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# taz.de -- Debatte Schriftsteller Simon Strauß: Hurra, der Streit ist da
> Der FAZ-Redakteur Strauß bedient die Agenda der Rechten? Was der
> Radikalismusvorwurf gegen ihn verkennt.
Bild: Beschwört Simon Strauß in seinem Debüt wirklich wehende Deutschlandfah…
Bedient und verstärkt Simon Strauß, FAZ-Feuilletonredakteur und Autor des
Erfolgsromans „Sieben Nächte“, neorechte Ideen, [1][wie Alem Grabovac vor
einigen Tagen mutmaßte?] Sollte da etwas dran sein, könnte Strauss
jedenfalls jubilieren; schließlich ist [2][sein gefeiertes Debüt] eine
einzige Klage über eine als konturenlos und flau wahrgenommene Gegenwart.
Was also wäre befriedigender, als nun eine radikale Position zumindest
zugeschrieben zu bekommen? Das gilt sogar dann, sollte mit jenem
Debattenbeitrag wieder einmal der Beweis erbracht worden sein, dass gerade
ein Milieu, das derart viel auf „Diskurs“ setzt, die Grenzen desselben
rigoros selbst ziehen möchte. Doch auch in diesem Falle: Hurra, der lang
ersehnte Streit ist da!
In Wirklichkeit aber verhält es sich mit den von Simon Strauß
herbeigewünschten „geistigen Schützengräben“, die sich angeblich nicht m…
Konsens-Soße füllen lassen, wie mit vielen anderen Selbstdarstellungen der
bundesrepublikanischen Autorengenerationen vor ihm: Es sind – mehr oder
minder wütende oder ironisch verbrämte – Bitten um Wahrnehmung, die dann
auch prompt gewährt werden. Das ist weder russisches Roulette noch Poker,
sondern ein seit Jahrzehnten aufgeführtes Spiel, das vor allem anderen auf
Distinktionsgewinn setzt.
Wurden nicht bereits vor zwei Jahrzehnten die provozierend freundliche
„Generation Golf“ und die (schon unsympathischeren) Schnösel der damaligen
„Popliteratur“ für ihr vermeintliches Aufkündigen des gesellschaftlichen
Grundkonsens – was auch immer dies sei – streng gerügt? Die damaligen
Alarm-Texte: wiederzufinden im Archiv. Die damaligen Protagonisten: längst
Teil der gesellschaftlichen „Mitte“, beschäftigt mit himmelstürzenden
Veröffentlichungen über Familienurlaub, Ehescheidungen oder überwundene
Kokainsucht.
Dass nun Florian Illies, eindeutig der Reflektierteste dieser
Alterskohorte, in der Zeit Strauß’ „Sieben Nächte“ zum nunmehr neuesten
Generationswerk adelt und der 29-jährige Autor seine Ideen von Streit,
Kampf und Leidenschaft auf allerlei Podien präsentiert, hat deshalb weniger
mit einem „intellektuellen Rechtsruck“ zu tun als mit dem untrüglichen
Gespür eines auch weiterhin ethnisch und sozial homogenen
Mittelschichtmilieus: Ob jung oder älter, raunend konservativ,
forschneoliberal oder auch genderbewusst links – man weiß, wer dazugehört.
We are family!
## Der selbsterklärte Außenseiter
Urkomisch daran ist vor allem eines: Wer diese Offensichtlichkeit
verbittert beklagt, anstatt sie als gesellschaftliche Usance kühl zu
konstatieren, will in den meisten Fällen oftmals nur eines: ebenfalls
endlich hinein in jenes Gewoge, wo (laut Strauß) „Festanstellung und
Spa-Wochenenden im Mai“ entweder „Angst“ gerieren oder bereits als
Zukunftsoption eingepreist sind.
Der selbsterklärte Außenseiter und Zwischen-den-Stühlen-Sitzer (mit der
uneingestandenen Hoffnung auf einen Ohrensessel) ist dabei sowohl eine
linke als auch eine rechte Figur, trotz aller Unterschiede verbunden in der
Manie des permanenten Unter-Verdacht-Setzens, einer gewissen Nöligkeit und
einsamen Grübelei, deren Referenztexte ebenso gut von Ernst Jünger wie von
Bret Easton Ellis stammen können. (Kein Wunder, denn ebenfalls Ausweis
eines Bewusstseins, das selbst im angeblich Widerborstigen stets um Pose
bemüht ist, dass wirkliche Typen wie etwa Jörg Fauser oder der polnische
Erzähler Marek Hłasko es nicht einmal in Äonen auf eine solche
Referenzliste schaffen würden.)
Alem Grabovac’ Einspruch freilich ist ernsthafterer Natur, denn in der Tat
ist es bedenklich, wenn erklärte Illiberale wie der
Blut-und-Boden-Propagandist Götz Kubitschek plötzlich in hauptstädtischen
Debattensalons auftauchen.
Andererseits: Weiß man nicht spätestens seit Tom Wolfes „Radical Chic“,
dass das juste milieu, seit jeher an einer gefühlten Anämie leidend, immer
wieder von Schüben selbsthasserisch-verdrucksten Kokettierens heimgesucht
wird? Was früher die Black Panther oder Andreas Baader und die RAF waren,
sind nun – vermutlich ebenso temporär – die Hassprediger im Umkreis von
Zeitschriften wie Tumult. (Wobei auch hier interessant wäre, deren Texte
mit ideologisch spiegelbildlichen Verfertigungen aus Konkret oder „Junge
Welt zu vergleichen.)
## Bestimmte Milieus erkennen einander
Jetzt aber endlich zum Geständnis: Ich habe Simon Strauß’ nächtliche
Großstadtsuche nach einem intensiveren Leben mit ebenso großer Heiterkeit
gelesen wie die nachfolgenden, über alle Generationsgrenzen hinweg
preisenden Rezensionen. Ist es nicht rührend, wenn bestimmte Menschen und
Milieus einander erkennen – mitunter sogar im biblischen Sinn? Denn wie
sagte vor ein paar Jahren jener Frankfurter Taxifahrer: „Bei jedem Kongress
gibt’s Fuhren in’ Puff. Nur bei der Buchmesse nie – die vögeln sich
selber.“
Dass nämlich nicht nur bestallte Literaturredakteure, sondern auch der
bloggende Nachwuchs sich in den unter anderem der „Wollust“ (sic!)
gewidmeten Beschreibungen in Strauß’ Roman prompt wiedererkennen, will
etwas heißen. Bleibt nur zu hoffen, dass sie alle niemals erfahren, was die
Gewitzt-Wagemutigen unter den nach Deutschland Geflüchteten oder auch die
in Berlin einfach urlaubenden Latinos/Latinas oder Israelis über ihre
teutonischen Altersgenossen zu berichten wissen – bei versonnenen
Danach-Gesprächen auf den Liegen im „Kit Kat Club“ oder im Loungebereich
der Schwulensauna „Boiler“.
Denn bei eventuellem Mithören all dieser Erlebnisse über seelische
Verkantungen, erotische Indifferenz (ganz zu schweigen von den Details über
mangelnde körperliche Hygiene bei den Sprösslingen einer derart auf
linksrechte Bio-Reinheit bedachten Nation) könnte dann im soften Milieu
vielleicht doch noch so richtig Wut ausbrechen. Und … Tumult.
15 Jan 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Marko Martin
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