwie | |
links, völlig unterschiedliche soziale Hintergründe, Berliner Mischung, | |
Bohemeanstrich. | |
Dort der Kreis um Strauß, der der Sohn von Botho Strauß ist, dessen „Junger | |
Salon“ sich bei Weißwein in Berlin-Wilmersdorf zum privaten Gespräch | |
trifft. Mit den Bezugspunkten Deutsche Klassik und Romantik, dem Ruch des | |
Elitären, irgendwie bildungsbürgerlich, sich auf einen vorgeblich | |
unpolitischen, reinen Ästhetizismus berufend. | |
## Auch auf die Väter gucken | |
An der Frage des Politischen clashte es. Auf Facebook. Da bekämpfen sich | |
beide Seiten nun. Die „Rich Kids“ schrieben eine lange Stellungnahme, sie | |
und ihre „Ultraromantik“ wollten nicht länger mit Strauß in Verbindung | |
gebracht werden. Vor allem Strauß’ journalistische Texte glichen „in seiner | |
Vergangenheitsverklärung dem romantisch-nationalistischen Sprech der | |
Identitären“, schrieben Sascha Ehlert und Katharina Holzmann, Betreiber des | |
Korbinian Verlags. | |
Als ich diese Woche mit Ehlert telefonierte, sagte er: „Wir spüren ein | |
Unbehagen gegenüber einer Literatur, die mit martialischen Formulierungen | |
arbeitet und die sich auf ein Männlichkeitsbild des frühen 20. Jahrhunderts | |
bezieht, das viel Unheil hervorgebracht hat.“Strauß’ Reaktion: Ein ebenso | |
langer Post. „Ängstliche Heuchler ohne Rückgrat“ seien sie, „unlauter u… | |
verlogen“. | |
Nimmt man nur mal die unterschiedlichen Klassenhintergründe des | |
Ultraromantikers Hieronymi und des Neoromantikers Strauß hinzu, wird es | |
noch spannender. Es wurde oft darauf hingewiesen, man dürfe Simon Strauß | |
nicht in Sippenhaft nehmen, was natürlich richtig ist. Aber wie man sich | |
eine Sprecherposition als Autor erarbeitet oder nicht erarbeitet, ist schon | |
eine interessante Frage. | |
Hieronymi distanziert sich inzwischen auch von Strauß, er schreibt in einem | |
amüsanten, bislang unveröffentlichten Text in Bezug auf die Debatte: „Ich | |
will, wenn man sich schon Strauß’ Vater ständig anschaut, dass man sich | |
auch meinen anschaut. Mein Vater ist ein humpelnder, zwei Meter großer | |
Gas-und-Wasser-Installateur, der in den letzten zehn Jahren nur ein Buch | |
gelesen hat: ,Das Manifest der Ultraromantik'! Und er sagte zu mir: | |
‚Witzig!‘ Er hat die bisher beste Interpretation meines Buchs geliefert.“ | |
## Faschismusverdacht ist ein Gefallen | |
Das ist mehr als nur ein Nebenkriegsschauplatz , sagt aber nichts aus über | |
Strauß’ politische Haltung. Da ist die Frage: Geht es nicht eine Nummer | |
kleiner, als gleich die Nazikeule rauszuholen? Denn es ist schon richtig, | |
wenn einige nun insistieren, man könne auch mal auf andere Facetten von | |
Strauß eingehen. Da würde man dann feststellen, dass er von einem Björn | |
Höcke immer noch meilenweit entfernt ist, wenn er sich etwa an einem | |
Rolf-Joseph-Preis beteiligt, der an den Schoah-Überlebenden gleichen Namens | |
erinnert. | |
Und mangelnden Pluralismus kann man dem „Jungen Salon“, der sich zwischen | |
2013 und 2016 traf, nicht unbedingt vorwerfen, eingeladen waren zum | |
Beispiel auch Autor und Schauspieler Hanns Zischler und Schriftstellerin | |
Nora Bossong, die man politisch nicht rechts verorten würde. | |
Darauf verweist auch Robert Eberhardt, Mitbetreiber des „Jungen Salons“, | |
mit dem ich diese Woche telefonierte. Bei Kubitschek sei es eben so | |
gewesen, dass man seine Argumentationsmuster habe verstehen wollen, erklärt | |
Eberhardt – im Übrigen sei man im Streit auseinandergegangen. Die meisten | |
Salonmitglieder hätten linke Ansichten vertreten, versichert er. Verwundert | |
ist man dann über seine Aussage, der Salon sei ein „unpolitischer | |
Zusammenschluss“. Wollte man auch mit Götz Kubitschek mal gänzlich | |
unpolitisch diskutieren? | |
Wenn man sich als progressiv und egalitär denkender Mensch versteht, kann | |
man es natürlich unappetitlich finden, wie Strauß und Co. mit Ressentiments | |
und der gesellschaftlichen Stimmung spielen. Den Faschismusverdacht sollte | |
man aber zurückstellen. Damit tut man den Rechten nur einen großen | |
Gefallen. | |
21 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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