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# taz.de -- Demo gegen AfD-Aufmarsch in Kandel: In der Überzahl gegen die Rech…
> Rund drei Monate nach dem Mord an einer 15-Jährigen haben etwa 2.000
> Menschen gegen Rechts demonstriert. Die Bevölkerung ist gespalten.
Bild: Rund 2000 Gegendemonstranten gingen am Samstag auf die Straße; Rechte wa…
Kandel taz | Tarek sagt, Kandel sei austauschbar. Die Nazis, die wollten
expandieren, in den Westen. Und weil in Kandel nun einmal der Mord passiert
sei und weil dieser Mord den Rechten einen guten Aufhänger bieten würde,
deswegen seien sie nun eben hier. „Es hätte auch jeden anderen Ort treffen
können.“ Und deshalb ist auch Tarek hier, wiederum, weil er „den Nazis
nicht die Straße überlassen möchte.“ Er will sie blockieren. Am besten:
sofort.
Tarek steht in einer kleinen Gasse in der Nähe des Kandeler Bahnhofs, in
der Hand eine rote Fahne, und blickt auf die Polizistenreihen vor ihm.
Gerade hat das Bündnis „WIR sind Kandel“ seine Demonstration beendet, und
Tarek und seine Mitstreiter sind weitergezogen, in Richtung einer anderen
Kundgebung, die wiederum in der Nähe der Route der Demonstration von
„Kandel ist überall“ liegt.
Aber weil „Kandel ist überall“ ein rechtes Bündnis ist und Tarek und seine
Mitstreiter linke Gegendemonstranten sind, hat die Polizei die Straße
gesperrt. Sie lässt ihn und seine etwa 250 Begleiter nicht weiter.
„Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“, skandiert die Menge. Tarek
stimmt mit ein, ein weiterer Polizeiwagen fährt vor, gerade hat die Polizei
mit Pfefferspray die Menge vom Weiterlaufen abgehalten. Ganz schön was los
im kleinen Kandel.
Kandel ist ein beschauliches 9.000-Einwohner-Städtchen in Rheinland-Pfalz.
Letztes Jahr im Dezember hat hier ein junger Mann seine Ex-Freundin
erstochen, die 15-jährige Mia. [1][Und weil der junge Mann Afghane war, hat
das eine große Aufmerksamkeit nach sich gezogen]. Nicht für ermordete
Frauen, sondern für minderjährige Geflüchtete.
## Mehr Gegendemonstranten als Rechte
Der Täter war offenbar älter als in seinen Papieren vermerkt. An der
folgenden Diskussion, ob man minderjährige Asylsuchende zwangsweise röntgen
solle, um ihr Alter festzustellen, haben sich Politiker aus allen Lagern
beteiligt. Im Januar hat es dann die erste Demonstration von Rechten in
Kandel gegeben, kurz darauf die zweite und spätestens, als Anfang März
4.000 AfDler, Identitäre und Neonazis demonstrierend durch Kandel gezogen
sind, schien das Dorf als neuer Wallfahrtsort der Rechten gesetzt zu sein.
Für diesen Samstag hat das Bündnis „Kandel ist überall“, das in seinem
Zehn-Punkte-Manifest zwar keine Verbesserung der Frauenrechte, dafür aber
„Abschiebung jetzt!“, „Schluss mit Multikulti“ und „Deutschland zuers…
fordert, zu einer erneuten Demonstration aufgerufen. Das Bündnis „WIR sind
Kandel“, das „der Flut rechter Netzwerke, die unsere Stadt derzeit
überziehen, etwas entgegensetzen“ will, hat zu einer Gegendemo aufgerufen.
Sogar die Ministerpräsidentin Malu Dreyer ist vorbeigekommen, um eine Rede
zu halten.
Die letzten Male waren die Proteste gegen „Kandel ist überall“ eher klein
gewesen, 500 Gegendemonstranten gegen 4000 Rechte und deswegen ist dieses
Mal größer mobilisiert worden, von Parteien, Gewerkschaften,
antifaschistischen Gruppen. Diesmal sind es mehr Gegendemonstranten (etwa
2.000) als Rechte (1.000 – 1.500) und Tarek, der Antifaschist, ist
einigermaßen zufrieden. Noch zufriedener wäre er allerdings, wenn die
Polizei ihn vorbeilassen würde, aber das scheint sie nicht vorzuhaben.
„Ich finde das furchtbar, was hier passiert“, sagt eine Kandelerin, die aus
ihrem Fenster einen direkten Blick auf den Polizeikessel hat, in dem Tarek
und die anderen Demonstranten darauf warten, weiterlaufen zu können. „Man
blickt überhaupt nicht mehr durch. Jede Woche eine andere Demonstration“,
sagt sie. „Ich würde mir wünschen, dass das endlich aufhört.“ Was genau
aufhört? „Alles.“
## „Alles ist plötzlich politisch geworden“
Eine Meinung, die mehrheitsfähig zu sein scheint in Kandel. „Alles ist
plötzlich politisch geworden hier“, sagt eine Frau, die in ihrem Garten
genau zwischen den beiden Demonstrationen steht. „Ich hätte so gerne meine
Ruhe.“ Und auch auf der Gegendemonstration „WIR sind Kandel“ herrscht eine
gewisse Schicksalsergebenheit vor. „Ich bin froh, dass heute wenigstens mal
ein paar Kandeler demonstrieren“, sagt ein Mann mit einem „WIR sind
Kandel“-Button. „Und nicht nur zugereiste Braune.“ Und die Frau neben ihm
ergänzt: „Ja, das ist toll – aber noch lieber wäre mir, es wäre gar nicht
nötig.“
„Ich kann mir gut vorstellen, dass die Kandeler nicht so begeistert sind
von den ganzen Demonstrationen hier“, sagt Tarek. „Eigentlich geht es ja
hier nicht mehr um das ermordete Mädchen – sondern um die Deutungshoheit
auf der Straße.“
Plötzlich kommt Bewegung in die Menge rund um Tarek, die Menschen drängen
langsam nach vorne, gegen die Polizeikette. Die Polizei versprüht
Pfefferspray, es knallt, Schlagstöcke fliegen durch die Luft. Zwei
Demonstranten, einer mit blutender Nase, tragen eine junge Frau vorbei,
ihre Augen sind verquollen, Pfefferspray. „Wasser, hat jemand Wasser?“. Die
Kandelerin reicht eine Flasche aus dem Fenster. Aber als sie nach ihrem
Namen gefragt wird, schüttelt sie den Kopf und verschwindet.
Später werden die Demonstranten von zwei Verletzten sprechen, die Polizei
von fünf Festnahmen, wegen Widerstandes, eines Böllerwurfes und Beleidigung
und einer wohl von einem „Kandel ist überall“-Demonstranten wegen Zeigen
des Hitlergrußes. Der Kessel mit den Antifaschisten wird nach etwa zwei
Stunden aufgelöst.
Gegen 18 Uhr ist der Bahnhofsplatz wie leer gefegt. Die Kundgebungen sind
vorbei, ein paar Polizisten stehen noch an den Seitenstraßen, drei Männer
bauen die Bühne ab. Daneben steht ein älterer Mann, blickt mit
unzufriedenem Blick über den Platz und sagt: „Wenn das heute das letzte Mal
war, dass hier irgendwer zu dem Thema demonstriert hat, dann war der Tag
wohl ein Erfolg.“
25 Mar 2018
## LINKS
[1] /Toedliche-Messerstiche-in-Kandel/!5473518
## AUTOREN
Laura Meschede
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Anti-AfD-Proteste
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Schwerpunkt AfD
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AfD Niedersachsen
Anti-Rassismus
CDU/CSU
Schwerpunkt Rassismus
Alice Weidel
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