# taz.de -- Ankommen in Deutschland: „Habt ein bisschen Geduld mit uns“ | |
> Was macht es mit einem Syrer, wenn die deutsche Politik Abschiebungen | |
> diskutiert? Mohammed Kahled aus Aleppo hält das für Unrecht – er sieht | |
> hier seine Zukunft. | |
Bild: Aleppo in Trümmern: Die syrische Stadt bietet keine Zukunft, von der Sic… | |
taz: Herr Kahled, was würde es für Sie bedeuten, wenn Sie nach dem Dezember | |
2018 in Ihre Heimatstadt Aleppo abgeschoben würden? | |
Mohammed Kahled*: Alles, was ich bisher in Deutschland gemacht habe, wäre | |
verloren. Ich möchte Arzt werden und mache gerade ein Studienkolleg, damit | |
ich in Deutschland Humanmedizin studieren kann. Ich lerne jeden Tag acht | |
oder neun Stunden, gerade viel Physik. Das wäre umsonst. | |
Und die Aussicht auf Syrien? | |
Natürlich habe ich Angst davor, zurück zu müssen. Jeder Mann hat Angst. | |
Haben Sie mitbekommen, dass in der deutschen Politik darüber diskutiert | |
wurde, ob und wann man Syrer abschieben darf? | |
Ich habe es nicht in den deutschen Medien mitbekommen, aber ein Kumpel hat | |
mir davon erzählt. So etwas spricht sich herum. | |
Was denken Sie darüber? | |
Ich halte das für Unrecht. Das Leben in Aleppo ist immer noch sehr schwer. | |
Der Krieg ist nicht vorbei. Die Familie meines Vaters ist immer noch dort. | |
Sie haben keine Arbeit. Der Sohn meiner Tante lebt in Deutschland, der | |
schickt ihnen Geld. In Aleppo wurde ihr Haus zerstört. Zum Glück wurden sie | |
nicht verletzt. Meine Tante lebt jetzt in einer kleinen Wohnung. | |
Skypen Sie oft mit ihr? | |
Nicht jeden Tag, aber ein bis zwei Mal pro Woche. Manchmal sagt sie mir, | |
dass es etwas besser geworden ist. Vor einem Jahr war der Krieg schlimmer. | |
Jetzt gibt es in Aleppo nicht mehr so viele Bomben. | |
Trotzdem wollen Sie nicht zurück? | |
Nein, jetzt noch nicht. Vielleicht später, wenn ich mein Studium beendet | |
und ein bisschen gearbeitet habe. Das Studium will ich auf jeden Fall | |
fertig machen. | |
Demotiviert es Sie, wenn Sie hören, dass Politiker über Abschiebungen | |
diskutieren? | |
Mehr Motivation bekomme ich auf jeden Fall nicht. Die Politiker haben wenig | |
Ahnung von Syrien. Sie haben den Krieg nicht erlebt, sondern nur in den | |
Nachrichten gesehen. Viele junge Männer wie ich können gar nicht zurück | |
gehen, weil wir gesucht werden. | |
Vom wem? | |
Ich habe an einem Aufstand teilgenommen. Es waren friedliche Proteste von | |
Studenten. Manchmal 200 Leute, manchmal 3.000. Wir haben gesagt, dass wir | |
Baschar al-Assad nicht mehr wollen. So lange er an der Macht ist und Syrien | |
eine Diktatur ist, kann ich nicht zurück. | |
Wurden Sie auch als Soldat eingezogen? | |
Ich stand auf der Liste, konnte das aber verhindern, weil ich Student war. | |
Ich habe in Syrien schon ein Semester Informatik studiert. Dann bin ich | |
nach Deutschland gegangen. | |
Wie sind Sie hergekommen? | |
Ich wollte zu meinem Bruder nach Hamburg. Meine Eltern sind in der Türkei | |
geblieben. Wir hatten nicht genug Geld, um alle gleichzeitig zu reisen. Ich | |
bin deshalb allein über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Österreich | |
bis nach Deutschland gereist. Oft zu Fuß, manchmal hat mich jemand im Auto | |
mitgenommen. | |
Fühlen Sie sich hier mittlerweile zu Hause? | |
Ja. Weil ich meine Eltern und meine Brüder hier habe. Sie sind über den | |
Familiennachzug gekommen. Aber ich vermisse Syrien und den Teil meiner | |
Familie, der noch dort ist. Jeder vermisst sein Heimatland. | |
Bis Ende 2018 gibt es laut den Innenministern keine Abschiebung nach | |
Syrien. Danach soll es eine neue Bewertung der Sicherheitslage geben. Die | |
CDU/CSU-Minister würden gerne beginnen, Straftäter und sogenannte Gefährder | |
abzuschieben. Was sagen Sie dazu? | |
Ich finde es richtig, dass Straftäter zurück gehen müssen, wenn der Krieg | |
in Syrien vorbei ist. Das Gleiche gilt für Menschen, die kein Deutsch | |
lernen wollen. Man muss die Sprache beherrschen und eine Arbeit finden, | |
wenn man bleiben will. | |
Aber für Ihre Eltern ist es doch viel schwieriger, Deutsch zu lernen und | |
eine Arbeit zu finden, als für Sie. Sollten die dann gehen müssen, wenn sie | |
sich schwer tun? | |
Nein. Für die Älteren ist es schwer. Man könnte es am Alter festmachen. Zum | |
Beispiel Leute zwischen 18 und 40 Jahren. Wenn die sich nicht integrieren, | |
müssen sie gehen. | |
Haben Sie nicht auch Angst, dass es Sie selbst treffen könnte, wenn | |
Deutschland erst einmal damit anfängt, nach Syrien abzuschieben? | |
Natürlich habe ich das. Wenn man sich integrieren möchte, muss man bleiben | |
dürfen und hier eine Zukunft haben. | |
Wenn Sie den deutschen Politikern etwas sagen könnten, was wäre das? | |
Dass sie ein bisschen Geduld mit uns haben müssen. Syrien wird nicht in | |
einem Jahr wieder sicher sein. Mit den Abschiebungen müssen sie warten, bis | |
der Krieg vorbei ist. Sie müssen auch Geduld mit uns haben, damit wir uns | |
integrieren können. Alles in Deutschland braucht Zeit. Zum Beispiel muss | |
ich warten, bis ich mit dem Studium beginnen kann. Es dauert auch, bis man | |
Deutsch spricht und eine Arbeit hat. | |
*Name geändert | |
26 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
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