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# taz.de -- Reaktionen auf Urteil gegen Ratko Mladić: Freude und Wut
> Das Mladić-Urteil sorgt für Erleichterung in Sarajevo, geht den Opfern
> aber nicht weit genug. Viele Serben sehen sich als Opfer einer
> Verschwörung.
Bild: Fersehübertragung des Urteils aus Den Haag in Bosnien
Sarajevo taz | In der bosniakischen Öffentlichkeit in Sarajevo herrschte
natürlich zunächst einmal Erleichterung vor, dass endlich die Höchststrafe
für serbische Kriegsverbrecher ausgesprochen wurde. Während das Urteil
verkündet wurde, waren nur wenige Menschen auf den Straßen zu sehen. Wer
konnte, saß zu Hause vor dem Fernsehapparat.
„Ich freue mich, dass endlich die Wahrheit vor aller Welt ausgesprochen
wurde,“ sagt ein Nachbar und fasst damit die Stimmung zusammen. Ganz anders
die Reaktionen in der serbischen Teilrepublik. In allen Städten wurden
schon seit Tagen angekündigte Proteste gegen das Urteil abgehalten. In von
den Medien übertragenen Straßenumfragen zeigten sich die Menschen wütend
über das Urteil, erklärten, Ratko Mladić sei nach wie vor ihr Held. Das
Urteil sei ungerecht den Serben gegenüber, die Serben würden als alleinige
Schuldige der Geschichte dargestellt. Und einhellig begrüßten die Medien
die Nachricht, Mladić werde bei dem Nachfolgegericht des UN-Tribunals in
Berufung gehen.
Die Menschenrechtlerin Belma Zukić, die sich seit dem Krieg für einen
Friedensprozess zwischen allen Volksgruppen engagiert, zeigt sich erstaunt
über diese Reaktion. „Ich wusste ja, dass das Urteil in den serbischen
Gebieten zur Kritik führen würde, dass die Reaktionen aber so hart
ausfallen werden, konnte ich mir nicht vorstellen.“ Vor allem der wieder
auftauchende offene Hass sei besorgniserregend. Bei näherem Besehen können
aber auch die Opferverbände nicht ganz mit dem Urteil zufrieden sein.
„Das Urteil ist für uns enttäuschend“, erklärte der ehemalige Insasse des
Konzentrationslagers Trnopolje, Sudbin Musić. Er bemängelte wie auch andere
Vertreter der Opferverbände, dass das Gericht – wie von der Anklage
verlangt – sich nicht dazu durchringen konnte, die furchtbaren Geschehnisse
1992 in den Städten Prijedor, Vlasenica, Kotor Varoš, Sanski Most, Foča und
Ključ als Genozid zu qualifizieren. „Schon die Anklage hatte die Zahl der
Orte reduziert, so sind Višegrad, Rogatica und andere Orte gar nicht
aufgeführt, wo ebenfalls große Verbrechen zu beklagen sind“, erklärt die
Vertreterin der Gesellschaft für bedrohte Völker Fadila Memišević. Vor
allem die ehemaligen Insassen der Konzentrationslager in Prijedor sind
darüber erbost.
## Gericht habe serbische Seite nicht zu provozieren wollen
In einer Runde des Fernsehens der bosniakisch-kroatischen Föderation FTV
vermuten die Diskutierenden, das Gericht sei einen Kompromiss eingegangen.
Man habe die serbische Seite nicht zu sehr herausfordern wollen. „Schon
seit Jahren beobachten wir“, sagt Belma Zukić gegenüber der taz, „dass das
Gericht sich scheut, die direkten Verbindungen der Armee der Republika
Srpska mit Serbien aufzudecken“. So habe Ratko Mladić sein Generalsgehalt
von Serbien bezogen, kein Serbe aus Serbien sei bisher vom UN-Gericht wegen
des Krieges in Bosnien und Herzegowina verurteilt worden. Milošević sei vor
dem Urteil verstorben, General Perišić und Vojislav Šešelj freigesprochen
worden. Das Urteil gegen zwei Polizeioffiziere stehe jedoch noch aus.
Dagegen wollen die serbischen Verteidiger des Angeklagten den Prozess neu
aufrollen und gegen die ihrer Meinung nach fabrizierte Anklage ankämpfen.
In den serbischen Medien wird schon seit 1995 die These vertreten, das
UN-Tribunal in Den Haag sei vor allem gegen die Serben gerichtet. Im
Hintergrund würden die USA, der Vatikan und andere westliche Staaten ihnen
die alleinige Schuld an dem Krieg geben.
22 Nov 2017
## AUTOREN
Erich Rathfelder
## TAGS
Ratko Mladić
Den Haag
UN-Tribunal Ex-Jugoslawien
Bosnien und Herzegowina
Genozid
Serbien
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