# taz.de -- Die Kunst zu sehen: Nach dem Ende der Provokation | |
> In der Kieler Kunsthalle sind die überaus präzisen und entschieden | |
> altmeisterlich gemalten Bilder der Künstlerin Anita Albus zu sehen. | |
Bild: Ein Ausschnitt des „Waldrappen in Weltlandschaft“ von Anita Albus aus… | |
HAMBURG taz | Anita Albus hat an ihrem Bild „Eisvogel-Paar in einer | |
Landschaft“ 1.327 Stunden lang gemalt. Das Bild zeigt zwei Eisvögel in | |
einer Flusslandschaft, es ist nur 23,5 mal 16 Zentimeter groß und man | |
verliert sich beim Betrachten sofort in die detaillierten Ausschmückungen | |
von Bäumen und Himmel. Man staunt über die fast schon überpräzise | |
Wiedergabe von Gefieder und Ufersaum und kann sich schnell vorstellen, mit | |
welcher malerischen Intensität die Künstlerin hier während umgerechnet mehr | |
als 34 Arbeitswochen sich der Darstellung des zwar in seiner Existenz nicht | |
bedrohten, aber doch bedrängten Vogels gewidmet hat. | |
1.327 Stunden – diese Angabe findet sich auf dem erklärenden Schildchen zum | |
Bild, und Anita Albus stellt mit dieser Angabe der Dauer des Malprozesses | |
auch die Frage, wie viel Zeit in die Herstellung des Kunstwerkes | |
eingeflossen ist und wie sich das rechnet; sozusagen so: Nähme man einen | |
durchschnittlichen Handwerkerlohn von 40 Euro, käme man auf die Summe von | |
53.080 Euro. Beim gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro ergibt sich immer | |
noch der Betrag von 11.730,68 Euro. | |
Doch angesichts des Kontextes des Bildes, dass zur Serie „Von seltenen | |
Vögeln“ gehört und das in einer Weise gemalt und mehr noch verfasst ist, | |
die man ungestraft altmeisterlich nennen darf, ist es eher | |
unwahrscheinlich, dass Albus nun eine Debatte über die angemessene | |
Entlohnung von Künstlern initiieren möchte. Die Botschaft lautet daher | |
eher: Wahre Kunst ist nicht mit Geld zu bezahlen, sie gehört einer gänzlich | |
anderen Sphäre an. | |
Entstanden ist das Eisvogelpaar-Bild im Zeitraum von 1979 auf 1980 und es | |
wurde dieser Tage von der Karl-Walter Breitling und Charlotte | |
Breitling-Stiftung zusammen mit 62 weiteren Bildern von Anita Albusgekauft | |
und der Kunsthalle in Kiel als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. | |
## Kaum präsent auf dem Markt | |
Damit verfügt die [1][Kieler Kunsthalle] über den größten Bestand an Werken | |
von Anita Albus, was insofern eine Besonderheit ist, als die Künstlerin auf | |
dem Kunstmarkt so gut wie nicht präsent ist: Sie wird von keiner Galerie | |
vertreten, sie war entsprechend auf keiner Kunstmesse zu sehen. Die letzte | |
große Ausstellung mit Anita Albus Werken fand 1990 zeitgleich im Schloss | |
Neuhaus in Salzburg und dem Muzejski Prostor in Zagreb statt, nachdem zehn | |
Jahre zuvor Bilder von ihr im Museum Villa Stuck in München zu sehen waren. | |
Danach folgten drei eher kleinere Schauen, sie war in all den Jahrzehnten | |
ihres Schaffens an lediglich zwei Gruppenausstellungen beteiligt. | |
Nun aber gibt es in Kiel einen nahezu werkumfassenden Blick auf ihr | |
Schaffen, ihr Titel: „Die Kunst zu sehen“. Regina Göckede, die neue | |
Leiterin der Gemälde und Skulpturensammlung des Hauses, die zusammen mit | |
Kunsthallenleiterin Anette Hüsch die Ausstellung kuratiert und eingerichtet | |
hat, sagt: „Wir sind hier im Hause alle Albus-Fans geworden.“ Und Ausdruck | |
dieser Zuwendung und fast Verehrung ist denn auch, dass man im modernen | |
Untergeschoss der Kunsthalle die Decken niedrig gehängt sowie Zugänge zum | |
weiteren Haus geschlossen und so die eigentlich luftig und offen angelegte | |
Ausstellungshalle in eine Art intimes Kabinett verwandelt hat. | |
Anita Albus wurde 1942 geboren und wuchs als Einzelkind in Oberbayern, dem | |
Teuteborger Wald und dann dem Sauerland auf. Sie studierte ab 1960 an der | |
Essener Folkwangschule Grafik. Es muss ein enttäuschendes Studium gewesen | |
sein, denn sie sagte erstmal der Kunst Ade und arbeitete stattdessen in | |
einem antiautoritär ausgerichteten Kinderladen. | |
Hier fand sie nach einiger Zeit jedoch wieder Zugang zur Kunst. Sie setzte | |
sich intensiv mit klassischen Wiegenliedern auseinander und dechiffrierte | |
deren angeblich tröstende Absichten als eine tatsächliche Abgrenzung vom | |
Kinde: Es möge still sein und schlafen, vielleicht sogar für immer. Dazu | |
entwickelte sie Illustrationen, in denen sich ihr Hang zu einer Malerei mit | |
Rückgriffen auf Altmeister des 15. wie des 16.Jahrhunderts bereits mehr als | |
andeutet. Sie widmete sich danach surreal anmutenden Landschaftsbildern, in | |
denen die Grundpfeiler der Zivilisation wie Häuser, Eisenbahnen oder | |
Schiffe in absurde Szenerien gesetzt werden, bis ihre Bilder schließlich | |
gänzlich menschenleer wurden und es bis heute bleiben. Zugleich etablierte | |
sie sich als Schriftstellerin: Sie schrieb einen Briefroman, der von der | |
Kritik teils sehr gelobt, teils als biedermeierlich verrissen wurde. Sie | |
setzte sich intensiv mit Marcel Proust und Tanja Blixen auseinander und | |
schrieb Aufsätze zur Kunstgeschichte. | |
Heute lebt Albus während des Winters in München und den Sommer über im | |
französischen Burgund, wo sie ein Schloss und einen Schlossgarten hat. Dort | |
findet sie die Blumen und Pflanzen und damit das Material für ihren | |
Porträtband „Das botanische Schauspiel“, in dem Wesen wie das Schönhäutc… | |
oder die Mandelraute antreten als seien sie wichtige Personen der | |
Zeitgeschichte. | |
## Kunstwerke mit Aura? | |
Mittlerweile hat sie eigene Techniken zur Herstellung besonderer Pigmente | |
entwickelt, es gibt Bilder von ihr, die man weniger als gemalte Werke denn | |
als Schichtungen von Pigmenten verstehen könnte und die in ihrer | |
handwerklichen Kunstfertigkeit erst verblüffen und dann beeindrucken. | |
Regina Göckede sagt entsprechend auch: „Es sind für mich keine Kunstwerke | |
im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit.“ Und wie überzeugend ihre | |
Abbildungen – etwa von Tieren in der Serie „Die eifersüchtige Töpferin“… | |
gleichnamigen Werk von Claude Leví-Strauss – daher sind, kann Göckede | |
anhand einer kleinen Anekdote erzählen: Sie sei mit einem Zoologen der | |
benachbarten Kieler Universität durch die Ausstellung gegangen, und der | |
habe bei jedem Bild nur anerkennend genickt und erklärt, die Künstlerin | |
müsse diese Tiere wirklich gesehen haben. | |
Von daher ist es wenig überraschend, dass Anita Albus die gegenwärtige | |
Kunst mit ihren Bewegungen und Gegenbewegungen nicht die Bohne | |
interessiert. Sehr schön wird das deutlich in den drei Feuilleton-Filmen, | |
die am Ende der Ausstellung auf die Besucher warten. „Es hat sich | |
ausprovoziert!“, ruft sie etwa kampfeslustig in die Kamera, spottet über | |
Kollegen wie Dieter Roth und Anselm Kiefer und reduziert damit die | |
vergangenen Kunstjahrzehnte allein auf die angebliche Grundidee der | |
Provokation: „Die Liebhaber der Regelbrüche machen im Regellosen eine | |
traurige Figur.“ Und so lernen wir zum Schluss die Künstlerin als eine | |
Vertreterin eines Rigorismus und einer Selbstbezogenheit kennen, von der | |
man lange nicht weiß, ob dieser einen beeindruckt oder abschreckt – oder ob | |
eines ohne das andere nicht zu haben ist. | |
Bis 27. August | |
24 Jul 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kunsthalle-kiel.de/de/ausstellungen/anita-albus | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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