# taz.de -- Kunst und Wissenschaft: Ein Blick auf nichtmenschliche Akteure | |
> Wissenschaftler und Künstler versuchen gemeinsam, sich den | |
> unterschiedlichen Formen des Lebens mit neuen Ansätzen zu nähern. | |
Bild: Verbunden mit dem Pilzgeflecht: „Myconnect“, Installation von Saša S… | |
BERLIN taz | Im Anthropozän, dem neuen Erdzeitalter, gestaltet der Mensch | |
nicht mehr nur einzelne Teile der Natur, sondern den kompletten Planeten | |
nach seinen Bedürfnissen. Der Mensch steht im Mittelpunkt und zwar so | |
radikal, dass anderen Lebensformen immer weniger Überlebenschancen bleiben. | |
Wie würde eine Welt aussehen, die nicht mehr diesem Anthropozentrismus | |
folgt? In Berlin haben sich Wissenschaftler und Künstler kombiniert, um in | |
neuer Weise auf die „nonhuman agents“, nichtmenschliche Akteure des Lebens | |
zu blicken und sie erfahrbar zu machen. | |
Die Intelligenz, die Robotern gerade implantiert wird, besitzen | |
Schleimpilze schon lange. Um in seinem Territorium zielsicher an | |
Nahrungsquellen zu gelangen, hat der Schleimpilz Physarum polycephalum – | |
einer der größten einzelligen Organismen, der genau genommen kein Pilz ist, | |
sondern der Gruppe der Amöben angehört – ausgeklügelte Mechanismen der | |
Informationsübertragung entwickelt. Wird dem Fadengeflecht an zwei Punkten | |
in einem Labyrinth Nahrung angeboten, gelingt es ihm in kürzester Zeit die | |
optimale Verbindung durch das Wegewirrwarr herzustellen. | |
Inzwischen sind auch Computerwissenschaftler auf das Phänomen aufmerksam | |
geworden. Die britische Künstlerin Heather Barnett macht aus den | |
Wanderungen des Schleimpilzes eine ästhetische Performance, deren | |
Bewegungen von menschlichen Tänzern wiederum dupliziert werden. | |
„BioArt“ nennt sich diese Verschmelzung von biologischer Forschung und | |
Kunst, auf das sich das Weddinger [1][„Artlaboratory Berlin“] in den | |
letzten Jahren spezialisiert hat. „Wir wollen mit unseren Projekten die | |
wissenschaftliche Forschung zu nichtmenschlichen Organismen auf andere | |
Weise sichtbar machen“, erklärt Renate Rapp, die 2006 das | |
Kunst-Laboratorium mit ihrem Partner Christian de Lutz gegründet hat. | |
Mit Förderung unter anderem durch den Berliner Senat wurden in den letzten | |
Jahren in der Ausstellungsserie [2][„Nonhuman Agents“] mehrere Konferenzen | |
und Kunstinstallationen über unterschiedliche Lebensformen, vom | |
bakteriellen Mikrobiom bis zu Primaten, veranstaltet. „Dabei ging es uns | |
immer um eine postanthropozentrische Perspektive“, unterstreicht Rapp: | |
„Eine neue dezentrierte Perspektive lässt uns auf eine Realität blicken, | |
die nicht mehr durch rein anthropozentrische Parameter beschrieben werden | |
kann.“ Wichtig sei, dass die am Projekt beteiligten Künstler tatsächlich | |
nicht nur künstlerisch arbeiten, sondern auch wissenschaftlich tätig sind, | |
so Regine Rapp. | |
## Unterirdisches Pilzgeflecht | |
In dieser Kombination hat sich ein interdisziplinäres Kollektiv aus | |
Slowenien, bestehend aus der Künstlerin Saša Spačal und den Biomedizinern | |
Mirjan Švagelj und Anil Podgornik, dem unterirdischen Pilzgeflecht in den | |
Wäldern genähert. Diese Pilzmyzele können eine Ausdehnung von mehreren | |
Quadratkilometern einnehmen und zähen damit zu den größten Lebewesen der | |
Erde. Durch ihren Kontakt mit dem Wurzelwerk der Bäume liefern sie | |
Nährstoffe und Umweltinformationen. Als das „Geheime Leben der Bäume“ ist | |
dieser unsichtbare Lebensraum derzeit der botanische Megabestseller in | |
deutschen Buchhandlungen. | |
Dem slowenischen Team ist es mit einer Hightech-Installation gelungen, | |
einen sensorisch-gefühlsmäßigen Zugang zu dieser Schattenwelt zu eröffnen. | |
Der Besucher legt sich in eine Art von Iglu, an Armen und Beinen werden | |
Manschetten angelegt, die schwache elektrische Signale übertragen. Über die | |
Kopfhörer werden Audiotöne eingespielt: Nun ist man in den | |
Kommunikationsraum des Myzels eingeloggt und kann hören und spüren, wie die | |
Pilze sich untereinander austauschen. Die wissenschaftliche | |
Kunstinstallation wurde auch für mehrere Wochen in Berlin gezeigt. | |
Mit neuen Ansätzen zur Integration des Pflanzenreichs in die Bauwelt des | |
Menschen beschäftigt sich Desiree Förster am Institut für Kunst und Medien | |
der Universität Potsdam. „Wir können zwar nicht verhindern, dass wir | |
Ressourcen verbrauchen und Abfall produzieren, aber wir können die | |
Intensität der Interaktion verändern“, sagte die Medienwissenschaftlerin, | |
die bereits mehrere Ökodesignprojekte zum BioArts-Zyklus beigesteuert hat. | |
## Die Natur wahrnehmen | |
Derzeit befasst sie sich mit dem Konzept für eine sauerstoffproduzierende | |
Algenanlage, die in die Wände von Wohnhäusern eingebaut werden soll. Neben | |
der Luftverbesserung soll die lebendige grüne Tapete auch beruhigend auf | |
die Bewohner wirken. Für Förster ein Experiment zur „nichtbewussten | |
Wahrnehmung der Natur“. | |
Eine Art von „Kybernetik unter Wasser“ hat die slowenische Künstlerin | |
Robertina Šebjanič entwickelt, die dabei mit Meeresbiologen | |
zusammenarbeitet. In ihrer Kunstinstallation „Aurelia 1+Hz“ werden die | |
Schwimmbewegungen von Quallen in einem Wasserbassin von optischen Sensoren | |
gemessen und als akustische Signale an die Tiere zurückgegeben. Diese | |
wiederum reagieren auf die Töne und steuern durch ihre Reaktionen die | |
Maschine. „In beinahe anmutiger Schönheit schweben sie – mal hier, mal | |
dorthin – schwerelos durchs Wasser.“, heißt es in einer Beschreibung des | |
Bio-Technik-Kunstwerks. „Licht und Sound verändern sich entsprechend der | |
Bewegung in Raum und Zeit“. | |
In einem anderen Projekt hat Šebjanič die Unterwasser-Klangkulisse | |
verschiedener Orte aufgenommen: Neben Tierlauten auch Touristenplantschen | |
und überall Schiffsmotoren. Indizien einer akustischen Vermüllung der | |
Weltmeere, die bestimmten Tierarten das Orientierungsvermögen rauben und | |
sie stranden lassen. | |
## Neue Sichtweisen | |
Die Begegnung zwischen Wissenschaft und Kunst will auch neue planetare | |
Sichtweisen eröffnen, die ein Wirklichkeitsverständnis jenseits des | |
Anthropozän-Rahmens eröffnen. Auf der Berliner Abschlusskonferenz des | |
„Nonhuman Agents“-Projekts Ende November wurde intensiv über die Theorien | |
der verstorbenen amerikanischen Mikrobiologin Lynn Margulis diskutiert. In | |
der Biowissenschaft hatte sie wichtige Erkenntnisse zur Entwicklung der | |
frühen Zellen im Kontext der Evolution des Lebens beigesteuert. | |
Später vertrat sie, zusammen mit James Lovelock, die so genannte | |
„Gaia“-Hypothese, wonach die gesamte Biosphäre des Planeten als ein in sich | |
zusammenhängender Organismus anzusehen ist, der sich selbst reguliert. | |
Die Erde: ein Lebewesen. Mit Abklingen der „New Age“-Bewegung geriet die | |
Gaia-Idee wieder in Vergessenheit. Jüngst wurde sie als Metapher von dem | |
Anthropozän-Vordenker Bruno Latour („Kampf um Gaia“) wieder aufgegriffen. | |
Vom „Anthropozän“ als neuem Modebegriff hält Renate Rapp indes wenig. | |
„Diese Bezeichnung finden wir fast schon zynisch“, sagt die Leiterin des | |
Artlaboratory Berlin. Es müsse schließlich darum gehen, „den Menschen weg | |
vom Zentrum zu rücken“. Die Betrachtung der nichtmenschlichen | |
Lebensformen, wissenschaftlich beobachtet und künstlerisch vermittelt, soll | |
dazu eine neue Brücke bauen. | |
1 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.artlaboratory-berlin.org/ | |
[2] http://www.artlaboratory-berlin.org/html/de-ausstellung-archiv.htm | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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