# taz.de -- Kommentar Urteil im Fall Mladić: Er zeigte nie Bedauern | |
> Das UN-Tribunal hat im Fall Mladić getan, was es tun musste. Die | |
> Vorraussetzungen für Versöhnung sind dennoch schlecht. | |
Bild: Schwierige Versöhnung: Hinterbliebene in einer Gedenkstätte bei Srebren… | |
Das UN-Tribunal [1][konnte kein anderes Urteil aussprechen] als | |
„lebenslänglich“. In dem vierjährigen Prozess ist es ihm gelungen, die | |
Beweise für die Verbrechen der ethnischen Säuberungen sehr genau zu | |
rekonstruieren und die persönliche Schuld des Ratko Mladić nachzuweisen. | |
Ein anderes Urteil hätte das Ansehen des Gerichts beschädigt. Als die | |
Strafe gegen den politischen Führer der bosnischen Serben, Radovan | |
Karadžić, vor einem Jahr mit nur 40 Jahren Haft beziffert und der | |
Hauptideologe des serbischen Extremismus, Vojislav Šešelj, sogar | |
freigesprochen wurde, kamen Zweifel an seiner Urteilsfähigkeit auf. | |
Und doch bleibt Bitterkeit, wenn auch bei vielen Überlebenden in Bosnien | |
und im Gerichtsaal Erleichterung vorherrschte und das Urteil für sie doch | |
auch so etwas wie „Gerechtigkeit“ signalisiert. Zwar ist nun vor aller Welt | |
dokumentiert, was damals geschehen ist. Doch enttäuscht müssen die | |
Überlebenden darüber sein, dass die Verbrechen der ethnischen Säuberungen | |
im Jahre 1992, als mehrere Zehntausend Menschen ermordet wurden und 2 | |
Millionen aus ihrer Heimat vertrieben, als Konzentrations- und | |
Vergewaltigungslager aufgebaut wurden, vom Gericht nicht als Genozid | |
eingestuft worden sind. | |
Nach Lesart des Gerichts habe es nur in Srebrenica einen Genozid gegeben. | |
So ermöglicht das Urteil den Behörden der von Ratko Mladić durch Krieg und | |
Vertreibung geschaffenen serbischen Teilrepublik, die Ereignisse in ihren | |
eigenen Gemeinden herunterzuspielen. Das sind schlechte Vorzeichen für | |
einen Versöhnungsprozess. Der wäre erst möglich, wenn in der serbischen | |
Öffentlichkeit eine echte und offene Debatte über die eigene Vergangenheit | |
stattfinden würde. | |
Danach aber sieht es trotz des Den Haager Urteils nicht aus. Denn die | |
meisten Serben in der bosnischen Teilrepublik Republika Srpska sehen Ratko | |
Maldić als „ihren General“ an, der sie lediglich verteidigt habe. Die | |
Anklagen seien eine Erfindung böswilliger Mächte und der Bosniaken in | |
Bosnien und Herzegowina. Mladić selbst gab bei Gericht den Takt vor. „Alles | |
Lüge“, schrie er, „Ihr seid alle Lügner.“ Er hatte den Ausführungen des | |
Richters zunächst teils mit versteinerter Miene und Kopfschütteln, teils | |
mit einem Grinsen im Gesicht zugehört. Doch dann sprang er auf und wurde | |
des Saals verwiesen. Das war kein zufälliger Eklat. Er passt zu Mladić’ | |
Denken. All die Jahre vor Gericht zeigte er niemals Bedauern, niemals | |
Empathie für die Opfer, nur Abwehr. | |
## Geschlossene Gedankenwelt | |
Hannah Ahrendt zeichnete Adolf Eichmann als kleinen Bürokraten, als | |
normalen Kleinbürger seiner Zeit. Die Profanität war für sie das | |
Erschreckende. Bei Mladić liegen die Dinge etwas anders. Die Gedankenwelt | |
der serbischen Nationalisten ist ein geschlossenes System, der Krieg in | |
Bosnien und Herzegowina erscheint für sie als ein Kampf für das Überleben | |
der Nation. In der serbischen Geschichtsauffassung sind die Serben seit der | |
verlorenen Schlacht gegen die Osmanen von 1389 auf dem Kosovo Polje immer | |
wieder Opfer der Geschichte. | |
Als Mladić nach dem Einmarsch seiner Truppen in Srebrenica am 11. Juli 1995 | |
erklärte, das sei „die Rache an den Türken für Kosovo Polje“, er gebe �… | |
befreite Srebrenica an das serbische Volk zurück“, gerierte er sich ganz | |
bewusst als Teil eines historischen Prozesses. Die damit verbundenen | |
monströsen Verbrechen werden in dieser Denkweise legitimiert. Folgerichtig | |
kann Mladić die Verbrechen nicht zugeben, er möchte als Held in die | |
serbische Geschichte eingehen. Die Opposition, das andere Serbien, | |
beschränkt sich auf wenige Intellektuelle, auf die Belgrader Szene, auf | |
jene, die eine solch antiquierte und primitive Geschichtsauffassung nicht | |
teilen wollen. Sie sehen in Mladić einen Verbrecher, der die serbische | |
Nation an den Pranger gestellt hat. | |
Doch die Mehrheit der serbischen Bevölkerung teilt leider immer noch die | |
Sichtweise Mladić’. Das sind keine guten Voraussetzungen für einen | |
Versöhnungs-, nicht einmal für einen Friedensprozess. Das UN-Tribunal | |
immerhin hat im Fall Mladić getan, was es tun musste. | |
22 Nov 2017 | |
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## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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