# taz.de -- Debatte Vorwürfe gegen Simon Strauß: Hexenjagd auf Nassrasur | |
> Ist ein Autor „rechts“, oder macht man ihn dazu, aus reiner | |
> Überforderung? Gedanken zum Diskurs über meinen Freund Simon Strauß. | |
Bild: Viel von Linksaktivisten gelernt: Aktion der „Identitären“ am Brande… | |
Es ist immer wieder vorgekommen, dass in politisch angespannten Zeiten | |
Staaten mit einer Art Hexenjagd reagierten, überall Sympathisanten | |
radikaler Positionen vermuteten und gegen diese mutmaßlichen Sympathisanten | |
scharf vorgingen. | |
Derlei staatliche Überreaktionen sind oft als Überforderungen gedeutet | |
worden, und da könnte was dran sein. Was aber bedeutet es, wenn in einer | |
öffentlichen linken Debatte so weit überreagiert wird, dass man nicht mit | |
Analyse und Kritik auskommt, sondern mit Unterstellungen und falschen | |
Sympathie-Zuschreibungen? Könnte es sein, dass es sich auch hier weniger um | |
kritische linke Aufklärung handelt als vielmehr um Überforderung? | |
Mir zumindest kam es so vor, als ich in der vergangenen Woche den | |
[1][taz-Artikel von Alem Grabovac las], der dem Autor Simon Strauß Nähe zu | |
neurechten Diskursen vorwarf. Mir schien, als zeigte sich hier vor allem | |
die Schwäche eines linken Diskurses, dem nicht mehr zu erreichen gelingt, | |
was er sich erhofft, nämlich gesellschaftlich etwas zu bewegen, zu | |
gestalten. Oder, um es kleiner zu halten, einiger Autoren innerhalb dieses | |
Diskurses. | |
An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass ich mit Simon Strauß | |
befreundet bin. Also mit dem Autor und FAZ-Redakteur, dessen Nassrasur | |
gerade den Weltfrieden bedroht und dessen semi-erotische Maskenpartys | |
angeblich die liberale Demokratie unterwandern. Simon und ich haben | |
politisch wie ästhetisch unterschiedliche Ansichten, in vier Punkten sind | |
wir uns allerdings einig: Dass wir die AfD für unwählbar halten, keine | |
Sympathien für den Verleger Götz Kubitschek haben, es als sinnvoll | |
erachten, sich mit Positionen, die wir selbst nicht vertreten, dennoch | |
auseinanderzusetzen, und Maskenpartys für tendenziell überschätzt halten. | |
## Angstmache und Unterstellung | |
Ob man mit Rechten reden soll oder nicht, darüber wurde in den letzten | |
Monaten viel debattiert. Es gibt gute und weniger gute Argumente dafür und | |
dagegen. Dass allerdings, wer einmal mit einem Neurechten redet, gleich | |
selbst einer ist, ist kein Argument, sondern reine Angstmache und | |
Unterstellung. Die Diskussion über das Reden mit Rechten hat leider ohnehin | |
nicht dazu geführt, dass die Neue Rechte geschwächt oder reliberalisiert | |
worden wäre, noch ging der demokratische Diskurs gestärkt oder gar mit | |
schlüssigen Antworten daraus hervor. | |
Die Forderung, dass man sich in der Kunst und Literatur wieder stärker auf | |
Fragen der Ästhetik und weniger der Tagespolitik konzentrieren sollte, wie | |
es Simon Strauß im Dezember in einem Artikel forderte, halte ich für eine | |
legitime Überlegung, auch wenn ich seine Sicht nicht zur Gänze teile. | |
Worüber man streiten kann, ist die Frage, ob dafür aus einer Zeitschrift | |
wie Tumult, deren Entwicklung in den letzten Jahren die Grenzen zu | |
rechtsradikalen Positionen überschritten hat, zitiert werden sollte. | |
Oder ob es genügt, sie als solche einzuordnen und dann auf einen Artikel, | |
der gemäßigtere Argumente bereithält, einzugehen. Darüber kann man | |
streiten, das kann man kritisieren, meinetwegen auch scharf, aber bitte mit | |
Argumenten. Die könnten zum Beispiel lauten, dass man so den Herausgebern | |
auf den Leim geht, die gemäßigte Artikel in ihrem Heft platzieren, um es so | |
wieder in den Diskurs zurückzubringen. Ein Streit zwischen Positionen | |
sollte aber das Augenmaß nicht verlieren, denn dadurch erledigt sich der | |
Streit von selbst, er schießt sich ins Aus. | |
Und das ist ein Problem der derzeitigen Debatten, die zum Teil | |
hochemotionalisiert geführt werden, und in denen, so, als könne man dadurch | |
ein Gegengewicht aufbauen, gern mit historischen Vergleichen gearbeitet | |
wird (1913 und 1929 stehen als Jahreszahlen hoch im Kurs) – dabei fallen | |
die Antworten mitunter zu maßgeschneidert für die historischen Probleme aus | |
und es wird zu wenig bedacht, dass sich in der Gegenwart Facetten einiger | |
historischer Entwicklungen wiederholen, aber die Geschichte sich nicht eins | |
zu eins nachstellt. So einfach macht sie es uns nämlich nicht. | |
Antworten auf die Fragen der Vergangenheit zu finden, ist aber bekanntlich | |
leichter als jene auf die Gegenwart, deren Entwicklungen wir noch nicht im | |
Ganzen übersehen können. Eine Strategie zur Vereinfachung der Aufgabe kann | |
dabei ganz gewiss nicht sein, Bewertungskategorien durcheinanderzubringen, | |
die des Ästhetischen, des Politischen und des Moralischen miteinander zu | |
verquicken. Das führt zur Ungenauigkeit der Argumente, nicht zu besseren | |
Antworten. | |
## Sollen Linke von Rechten lernen? | |
Es ist augenfällig und bereits vielfach bemerkt worden, dass sich die | |
neurechte Bewegung ursprünglich linker Aktionsformen bedient. Die Besetzung | |
des Brandenburger Tors hätte man vor ein paar Jahren vor allem Greenpeace | |
zugetraut, nun lässt dort die Identitäre Bewegung ihre Fahnen wehen. | |
Können, sollen nun im Gegenzug die Linken von den Rechten lernen? | |
Jedenfalls sollten sie nicht Angriffsformen wie die politische Hexenjagd | |
adaptieren. | |
Wenn allerdings das Träumen bereits zum antiliberalen Diskurs gehören | |
sollte, dann könnte linke Politik vielleicht doch etwas lernen oder, anders | |
gesagt, sich etwas zurückerobern. Sie könnte, anstatt bloß zu schlafen, zum | |
nüchternen Träumen zurückkehren, einem Träumen, das sich weder von Angst | |
noch von Irrationalität leiten lässt, sondern von einem | |
Verantwortungsgefühl der Zukunft gegenüber. Dann bräuchte man sich nicht | |
vornehmlich um das Gefühl drehen, von rechts überrollt zu werden, sondern | |
würde wieder stärker eigene Zukunftsideen entwickeln, politische wie | |
ästhetische. Dann muss man nicht nach Gefahren suchen, um gegen sie | |
anzuschreiben. Man könnte für etwas schreiben, öffentlich darüber | |
nachdenken, wie die Zukunft aussehen sollte. | |
Gegen Maskenpartys kann man sich im Übrigen in unserem Rechtsstaat von der | |
Polizei schützen lassen: wenn man Anwohner ist und die nächtliche Ruhe | |
gestört wird. Dann kommen zwei Streifenbeamte vorbei – aber es rückt nicht | |
gleich der Verfassungsschutz an. | |
18 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-zum-Schriftsteller-Simon-Strauss/!5472546 | |
## AUTOREN | |
Nora Bossong | |
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