# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Fleisch aus der Retorte | |
> Die Produktion von künstlichem Fleisch gilt als tierfreundlich und | |
> ökologisch. Doch Antibiotika und gentechnische Verfahren bergen Gefahren. | |
Bild: Fleischproduktion geht auch heute schon auf wesentlich weniger brutale Art | |
Im Juli 2016 schaltete ein israelisches Start-up namens SuperMeat eine | |
Crowdfunding-Kampagne im Internet. Es warb für die Finanzierung eines | |
Geräts, für das noch nicht einmal ein Design oder ein Bauplan vorlag – | |
einen Bioreaktor für den Hausgebrauch, der Hühnerfleisch produziert. Die | |
Maschine, so warb ein Video, lasse sich in Supermärkten, Restaurants oder | |
sogar in Privathaushalten aufstellen. Nach nicht einmal zwei Monaten war | |
die Zielmarke von 100.000 Dollar erreicht. Inzwischen hat SuperMeat den | |
Betrag auf eine halbe Million Dollar erhöht. Noch bevor der Schritt von der | |
Vision zum Plan gemacht war, fanden sich genügend Leute, die das Verfahren | |
finanzieren. | |
Das zeigt, wie faszinierend die Idee für viele sein muss, Fleisch zu | |
produzieren, ohne dass dafür ein Tier leiden und sterben muss. „Cultured | |
meat“, „clean meat“ oder zu Deutsch „In-vitro-Fleisch“ sind die | |
Schlagworte, mit denen junge Biotechnologiefirmen aus den USA, den | |
Niederlanden und eben aus Israel derzeit um Investorinnen und Investoren | |
werben. Science-Fiction ist das nicht mehr. Laut den Unternehmen ist es nur | |
noch ein kleiner Schritt, bis Hühnchen-Nuggets, Fischstäbchen oder | |
Burger-Pattys aus der Petrischale in den Supermärkten liegen. | |
Die eigentliche Technologie dahinter ist erprobt. Schon seit Jahren werden | |
Herzklappen, Hautgewebe oder Ohrmuscheln im Labor gezüchtet. Also sollte | |
das auch bei Steaks und Schnitzel klappen, sagten sich die Forscherinnen | |
und Forscher. Die Erzeugung basiert auf Techniken der Zellvervielfältigung | |
und Gewebezüchtung. Sie verläuft wie das sogenannte Tissue Engineering, | |
ganz ähnlich der In-vitro-Produktion von embryonalen Stammzellen. | |
Diese Zellen können sich unendlich oft teilen, wodurch immer neue, | |
identische Zellen entstehen – theoretisch ein grenzenloses Wachstum. Durch | |
eine Biopsie werden einem lebenden Tier Muskelstammzellen entnommen. Diese | |
Zellen werden in einem Nährmedium kultiviert und vermehren sich. Billionen | |
von Stammzellen bilden anschließend Muskelzellen, die zu Muskel- und | |
Fleischfasern zusammenwachsen. Das ist eine Sache von Wochen. Um einen | |
Hamburger zu formen, braucht man etwa 20.000 solcher Fasern. | |
## Bioreaktoren mit hohem Energieverbrauch | |
Die In-vitro-Metzger haben den moralischen Vorteil im Auge, aber sie | |
argumentieren auch ökologisch. Fleisch aus Fabriken, die eher Raffinerien | |
oder Chemieanlagen entsprechen, machen mit der Massentierhaltung Schluss. | |
Die Welternährungsorganisation FAO erwartet, dass sich bis 2050 die | |
weltweite Fleischproduktion auf 465 Millionen Tonnen jährlich nahezu | |
verdoppelt. Bis dahin wird es wohl noch immer viele Fleischesser geben. | |
Daher die Argumente: Kunstfleisch aus dem Bioreaktor sei nachhaltiger | |
herzustellen. Der Energieverbrauch lasse sich um bis zu 45 Prozent | |
gegenüber der konventionellen Fleischherstellung zurückdrehen. Die | |
Emissionen von Treibhausgasen, der Flächen- und der Wasserverbrauch sänken | |
sogar um über 95 Prozent. Aber Angaben in diesen Größenordnungen haben | |
schon revidiert werden müssen, und Studien zufolge könnte der | |
Energieverbrauch der Bioreaktoren deutlich höher sein als der der | |
industriellen Geflügel- und Schweinehaltung. | |
1997 erhielt der niederländische Forscher Willem van Eelen das erste Patent | |
zur Herstellung von In-vitro Fleisch. 1998 folgten Patente in den USA. | |
Einige wenige Biotechfirmen könnten nun den Markt unter sich aufteilen. | |
2013 ging der niederländische Biologe Mark Post mit dem ersten künstlichen | |
Burger an die Öffentlichkeit und lud zur Verkostung. Die Kritik war | |
wohlwollend, der Preis des Gerichts exorbitant. Die ganze Entwicklung | |
eingerechnet, kostete der erste In-vitro-Burger rund 330.000 US-Dollar. Als | |
Finanzier stand der Google-Gründer Sergej Brin hinter dem Projekt. | |
Eine der größten Herausforderungen für die Biotechnologen ist derweil das | |
Nährmedium, in dem das Fleisch wächst. Bislang ist es Kälberserum, das aus | |
den Föten geschlachteter schwangerer Kühe gewonnen wird und voller | |
Wachstumshormone steckt. Aus tierethischer Sicht ist dies problematisch, | |
weil wahrscheinlich auch die Föten zu diesem Zeitpunkt bereits Leid | |
empfinden. In Deutschland ist daher seit Mai 2017 die Schlachtung von | |
tragenden Tieren im letzten Drittel der Schwangerschaft untersagt. | |
SuperMeat gibt an, bereits auf rein pflanzlichen Nährböden Zellen vermehrt | |
zu haben. Noch immer erfordert die Herstellung auch die Zugabe von | |
Antibiotika, denn Bakterien machen auch vor künstlichem Fleisch nicht halt. | |
Die Forscher beschäftigen sich derzeit mit der komplexen Struktur ihres | |
Objekts, um dem Original noch näher zu kommen. Fleisch besteht nicht nur | |
aus Muskelfasern, sie werden von Kollagenen gehalten und von Fettgewebe | |
umhüllt, das auch für den Geschmack verantwortlich ist. | |
Einige Unternehmen haben Verfahren entwickelt, um Fleisch aus Zellen | |
pflanzlicher Herkunft zu gewinnen. Mitte 2017 geriet die US-Firma | |
Impossible Foods mit ihrem fleischfreien Burger in die Kritik. Ihr | |
Geschmacksträger stammte aus einer genetisch veränderten Hefe, die keine | |
Zulassung erhalten hatte. Umweltorganisationen kritisieren, dass die | |
gentechnischen Verfahren für die In-vitro-Fleischproduktion nicht | |
transparent sind. Dennoch – oder gerade deshalb – haben die Technologen in | |
den vergangenen vier Jahren deutliche wirtschaftliche Fortschritte gemacht. | |
Die Kosten von Mark Posts Burger, heißt es, lägen inzwischen bei nur noch | |
11 US-Dollar. | |
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29 Dec 2017 | |
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[1] https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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