# taz.de -- Kulturkritik, Literatur und Politik: Ein Abend für „Sieben Näch… | |
> Nicht jede ästhetische Irritation ist emanzipativ: Auf der Bühne des | |
> Berliner Aufbauhauses diskutierten Autor*innen und ein Philosoph. | |
Bild: Eigentliches Sprechen? Uneigentliches Sprechen? Kunst? Gar Literatur? | |
Das Feuilleton. Die Linke. Die Rechte. Die Literatur. Die Politik. Die | |
Romantik. Das interessante Sprechen und Debattieren fängt immer erst an, | |
wenn es gelingt, solche Allgemeinbegriffe hinter sich zu lassen und konkret | |
zu werden. | |
Am Dienstagabend saßen der FAZ-Redakteur und Journalist Simon Strauß, die | |
Schriftstellerinnen Nora Bossong und Julia Franck sowie der Philosoph | |
Wolfram Eilenberger auf der dunklen Bühne des Berliner Aufbauhauses, um | |
laut Ankündigung über Literatur und Politik zu reden, in Wahrheit aber | |
natürlich über [1][die kontroverse Debatte] um Simon Strauß, die [2][in der | |
taz ihren Ausgang] nahm, und gleich noch über [3][das Gedicht „Avenidas“] | |
von Eugen Gomringer. | |
Das war eine seltsame Konstellation. Weder saß jemand, der Simon Strauß | |
eine Nähe zur Neuen Rechten vorgeworfen hatte, auf dem Podium noch jemand, | |
der sich für die Abhängung des Gedichts von der Wand der Berliner | |
Alice-Salomon-Hochschule eingesetzt hat. Aber immerhin rührte die | |
Diskussion an Punkte, an denen es konkret wurde oder zumindest hätte werden | |
können. | |
Beim „Avenidas“-Fall war das eindeutiger. Wolfram Eilenberger legte, | |
rhetorisch beeindruckend, einen Rundumschlag vor gegen Identitätspolitik, | |
die Hermeneutik des Verdachts und die Tendenz, jedes Kunstwerk auf Macht- | |
und Opferverhältnisse abzuklopfen, da brachte Julia Franck die konkreten | |
Aspekte ins Spiel. | |
Das Gedicht wurde hoch oben an der Wand einer Hochschule für | |
Sozialpädagogik, die hauptsächlich von Frauen besucht wird, angebracht. | |
Dass das Gedicht selbst für sie nicht sexistisch sei, machte Franck klar. | |
Aber die Studentinnen der Hochschule könnten gar nicht anders, als die | |
lyrischen Akteur*innen der „Frauen“, der „Blumen“ und des „Bewunderer… | |
Kommentar auf sich zu beziehen. | |
## Sehnsucht nach einem eigentlichen Sprechen | |
Das war ein deutlicher Hinweis darauf, in diesem Fall nicht gleich | |
Dammbruch, Zensur oder Meinungsterror aus der Opferposition heraus zu | |
vermuten und sich in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen, ob dieser Ort | |
wirklich der richtige Platz für dieses Gedicht ist. Niemand will es ja ganz | |
verbieten. | |
In Bezug auf Simon Strauß gab es am Dienstag wenigstens einen Moment, an | |
dem so ein Hinweis auf die Umstände des Einzelfalls explizit fehlte. Wieder | |
bleibt einem Wolfram Eilenberger als rhetorisch durchschlagskräftigster | |
Podiumsteilnehmer im Gedächtnis. | |
In seiner Lesart hat Simon Strauß mit seinem Roman „Sieben Nächte“ das | |
Risiko auf sich genommen, sich dem allgemeinen „Diktat der Ironie“ zu | |
entziehen und die Sehnsucht nach einem eigentlichen Sprechen zu | |
artikulieren – und dafür wurde er, so Eilenberger, unter ein „politisches | |
Gestell“ gestellt, sprich in die Nähe der Neuen Rechten gerückt. | |
## „Gemeinschaftsverlust als Selbstverlust“ | |
Um alle Aspekte des Einzelfalls zu berücksichtigen, wäre schon gut gewesen, | |
darauf hinzuweisen, dass es zuvor die Befürworter des Buches gewesen sind, | |
die das reine Literaturspiel verlassen und das Buch als Ereignis gelesen | |
haben. Es waren Florian Illies in der Zeit und Volker Weidermann im Spiegel | |
(bevor er sich von Strauß wieder distanzierte), die den Roman in die Nähe | |
eines Generationenmanifestes rückten. Das beschwerte das Buch sehr. | |
Und vor allem darf da auch jemand, der, so wie ich, die Anwürfe gegen Simon | |
Strauß viel zu heftig fand, einmal nachfragen, ob es denn im Moment des | |
Aufkommens der AfD gut und richtig ist, „Gemeinschaftsverlust als | |
Selbstverlust“ darzustellen – eine Wendung, die Eilenberger auf die | |
heroischen Erzähler des frühen 20. Jahrhunderts münzte, die man aber auch | |
dem Erzähler der „Sieben Nächte“ unterstellen kann. | |
Simon Strauß selbst bezeichnete seinen Roman am Dienstag als „Suchanfrage“, | |
wie man heutzutage ein Bewusstsein seiner selbst erlangen kann. Darüber | |
ließe sich immer reden, auch über die Umwege, die es dazu braucht. Aber als | |
Suchanfrage an sich selbst war das Buch eben nicht auf dem Markt, sondern | |
als Repräsentant einer neuen Generation. Und in einem Punkt möchte man Nora | |
Bossong, [4][die Simon Strauß in der taz] verteidigte und auf dem Podium | |
hierin doch eine entscheidende Differenz zu ihm markierte, zustimmen: Nicht | |
jede ästhetische Irritation ist gut im Sinne von emanzipativ, sagte sie | |
sinngemäß. Erst wenn man diese Prämisse akzeptiert, wird man differenziert | |
über die Einzelfälle sprechen können. | |
1 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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