# taz.de -- Tödliche Messerstiche in Kandel: AfD befeuert hysterische Debatte | |
> Den Tod einer 15-Jährigen schlachtet die AfD brutal aus, lange bevor | |
> Einzelheiten klar sind. Dem umkämpften Familiennachzug fehlt dabei jede | |
> Lobby. | |
Bild: Zeit zu trauern? Nicht für die AfD | |
Frankfurt am Main taz | In Berlin versucht am vorvergangenen Mittwoch ein | |
19-Jähriger, seine Ex-Freundin in der Havel zu ertränken, in Darmstadt | |
sticht zwei Tage später ein 16-Jähriger auf seine ehemalige Freundin ein | |
und verletzt sie lebensgefährlich, an diesem Mittwoch tötet im | |
rheinland-pfälzischen Kandel ein 15-Jähriger mit einem Küchenmesser ein | |
gleichaltriges Mädchen in einem Drogeriemarkt. | |
Weil diese drei Taten von jugendlichen Asylbewerbern aus Afghanistan | |
ausgehen, befeuern sie die ohnehin teilweise hysterisch geführte Diskussion | |
über die Gefahren, die angeblich von Asylbewerbern ausgehen. [1][Vor allem | |
AfD-PolitikerInnen instrumentalisieren das Geschehen für ihre Polemik gegen | |
die Ausländerpolitik und die angeblich zu milde Strafjustiz.] | |
Im Kandeler Fall werden Behörden und politisch Verantwortliche allerdings | |
einige offenen Fragen beantworten müssen. Es ist früher Nachmittag, als am | |
ersten Geschäftstag nach Weihnachten der 15-Jährige und seine ehemalige | |
Freundin in einem Drogeriemarkt in Kandel aufeinander treffen. Der junge | |
Mann stammt aus Afghanistan. Er ist im April 2016 als unbegleiteter | |
Flüchtling nach Deutschland eingereist. Nach Erstaufnahme und | |
vorübergehender Unterbringung lebt er seit drei Monaten in einer Jungen-WG | |
in Neustadt an der Weinstraße. | |
Der spätere Täter und sein Opfer sind zeitweise ein Paar. Anfang Dezember | |
beendet das 15-jährige Mädchen die Beziehung. Der junge Mann will das nicht | |
akzeptieren und bedroht seine Exfreundin. Die Eltern des Mädchens zeigen | |
ihn Mitte Dezember an, wegen Beleidigung, Nötigung, Bedrohung und | |
Verletzung persönlicher Rechte. Die Polizei geht der Sache nach. Sie nimmt | |
Kontakt mit dem jungen Mann auf, am 17. Dezember telefonisch und „am 18. | |
Dezember persönlich“. | |
Von einer „Gefährderansprache“ spricht Polizeivizepräsident Eberhard Weber | |
bei der Pressekonferenz am Tag nach der Tat. Dabei wird der mutmaßliche | |
Stalker eindringlich auf die Rechtslage hingewiesen, mit der Androhung von | |
Sanktionen. „In aller Regel fruchten solche Ansprachen“, so Weber. Doch | |
diese Affäre gerät außer Kontrolle. Angeblich zufällig treffen die beiden | |
am Mittwoch nach Weihnachten in der Drogerie in Kandel aufeinander. Es | |
kommt zum Streit. Der junge Mann zieht ein Messer und sticht zu. | |
Polizeivizepräsident Weber versichert trotzdem, es gebe „keine | |
Anhaltspunkte für Versäumnisse der Behörden.“ | |
## AfD-Bundesvorsitzende Weidel schaukelt sich in Rage | |
Die Landtagsfraktion der rechtspopulistischen AfD hat ihr Misstrauen | |
vorsorglich zu Protokoll gegeben, noch bevor Polizei und Staatsanwaltschaft | |
über die Fakten informiert hatten. Die Fraktion hat einen Berichtsantrag an | |
das Integrations- und an das Innenministerium gestellt. Es wird also in den | |
zuständigen Ausschüssen zu einem parlamentarischen Nachspiel kommen. | |
Die AfD-Bundesvorsitzende Alice Weidel ist da schon weiter. Sie fordert | |
zwar „Transparenz“, beklagt indes bereits abschließend, dass der „Angriff | |
als Beziehungstat relativiert“ werde, und fügt hinzu: „Vermutlich werden | |
wir in den nächsten Stunden noch erfahren, dass der Täter psychisch labil | |
sei und eine schwere Kindheit hatte.“ Das Echo in den sozialen Medien ist | |
entsprechend. Da wird pauschal gegen die „Kuscheljustiz“ polemisiert, von | |
einer „chronischen Toleranzhypnose“ ist die Rede. Männern aus Afghanistan | |
wird generell ein „höherer Eifersuchtsquotient“ bescheinigt. | |
[2][Der Familiennachzug] für die Angehörigen asylsuchender Kinder und | |
Jugendlichen hat da längst keine Lobby mehr. In Kandel hat der Tod des | |
jungen Mädchens viele geschockt. Eine solche Gewalttat habe es noch nie | |
gegeben, versichert der Verbandsbürgermeister. Die Menschen zeigen Trauer | |
und Mitgefühl. Vor dem Drogeriemarkt, dem Schauplatz der dramatischen | |
Ereignisse, haben sie Kerzen aufgestellt und Blumen niedergelegt. | |
29 Dec 2017 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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