| # taz.de -- Ausstellung über Gewebe: Die ganz große Metapher | |
| > Eine Kieler Schau übers Spinnen in der Kunst ist klüger als viele andere | |
| > Themenschauen: Um Vernetzung geht es ihr so sehr wie ums achtbeinige | |
| > Getier. | |
| Bild: Worte, erzeugt von fallenden Wassertropfen: Julius Popps Arbeit „bit.fa… | |
| KIEL taz | Stand da eben „Sanktionen“? Und, für einen Augenblick nur, | |
| „Google“? Gefolgt von „Konjunktur“ und „Twitter“ – und „Wetter�… | |
| stehen Worte, bestätigt Maren Wienigk. Sie hat die Ausstellung „Netz – vom | |
| Spinnen in der Kunst“ kuratiert, die jetzt in der Kieler Kunsthalle zu | |
| sehen ist. „In den letzten Tagen“, sagt sie, „war oft das Wort ’Gaza‘… | |
| sehen.“ | |
| Die Quelle ist das Internet: Was dort am häufigsten benutzt wird, lässt der | |
| Leipziger Künstler Julius Popp zeitgleich in seiner Installation „bit.fall“ | |
| auftreten. Und kombiniert dafür eine raffinierte, technische Apparatur – in | |
| deren Hintergrund gewiss ein hocheffizientes Computerprogramm die Fäden | |
| spinnt – mit dem Grundstoff unseres Lebens, ohne den alles schnell vorbei | |
| wäre. Wasser also wird aus kleinen Düsen herausgepresst, fällt in Tropfen | |
| aus großer Höhe in eine längliche, mit schwarzer Teichfolie ausstaffierten | |
| Wanne und wird von dort an den Seiten wieder hochgepumpt – und fällt | |
| wieder. | |
| Auf dem Weg von oben nach unten, vom Entstehen zum Vergehen, sozusagen, | |
| sind für Sekundenbruchteile Worte aus den fallenden Wassertropfen zu | |
| entziffern. Manches ist zu lang – oder in der BetrachterIn Wahrnehmung | |
| gerade nicht präsent genug –, bleibt daher unentziffert, bis es sich | |
| klatschend wieder auflöst. | |
| Wenn es in Kiel nun um das Netz geht, dann eben auch als die große Metapher | |
| unserer Tage: Das Netz als weites Feld, das sich fortlaufend einengt und | |
| ausdehnt, explodiert, implodiert und wohl gerade deswegen nach | |
| künstlerischen Darstellungsformen verlangt. Davon zeigt die Kieler | |
| Ausstellung eine Vielzahl, insgesamt sind 55 Arbeiten von 25 KünstlerInnen | |
| zu sehen. | |
| Trevor Paglen thematisiert mit seinen Satellitenbildern die | |
| Gleichzeitigkeit von Informieren und Ausspähen. Barret Lyon hat auf einer | |
| Wand den weltweiten Datenverkehr eines bestimmten Tages – den 22. November | |
| 2003 – visualisiert; was heute wohl nicht mehr ohne Weiteres möglich wäre. | |
| Julia Schmid dagegen hat sich für ihre Arbeit „Eine Kritik“ ein Grundwerk | |
| der Aufklärung vorgenommen: Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“, | |
| auf Leinwand aufgetragen, sieben Mal, und dabei jeweils überschrieben, per | |
| Hand, mit Feder und Tusche. | |
| ## Silbrige Fäden | |
| Zu einer weiteren überwältigenden und absolut netzigen Arbeit – dabei ganz | |
| anders als Julius Popps Wasser-Wort-Maschine – führt einen der Weg aus der | |
| großen, unteren Halle hinten durch das kleine Treppenhaus ins erste der | |
| beiden schmalen Kabinette auf der Empore: Dunkel ist es hier zunächst, bis | |
| sorgsam gesetzte Punktstrahler im nächsten Moment auf diese Glaskuben | |
| aufmerksam machen, in denen sich silbrige und dünnen Fäden formieren, mal | |
| zu länglichen Wulsten, mal zu komplexen Klumpen. Ja, Spinnen haben hier | |
| ihre Netze gesponnen, echte Spinnen. | |
| Am Ende des Raumes zittert dann noch ein ungeschütztes Spinnennetz immer | |
| wieder leicht im Luftzug. Wer nun genau hinschaut, sieht: Da ist eine | |
| Spinne bei der Arbeit. Aber ist das Spinnen des Netzes Arbeit für die | |
| Spinne? Nicht vielmehr ihr Leben? Und ist das jetzt noch Kunst? Oder Natur, | |
| das gewollte Gegenteil von Kunst? | |
| Okay: Tomás Saraceno, Spinnenforscher wie auch künstler, hat durchaus | |
| eingegriffen ins Natürliche: Hat erst eine Spinne spinnen lassen, sie dann | |
| aus ihrem Netz genommen. Dann setzte er eine zweite Spinne, andere Art, in | |
| das Netz der Ersten. Nun spinnt also eine Spinne auf der Grundlage eines | |
| bereits gesponnenen Netzes ihr eigenes Netz – und doch das alte weiter. Da | |
| sind also Umwandlung und Neuschöpfung, und es stellt sich die Frage – uns | |
| Betrachtenden mehr als den beteiligten Spinnen, ist zu vermuten: Ist das | |
| jetzt noch ein Netz? | |
| Rund 43.000 Arten gebe es zurzeit auf der Welt, und fast täglich kämen neue | |
| hinzu! Anette Hüsch, Leiterin der Kieler Kunsthalle, steht ehrfurchtsvoll | |
| im Spinnenkabinett der Ausstellung und zählt auf, welche es so alles gibt: | |
| Spinnen, die ihre Netze am Boden spinnen, Spinnen, die ihre Beute | |
| anspringen, Spinnen, die in Gruppen leben. Noch nie habe sie so viel über | |
| Spinnen nachgedacht, sagt Hüsch – und nie sich ihnen derart genähert. | |
| Und wenn man sich ein wenig Zeit lässt, eintaucht in die Spinnenwelt, dann | |
| kommen auch andere Gedanken und Assoziationen, jenseits der | |
| huldvoll-staunenden Betrachtung: Was passiert, wenn etwas in diesem Netz | |
| gefangen wird? Ein Insekt, das haften bleibt, um sein Leben zappelt und je | |
| mehr es zappelt, desto mehr wird es sich verstricken; noch am Leben, aber | |
| unrettbar eingesponnen, muss es warten, bis die Spinne kommt. Und wie ist | |
| das mit dem Menschen und seinem Netz? | |
| ## Spiegelfläche für Angst und Wunsch | |
| Raus – und weiterschauen. Das Netz als Hort dunkler Geheimnisse, als | |
| Spiegelfläche innerer Ängste und Wünsche, zeigen uns die an | |
| Star-Trek-Welten erinnernden „Aggregat“-Arbeiten von Philip Topolovac. | |
| „Entweder die Leute mögen meine Arbeit und sie schauen sie sich lange an | |
| und finden sie auch lustig“, erzählt der, „oder sie drehen sich sofort | |
| weg.“ | |
| Poetisch die experimentelle Filmarbeit „virtuos virtuell“ von Thomas | |
| Stellmach und Maja Oschmann: die Ouvertüre zur romantischen Oper „Der | |
| Alchymist“ von Louis Spohr, umgesetzt mit genau 2.397 einzelnen | |
| Tuschaufnahmen und 5.978 einzelnen Pinselzeichnungen, die, geführt auch | |
| durch den Zufall, ineinanderfließen. | |
| Geerdet wird die Ausstellung durch Exponate aus dem Sammlungsbestand, | |
| perspektivischen Studien von Hans Vredeman de Vries aus dem 15. Jahrhundert | |
| etwa, aber auch richtigen Herbarien aus der benachbarten Universität. Hier | |
| wird kein Thema angekündigt, im nächsten Schritt gleich wieder eingegrenzt | |
| und dann brav Unterthema für Unterthema durchgearbeitet. | |
| ## „Spinnen die?“ | |
| Nein, diese kluge Schau spinnt sich selbst ein Netz an, verknotet sich, | |
| verdichtet sich, reißt auch mal auf und führt ins Leere. Und ganz zum | |
| Schluss gibt es sogar noch das andere Spinnen, wie in „die spinnen doch“, | |
| oder, als Frage: „Spinnen die?“ Für diese Sphäre engagieren sich die vor | |
| Ort entstandenen Zeichnungen des rumänischen Künstlers Dan Perjovschi, | |
| switchend zwischen Comic, Karikatur und Wortspiel. | |
| Auch Perjovschi hat sich vom Tagesgeschehen inspirieren lassen, von | |
| Nachrichten, Schlagzeilen, vermeintlichen Sensationen und Aufgeregtheiten. | |
| Und setzt das alles um mit Buchstaben und Strichmännchen in einer | |
| prägnanten Schlichtheit, die sich so wenig in einem Text wiedergeben lässt | |
| wie ein schlagfertiger Witz nacherzählen. | |
| 19 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
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