# taz.de -- AfD im Berliner Abgeordnetenhaus: Wie auf einer Pegida-Demo | |
> Seit einem Jahr sitzt die AfD in Berlins Parlamenten. Das Klima dort ist | |
> verroht und teils hasserfüllt geworden. Inhalte spielen für die AfD kaum | |
> eine Rolle. | |
Bild: Kein schöner Anblick: Die AfD im Abgeordnetenhaus, hier Ronald Gläser. | |
Strahlende Gesichter, in die Höhe gerissene Bierkrüge und auf dem Buffet | |
ein Haufen Mett, geformt zu den drei Buchstaben, die von diesem Abend an | |
auch in Berlin zum politischen Inventar gehören sollten: Auf der Wahlparty | |
der AfD herrschte im letzten Jahr hervorragende Stimmung. Kein Wunder: Mit | |
14,2 Prozent war die Partei, die in Berlin lange an der Fünfprozentgrenze | |
herumdümpelte, soeben ins Abgeordnetenhaus eingezogen. Außerdem schafften | |
es die Rechtspopulisten in alle Bezirksparlamente und auf sieben | |
Stadtratsposten. | |
14 Monate, 244 schriftliche Anfragen, gut 600 Pressemitteilungen und einige | |
Skandale später: Die AfD ist mittlerweile Bestandteil des parlamentarischen | |
Betriebs in Berlin – normal geworden ist sie in dieser Stadt trotzdem lange | |
noch nicht. Zeit für eine erste Bilanz: Wie hat sich das politische Klima | |
in Berlin durch die AfD verändert? Und wo steht die Partei heute? | |
## Hass auf junge Frauen | |
„Es fühlt sich bisweilen an, als würde man einer Pegida-Demo | |
gegenüberstehen“, beschreibt die Abgeordnete Anne Helm die Situation, im | |
Parlament eine Rede zu halten. Helm, früher bei den Piraten, heute | |
Abgeordnete der Linkspartei, ist schon lange eine Hassfigur der Rechten, | |
und diesen Hass bekommt sie auch im Abgeordnetenhaus zu spüren. „Wenn ich | |
selbst am Redepult stehe, sind vor Gebrüll manchmal gar keine einzelnen | |
Zwischenrufe mehr auszumachen“, sagt sie. | |
Die Atmosphäre im Abgeordnetenhaus sei deutlich rauer geworden, vor allem | |
während der Plenardebatten. Ähnliches schildert die Grünen-Abgeordnete June | |
Tomiak. Sie spricht von einem „merklich verrohten“ Klima. | |
Es ist kein Zufall, dass zwei junge Frauen diese Atmosphäre besonders stark | |
wahrnehmen: Aggressionen aus der zu gut 85 Prozent aus Männern bestehenden | |
AfD-Fraktion richten sich häufig gegen junge, weibliche Abgeordnete. Wenn | |
es mal keine direkten Zwischenrufe sind, dann doch mindestens auffällig | |
laute Gespräche und Scherze untereinander, die die Abgeordneten aus dem | |
Konzept bringen sollen. | |
Doch nicht nur die Atmosphäre hat sich durch die AfD verändert, auch das im | |
Abgeordnetenhaus gebräuchliche Vokabular: „Worte wie ‚Geburten-Dschihad‘ | |
und ‚Volksverräter‘ gehörten vorher nicht zur parlamentarischen Debatte�… | |
sagt Anne Helm. | |
Das ist kein Zufall: „Die AfD nutzt die Plenardebatten vor allem für | |
Provokationen, um virale Hits in den sozialen Netzwerken zu landen“, | |
beschreibt Helm die Strategie der Rechtspopulisten. Tatsächlich ist | |
auffällig, wie stark die Fraktion versucht, ihre parlamentarische Arbeit in | |
Videos und Facebook-Meldungen zu verwerten, oft scheint es so, als sei das | |
ihr eigentlicher Zweck. | |
## Ein konfuse Fraktion | |
Kein Wunder: Jenseits von gezielten Provokationen sind bislang kaum größere | |
Projekte der AfDlerInnen zu erkennen. „Ich erlebe eine konfuse Fraktion, | |
die allein durch permanente bewusste Grenzüberschreitungen auffällt“, sagt | |
der FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja, er spricht von „inhaltlichen | |
Unzulänglichkeiten“, die die Arbeit im Plenum und in den Ausschüssen | |
aufhalten würden. Natürlich: Angehörige der politischen Konkurrenz sind nur | |
bedingt dazu geeignet, die Arbeit einer anderen Fraktion zu beurteilen. | |
Doch auch hinsichtlich der Reden, schriftlichen Anfragen, Anträge und | |
Pressemitteilungen der AfD fällt auf: Politischer Gestaltungswille ist kaum | |
zu erkennen. Es geht um Provokationen und darum, Informationen zu sammeln, | |
die dann populistisch verwertet werden können, etwa zu angeblichen | |
Schächtungen in Berliner Hinterhöfen oder der vermeintlich staatlichen | |
Finanzierung von Anti-AfD-Kampagnen. | |
Nicht erstaunlich, dass seitenlange Anfragen der AfD von den zuständigen | |
Senatsstellen oft in wenigen Sätzen beantwortet werden – meist gibt es | |
schlicht keine Informationen, die zu dem herbeifantasierten Sachverhalt | |
herausgegeben werden könnten. | |
Klar ist aber auch: Was die AfD im Abgeordnetenhaus tut oder nicht, | |
interessiert ihre AnhängerInnen vergleichsweise wenig. „Die eigentliche | |
Arbeit in den Parlamenten ist kaum entscheidend für den Wahlerfolg dieser | |
Partei“, sagt die Expertin Vera Henßler vom Antifaschistischen Pressearchiv | |
und Bildungszentrum (apabiz). | |
Auch wenn Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahlergebnisse nur bedingt | |
vergleichbar sind, scheint ein Blick auf Letztere diesen Eindruck zumindest | |
nicht zu widerlegen: Dass sich die AfD durch das Jahr in den Parlamenten | |
entscheidend verbessert oder verschlechtert hätte, ist in den Zahlen nicht | |
zu erkennen. | |
Noch etwas bestätigt, dass die parlamentarische Arbeit nur einen | |
nachrangigen Wert für die Partei hat: Die Mitglieder wollen mehr. War in | |
Berlin der Einzug in die Parlamente lange das bestimmende Thema der AfD, | |
drängt vor allem die Basis jetzt auf etwas anderes: mehr Sichtbarkeit in | |
der Stadt, in den Vereinen, Verbänden und auf der Straße. Der am letzten | |
Wochenende im Amt bestätigte Parteichef Georg Pazderski hat das in seiner | |
Rede beim Parteitag selbst als Losung ausgegeben, wohl auch, um dieser | |
Forderung entgegenzukommen. | |
## Streit über Strategien | |
Denn es läuft nicht alles rund in der Berliner AfD, auch wenn es Fraktion | |
und Partei bislang schaffen, nach außen einen halbwegs geschlossenen | |
Eindruck zu vermitteln. Es wäre dabei falsch, die Konflikte nur anhand des | |
Schemas „Ganz rechts/etwas weniger rechts“ zu analysieren, wie es mit Blick | |
auf die AfD Usus geworden ist. Denn es stimmt zwar, dass die Forderungen | |
nach einer größeren Präsenz auf der Straße, nach weniger Zurückhaltung und | |
mehr Risikobereitschaft auch in Berlin vor allem von AfDlern vorgetragen | |
werden, die für ihre Nähe zum Höcke-Flügel bekannt sind. | |
Doch die inhaltlichen Unstimmigkeiten in der AfD sind weniger groß, als es | |
auf den ersten Blick scheinen mag: Kaum jemand hat intern mit ganz rechten | |
Parolen ein Problem, angeblich politisch untragbare Mitglieder sind auf den | |
Parteitagen nach wie vor völlig integriert. | |
Ausgegrenzt werden andere: Der Spandauer Stadtrat Andreas Otti, Angehöriger | |
des letzten noch eher liberal ausgerichteten Kreisverbands, wird für seinen | |
angeblich zu positiven Europa-Bezug scharf kritisiert. Lauten Beifall gibt | |
es hingegen, wenn Abgeordnete wie Carsten Ubbelohde und Jeannette Auricht | |
die innere Einheit beschwören und vor „Ausschließeritis“ warnen: Egal wie | |
krass die Entgleisungen von AfDlern sind, sie sollen trotzdem zur Partei | |
gehören, ist die Botschaft. | |
Das nämlich ist der viel wichtigere Konflikt in der Berliner AfD, ein Jahr | |
nach dem Einzug der Parlamente: Was kommt als Nächstes? Geht es darum, die | |
Wahlergebnisse beim nächsten Mal noch deutlich zu steigern – auch wenn das | |
bedeutet, in der Öffentlichkeit auf ein Mindestmaß an Seriosität und | |
Wählbarkeit achten zu müssen? Oder soll die Partei ihre | |
außerparlamentarische Arbeit verstärken, den ganz rechten Rand mitnehmen, | |
so radikal wie möglich sein? | |
Sinnbildlich für diesen Konflikt und die mit ihm verknüpften | |
Missverständnisse in der Deutung dieser Partei steht der Abgeordnete | |
Andreas Wild. Sein Ausschluss aus der Fraktion wurde vielfach als Maßnahme | |
interpretiert, die ihn für seine zu rechten Äußerungen bestrafen sollte. | |
Doch es ist fraglich, ob die Führungskräfte von Fraktion und Partei | |
wirklich damit ein Problem haben. Oder ob es nicht viel eher Wilds | |
Unkontrollierbarkeit war, sein Fokus auf Aktionen auf der Straße, seine | |
Weigerung, sich von den auf ein halbwegs moderates Außenbild bedachten | |
Parteikollegen zähmen zu lassen, die ihn die Fraktionszugehörigkeit | |
kostete. | |
Eins jedenfalls ist klar: Dass die Partei in Berlin vor einem Jahr den | |
Einzug in die Parlamente schaffte, hat nicht nur das dortige Klima | |
verändert. Es hat auch zu einer Situation geführt, die der Partei auf | |
Bundesebene erst noch bevorsteht: Weil dieser Etappensieg nun errungen ist, | |
geht die Diskussion um die strategische Ausrichtung erst richtig los. Gut | |
möglich, dass die Partei in Berlin bald vor deutlich größeren Konflikten | |
steht als allen, die sie bisher überwinden konnte. | |
13 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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