# taz.de -- Ausstellung „Tiere“ in Hamburg: Tiere sind auch nur Menschen | |
> Respekt, Harmonie, Unterwerfung: Eine Ausstellung im Hamburger Museum für | |
> Kunst und Gewerbe widmet sich dem Verhältnis von Mensch und Tier. | |
Bild: Eine der Themeninseln geht von einem Fledermaus-Aquarell aus dem Jahr 152… | |
HAMBURG taz | Hätte sich ein noch größeres Thema finden lassen? Um Tiere | |
dreht sich diese Ausstellung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe | |
(MKG) ja nur vordergründig – der Untertitel „Respekt/Harmonie/Unterwerfung… | |
deutet dies mehr als nur an: Ja, man will heran an Großes und ans Ganzes. | |
Ja, hier geht es um ein komplexes Thema, ein kompliziertes Verhältnis, | |
nämlich das des Tieres zum Menschen. Wobei dieser ja, biologisch gesehen, | |
nur ein besonders aufmerksamkeitheischendes Beispiel für jenes ist. Wo | |
endet das Menschliche, wo fängt es an – und was lässt sich darüber lernen, | |
wirft man den Blick auf die Grenze, dorthin also, wo die Tiere wohnen, auch | |
die wilden? | |
Weder chronologisch noch enzyklopädisch sei man dabei vorgegangen, sagte | |
zur Eröffnung MKG-Direktorin Sabine Schulze, „das wäre ja auch gar nicht zu | |
stemmen gewesen“. Als zentral bezeichnen die AusstellungsmacherInnen die | |
Frage: „Wie nah oder fremd sind Mensch und Tier einander?“ Nachgegangen | |
wird ihr erklärtermaßen in Abwesenheit des Menschen: „Er tritt physisch | |
nicht auf in dieser Ausstellung, präsent wird er mit seinen Sehnsüchten und | |
Ängsten in der Darstellung der Tiere.“ | |
Auf Gemeinsamkeit und Unterschied, Verwandtschaft und Trennung stößt den | |
Besucher schon das Plakatmotiv „Orang Utan, Erdbeeren fressend“, 1776 | |
gemalt vom niederländischen Hofmaler Tethart Philipp Christian Haag: der | |
Affe, den Teller in der einen Hand, die Gabel mit der süßen Frucht in der | |
anderen – „Affen und anderen Menschen“ widmet sich im sehr guten Katalog | |
ein ganzes Kapitel. | |
Es ist dies vielleicht die aussagestärkste Facette des Themas: Dem Affen, | |
gerade weil er ihm so nahe ist, unterstellt der Mensch umso bereitwilliger, | |
was er an sich selbst gerne ausblendet, ja: verdrängt. | |
So ist aus der Hochphase des Kolonialismus die Trope von der Entführung | |
(gebärfähiger) Frauen durch Menschenaffen überliefert – eine der jüngeren | |
Variationen des sehr alten Motivs von der Schönen und dem Biest (und eine | |
Art Etappe auf dem Weg hin zu den Diskursen, die bald darauf den nicht | |
weißen Menschen mitsamt all seiner unterstellten Triebe ins Tierreich | |
ausbürgerten). Hier zieht die Ausstellung dann auch die Verbindung in die | |
jüngste, die filmische Vergangenheit: zu „King Kong und die Weiße Frau“ | |
(1933). | |
## Dürer-Bild und Fledermaus-Drohne | |
Organisiert ist „Tiere“ in Themeninseln, die mal einem Motiv folgen, mal | |
auch ganz nahe am Objekt bleiben: Da tritt dann etwa ein lange Zeit | |
Albrecht Dürer zugeschriebenes Fledermaus-Aquarell aus dem Jahr 1522 neben | |
ein 450 Jahre jüngeres Aufhellungspräparat eines Braunen Langohrs – eine | |
Fledermausart aus der Familie der Glattnasen – sowie, beinahe direkt aus | |
den Labors der kalifornischen Eliteuni Cal Tech, ein „Bat Bot“ (2017), was | |
der vorläufig gelungenste Versuch des Menschen ist, die Flugtechnik der | |
Fledermaus in einem Flugroboter nachzubilden und also nutzbar zu machen. | |
Natürlich kommt eine Ausstellung zum Tier nicht vorbei an der Mythologie, | |
an Sphinx und Sirene und Minotaurus, all den Mischwesen also, auf die der | |
Mensch manches Göttliche projizierte, dann wieder zutiefst fleischliches | |
Begehren. Auch die beinahe erwartbaren Felder sind beackert, so gibt es | |
etwa auch eine Themeninsel zu Rolle und Rang der Katze im alten Ägypten, | |
mit kleinem Sarg, vierbeiniger Mumie und allem Pipapo. | |
Was man angesichts der vielen Objekte erahnen kann: die Ausstellung ist | |
Ergebnis jahrelanger Arbeit. Für etliche der Exponate arbeitete man mit | |
Partnern im In- und Ausland zusammen; überhaupt etwas, das dem Hamburger | |
Haus zunehmend gut zu gelingen scheint. | |
Dass ein – räumlich – kurzer Weg manchmal aber umso länger dauern kann, | |
zeigt die Sache mit Paul Klees „Goldfisch“ (1925): Den bekam man von der | |
Kunsthalle, gleich auf der anderen Seite des Hamburger Hauptbahnhofes | |
gelegen. Die allerdings wollte das Bild eigentlich nie wieder verleihen – | |
seit einem Säureattentat im Jahr 1977. | |
Nun aber trifft er einerseits auf andere Tiere-in-der-Kunst wie Franz Marcs | |
„Liegender Hund im Schnee“ (1910/11), aber eben genauso auf | |
Röntgenfotografien von Fischen von Josef Maria Eder und Eduard Valenta | |
sowie die versteinerten Artgenossen vom Monte Bolca, die der Deutschen | |
liebster Universalgelehrter Johann Wolfgang von Goethes höchstselbst | |
aufgesammelt haben soll. | |
## Tiere als Lebensmittel | |
Wer den Blick nicht komplett nach hinten richten will – und es obendrein | |
ernst meint mit dem Unterwerfungsverhältnis, wie es ja der Untertitel | |
formuliert –, der wird auch heutige, entfremdete Mensch-Tier-Verhältnisse | |
berücksichtigen. Die Hamburger Ausstellung tut das in Gestalt von Michel | |
Schmidts Arbeit „Lebensmittel“, dem sie einen Nebenraum widmet: In | |
insgesamt 177 Fotografien umkreist Schmidt da die landwirtschaftliche Ab- | |
und Zurichtung des Tiers als, eben, Lebensmittel. | |
Schön ist, wie diese teils abstrahierten Innenansichten auch von | |
Agrarindustrie nun kombiniert werden mit einer Eberkopfterrine aus dem | |
Museumsbestand. Was für manchen Vegetarier vielleicht einer | |
Trigger-Warnung bedürfte, erzählt gerade von Zeiten, in denen das | |
Verspeisen so eines Tiers eben nichts Alltägliches war. | |
Das andere Ende der Skala, eine Art Versöhnung nämlich zwischen den | |
einander so fremd gewordenen Verwandten, beanspruchen Jennifer Allora und | |
Guillermo Calzadilla mit der Videoinstallation „Raptor’s Rapture“ (2012): | |
Eine Musikerin spielt darin auf der Nachbildung des ältesten überhaupt | |
bekannten Musikinstruments, vor 35.000 Jahren geschnitzt aus der Speiche | |
eines Gänsegeiers – dessen Nachfahre sitzt ihr krähend gegenüber: ein | |
putzmunterer Altweltgeier. | |
1 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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