# taz.de -- Räumung der besetzten Schule: Was bleibt vom Protest? | |
> Fünf Jahre dauerte das Tauziehen um die von Flüchtlingen besetzte Schule. | |
> Auf der Strecke geblieben sind dabei die großen Ziele der Bewegung. | |
Bild: Auf der Demonstration am Donnerstagmorgen | |
Es ist das stille Ende eines langen Kampfes. Nach mehr als fünf Jahren ist | |
die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg nicht mehr besetzt. | |
Eine Räumung war am Ende gar nicht nötig: Die Besetzer verließen das | |
Gebäude schon am Vorabend des angekündigten Termins. Im engeren Sinne des | |
Wortes freiwillig, im weiteren ganz und gar nicht: Sich der Räumung zu | |
widersetzen war zum Schluss keine Alternative mehr – viel zu gering ist die | |
verbliebene Unterstützung, die restliche Aufmerksamkeit. | |
Im Rückblick auf die vergangenen fünf Jahre wäre es leicht, die Tage zu | |
glorifizieren, als das anders war: Als die Flüchtlinge im Herbst 2012 nach | |
ihrem langen Protestmarsch von Würzburg nach Berlin in der Stadt ankamen, | |
herrschte Aufbruchstimmung. Als sie im Dezember 2012 das leer stehende | |
Gebäude der ehemaligen Schule besetzten, war das ein Signal der Stärke der | |
Bewegung. Und als sich im Juni 2014 Hunderte Menschen tagelang in | |
Straßenblockaden der drohenden Räumung widersetzten, während die Besetzer | |
auf dem Dach der Schule ikonische Bilder schufen, fühlte es sich an, als | |
wäre das rebellische Kreuzberg für ein paar Sommertage auferstanden. | |
Doch in einer solchen Betrachtung des Bewegungszyklus ginge einiges | |
verloren. Verloren ginge, dass er von Anfang an nicht richtig gelang, der | |
Schulterschluss zwischen selbstorganisierter Flüchtlingsbewegung und | |
mehrheitlich deutscher Linker. Einerseits wurden die Kraft und Relevanz der | |
Flüchtlingsbewegung vonseiten der deutschen Linken unterschätzt, ja | |
ignoriert: Dass es sich hierbei nicht um aus reinem Eigeninteresse | |
befeuerte Partikularkämpfe handelte, sondern um eine Bewegung mit dem | |
Potenzial, die deutsche Asylpolitik herauszufordern, wurde viel zu wenig | |
erkannt. | |
Andererseits verlor sich die Bewegung zum Teil in identitätspolitischen | |
Debatten, die die eigene – im Grunde marginale – Position innerhalb der | |
Gesellschaft völlig außer Acht ließ. Die Reflexion interner | |
Machtverhältnisse, Aufgabenteilung und Sprechpositionen war nötig, doch | |
viel zu oft erschien es, als wäre Selbstzerfleischung das eigentliche Ziel | |
dieser Diskussionen. Eine nachhaltige Bewegung zu schaffen, die auch über | |
eine heiße Phase der politischen Auseinandersetzung hinaus bestehen würde, | |
konnte so nicht gelingen. Stattdessen verheizten sich viele AktivistInnen | |
selbst und gegenseitig. | |
Dieses Verheizen, das frustrierte Aufgeben und Sich-zurück-ziehen vieler | |
allein der Bewegung anzukreiden, wäre allerdings ein großer Fehler. Denn | |
deren Überforderung rührte und rührt bis heute unmittelbar aus den | |
gesellschaftlichen Umständen, in denen sie sich bewegt. | |
Da sind die Nöte und Ängste der Flüchtlinge, die so existenziell sind, dass | |
im Sommer 2014 alle wussten, dass die Ankündigung einiger Besetzer, bei | |
einer tatsächlichen Räumung vom Dach der Schule zu springen, keine leere | |
Drohung war. Menschen, die schlimmste Gewalterfahrungen aus ihren | |
Heimatländern, auf der Flucht erlittene Traumata und die akute Verzweiflung | |
über die Ausweglosigkeit ihrer Situation mit sich herumtragen. | |
Und da ist eine Gesellschaft, die davon im Großen und Ganzen nichts wissen | |
will. Ein Senat, der mit falschen Versprechungen die Bewegung zu spalten | |
wusste. Ein Bezirk, der mal keine Handlungsspielräume hatte und sie mal | |
falsch nutzte. Und, auch das muss man sagen, KreuzbergerInnen, die sich | |
vielleicht für die Unterstützung eines syrischen Arztes erwärmen können, in | |
Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern aber vor allem kriminelle | |
Drogenhändler sehen. | |
Das sind Bedingungen, die alles andere als einfach sind. Die AktivistInnen | |
vom Protestmarsch, die BesetzerInnen des Oranienplatzes und die | |
BewohnerInnen der Hauptmann-Schule haben es geschafft, den Kampf der | |
Flüchtlinge aus der Isolation der Provinz in die Hauptstadt zu tragen. | |
Daraus eine nachhaltige Bewegung zu schaffen, ist eine Aufgabe, die sich | |
nach wie vor stellt. | |
Die Rahmenbedingungen sind dafür heute kein Stück besser als damals, als | |
die Schule besetzt wurde. Im Gegenteil: Seitdem jagte eine | |
Asylrechtsverschärfung die nächste, die Forderung nach offenen Grenzen | |
stößt bis weit ins linksliberale Lager auf Widerspruch, die | |
Flüchtlingsbewegung hat ihre Orte in Berlin verloren, und wer in Kreuzberg | |
auch nur einen Hering in eine Wiese schlägt, darf mit einem Großaufgebot | |
der Polizei rechnen. | |
Umso wichtiger ist es, die Erfolge der Bewegung nicht aus den Augen zu | |
verlieren: So ist mit dem International Women Space in der | |
Gerhart-Hauptmann-Schule eine Vernetzung geflüchteter Frauen entstanden, | |
die nicht nur bis heute besteht, sondern sogar wächst und sich um | |
neuankommende Frauen erweitert. Dass die zwölf verbliebenen Bewohner doch | |
noch ein Bleiberecht erhalten könnten, ist es auch. Bis auf weiteres werden | |
es wohl diese kleinen Erfolge bleiben, an die die Bewegung sich halten | |
muss. | |
11 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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