# taz.de -- Kulturkritik-Band „Kein schöner Land“: Vergesst Deutschland! | |
> Ein Kreis von Leuten um den Autor Simon Strauß sorgt sich um den | |
> kulturellen Zustand des Landes. Worauf wollen die Autor_innen bloß | |
> hinaus? | |
Bild: „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“: Neoromantiker Strauß bemü… | |
Erst einmal ist da Caspar David Friedrich, genauer gesagt dessen Gemälde | |
[1][„Der Watzmann“]. In saftiges Grün getunkte grüne deutsche Romantik, | |
moosbewachsenes Gestein, in den Himmel ragende Berge – so prangt das Bild | |
auf dem Buchumschlag. | |
Hineingeritzt in diese Landschaft findet sich, mit Rekurrenz auf | |
Volksliedgut aus der gleichen Epoche, der vielsagende Name dieses kleinen | |
Bändchens: [2][„Kein schöner Land. Angriff der Acht auf die deutsche | |
Gegenwart.“] Was bloß verbirgt hinter diesem retroteutonischen Design mit | |
dem aufgeplusterten Titel? | |
Es ist ein Kreis von Leuten um den Schriftsteller und FAZ-Redakteur Simon | |
Strauß, der dieses Buch mit gesammelten Kulturkritiken kürzlich | |
publizierte. Strauß ist seit der [3][kontroversen Debatte um sein Werk | |
„Sieben Nächte“] (2017), in dem er bereits ein poesievolleres Gestern | |
beschwört, ein Name im Literaturbetrieb; zuletzt war er von | |
Italiensehnsucht geplagt („Römische Tage“). | |
Jetzt ist er einer von acht, die in Essays den Zustand der deutschen | |
Gegenwart sezieren wollen – nach den Kapiteln Essen, Mode, Theater, | |
Literatur, Politik, Kunst, Popmusik, Film und Fernsehen geordnet. Einige | |
der Autor_innen kennt man aus Pop-Diskursen (Daniel Gerhardt) und | |
feministischen Debatten (Annekathrin Kohout), dann sind da Strauß-Brüder im | |
Geiste wie Leander Steinkopf. | |
In alter Intellektuellen-Salontradition traf sich dieser Kreis an der Isar | |
in München und am Berliner Savignyplatz zum Austausch und ernannte sich | |
selbst (ohne Gegenstimmen) zur neuen G8 der deutschen Kulturkritik. | |
## Habitus-Pflege und Gegenwartsdiagnostik | |
Vordergründig geht es in den Texten nicht um eine Rückbesinnung auf die | |
deutsche Romantik, wie man bei der Gestaltung denken könnte, sondern es | |
geht – jenseits der Habitus-Pflege – um Gegenwartsdiagnostik. Man erfährt, | |
wie unterentwickelt „die“ deutsche Kultur in allen Sparten ist. Vielem kann | |
man sogar zustimmen. | |
Der konstatierten Unfähigkeit, sich hierzulande modebewusst zu kleiden (von | |
einem „unförmigen Einheitsbrei aus grauen, braunen, schwarzen Stofffetzen“ | |
spricht Quynh Tran), kann man genauso folgen wie der Kritik von Katharina | |
Herrmann an der Literaturvermittlung und ihrem Plädoyer für Vielstimmigkeit | |
und niedrigschwelligen Zugang zur Literatur. An Daniel Gerhardts | |
Einlassungen über den reaktionären deutschen Pop ist auch nichts falsch. | |
Neu ist all das aber nicht. | |
Wie aber die genannten progressiven Stimmen mit Autoren wie Strauß oder | |
Steinkopf zusammenpassen, bei denen immer auch Kulturkonservatismus und | |
(Post-)Moderneekel mitschwingen, ist ein Rätsel. Strauß etwa befasst sich | |
im Band mit der hiesigen Theaterlandschaft. Wenn nun ein nicht gerade | |
unterprivilegierter Autor wie er sich von vielen großen Bühnen ausgerechnet | |
das hochdiverse Berliner Gorki herauspickt („das erste deutsche identitäre | |
Theater“) und damit Aussagen über das deutsche Theater generell treffen | |
will, dann hat das eine Schieflage und ist lächerlich. | |
Da möchte man dem Gorki, selbst wenn man es nicht über die Maßen feiert, | |
reflexhaft zur Seite springen. Auch die Volksbühnen-Besetzer zieht er als | |
Beispiel heran. Beide Phänomene kritikwürdig, beide aber eine | |
Ausnahmeerscheinung. | |
Steinkopf wiederum, der (zu Recht) das hiesige kulinarische Ödland beklagt, | |
nutzt diese Kritik, um gegen den schlimmen biogrünen Zeitgeist zu | |
polemisieren: „Noch viel mehr reicht das Prinzipielle nun in das Essen der | |
Deutschen hinein: Tierwohl, Insektenvielfalt, Klimaneutralität und was | |
sonst noch der Gutwerdung der Gehorsamsgermanen dienen soll“, schreibt er. | |
Eine Kritik, die alt klingt und auch so riecht. | |
Aber entscheidend ist ja, was für ein Kulturbegriff hier überhaupt | |
postuliert wird. Da wird es spannend. Denn warum sollte man im 21. | |
Jahrhundert noch in Kategorien von Nationalkultur denken? Alle acht | |
Aufsätze tun dies, und das ist im digitalen, globalisierten Zeitalter | |
absurd, bei Genres wie Pop wird es grotesk. Hört doch mal auf mit diesem | |
Deutschlandquatsch! Da war die dadaistische Internationale vor 100 Jahren | |
schon weiter. | |
Fraglich nur, warum Autor_innen wie Gerhardt („Popmusik in Deutschland […] | |
muss queer, migrantisch und feministisch sein“, schreibt er), Herrmann oder | |
Tran, die den Multikulturalismus als modische Chance begreift („die neuen | |
Deutschen, die aus Osteuropa, dem Mittleren Osten, Asien oder Afrika kommen | |
[…], bringen Farbe in das Grau“, bemerkt sie), sich hier wiederfinden. Denn | |
der Kulturbegriff, den Strauß und Co. vertreten, ist eher elitär als | |
egalitär, eher reaktionär als visionär – wie der wohl leider ironieferne | |
Einband des Buches bereits suggeriert. | |
29 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Watzmann_(Gem%C3%A4lde) | |
[2] https://www.chbeck.de/steinkopf-angriff-acht-deutsche-gegenwart/product/276… | |
[3] /Debatte-Schriftsteller-Simon-Strauss/!5474460/ | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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