| # taz.de -- Zwang zur Veränderung: Das Sterben der Höfe | |
| > Die Zahl der Bauernhöfe in Deutschland sinkt stetig – 5.400 weniger waren | |
| > es im letzten Jahr. Was bedeutet es für die Bauern, wenn sie aufgeben | |
| > müssen? | |
| Bild: Hinaus ins Freie: die Landwirtschaft muss die alten Wege verlassen. | |
| Es sind gerade die älteren Landwirte, denen die Worte fehlen. Sie sind | |
| verzweifelt und haben keine Kraft mehr, aber sie schweigen über ihre | |
| Probleme. Darüber, dass sie kein Geld mehr haben, sie von neuen Auflagen | |
| für mehr Tier- und Gewässerschutz überfordert sind oder ihre Kinder den | |
| Hof, der schon so lange in Familienbesitz ist, nicht übernehmen wollen. Es | |
| sind deshalb meist die Ehefrauen, die beim Sorgentelefon für | |
| landwirtschaftliche Familien anrufen. | |
| „Wenn der Betrieb nicht rundläuft, geht das auch in die Ehe“, sagt einer | |
| der Telefonseelsorger. Viele Bauern litten außerdem unter dem | |
| gesellschaftlichen Umgang mit der Landwirtschaft. „Man wird verurteilt“, | |
| sagt der Berater. „Die Gesellschaft glaubt, dass bei uns Tiere gequält | |
| werden.“ | |
| Wegen der heftigen Kritik überlegten die Landwirte genau, ob sie der | |
| nächsten Generation „ein so schweres Erbe aufbürden wollen“. | |
| Die Bauern stehen vor einem Dilemma. Gesellschaftlich gewünscht sind kleine | |
| Betriebe in Familienbesitz, in denen der Landwirt jedes Schwein kennt, | |
| Krankheiten sofort entdeckt und die Tiere behandelt werden. Großbetriebe | |
| mit hunderten Schweinen sind allzu oft in den Medien, wenn Tierschützer | |
| Kameras in die Stallanlagen schmuggeln. Die Videos zeigen winzige Buchten, | |
| in denen kotverschmierte Tiere mit blutig gebissenen Ringelschwänzen dicht | |
| gedrängt stehen. | |
| Für die Landwirte aber lohnen sich die kleinen Höfe nicht. Sie stehen unter | |
| wirtschaftlichem Druck. Wachstum. Größere Maschinen. Teure Melkroboter. | |
| Tierschutzgerechte Ställe. Wer auch einmal in den Urlaub fahren und nicht | |
| jeden Sonntag arbeiten möchte, der braucht Angestellte. Um sich das leisten | |
| zu können, ist eine gewisse wirtschaftliche Größe nötig. | |
| Der Strukturwandel hat sich in Niedersachsen trotzdem verlangsamt. Während | |
| von 2010 bis 2013 in dem Bundesland 2.800 Betriebe aufgelöst wurden, waren | |
| es von 2013 bis 2016 noch 2.100 Betriebe. Insgesamt gibt es noch 19.500 | |
| Haupterwerbsbetriebe in Niedersachsen. Im Ackerbau stieg die Zahl der | |
| Landwirte sogar. Das Höfesterben ist vor allem ein Problem der Milchvieh- | |
| und Sauenhalter. Daran haben die niedrigen Preise auf dem Markt großen | |
| Anteil. | |
| In den meisten Fällen sei es jedoch kein Problem, einen Nachfolger zu | |
| finden, sagt Gabi von der Brelie, die Sprecherin des Landvolks, des | |
| niedersächsischen Bauernverbands. Wenn ein Hof aufgegeben werde, sei das | |
| oft ein langfristiger Prozess. | |
| Doch auch sie bestätigt, dass die zusätzlichen Auflagen in der Tierhaltung | |
| den Landwirten Probleme machten – gerade den Sauenhaltern. Statt einzeln | |
| müssen die Tiere seit einigen Jahren in Gruppen gehalten werden, wenn die | |
| Schweine krank sind, müssen die Bauern sie in separaten Krankenbuchten | |
| unterbringen. Die Tiere brauchen Beschäftigungsmaterialien, und auch für | |
| die Größe der Liegeplätze gibt es zentimetergenaue Vorgaben. | |
| Sicher sind die Veränderungen, die Politik und Gesellschaft von den | |
| Landwirten einfordern, nicht einfach umzusetzen. Jede neue Verordnung | |
| bedeutet einen finanziellen oder organisatorischen Aufwand. Es ist für die | |
| Bauern auch bestimmt nicht angenehm, unter einer Art Generalverdacht zu | |
| stehen, weil Tierschützer regelmäßig schlechte Haltungsbedingungen | |
| öffentlich machen. | |
| Aber bei allem Verständnis für die schwierige Situation der einzelnen | |
| Familien muss die Frage erlaubt sein, ob ein Bauer, dem Tierschutzauflagen | |
| zu viel sind und der sich davon überfordert fühlt, die Haltung an neue | |
| Standards anzupassen, nicht tatsächlich besser einen anderen Beruf ausüben | |
| sollte. Auch wenn das bedeutet, dass ein Hof stirbt. | |
| In einem Betrieb, in dem Lebewesen gehalten werden, müssen die Regeln | |
| besonders streng sein und auch streng kontrolliert werden. Es ist im Sinne | |
| der Tiere, dass exakt bestimmt ist, wie ein tierschutzgerechter Stall | |
| auszusehen hat. Wie nervig das für die Bauern ist, ist nachrangig. | |
| Landwirtschaftspolitik muss sich am gesellschaftlichen Fortschritt | |
| orientieren. Verbraucher wollen Fleisch, Käse und Eier, für die die Tiere | |
| nicht leiden mussten. Der Gesetzgeber muss dafür die Rahmenbedingungen | |
| schaffen; und die Landwirte müssen diese umsetzen. | |
| Aber natürlich gibt es auch hier zwei Seiten. Die Bauern dürfen nicht | |
| allein gelassen werden. Sie brauchen finanzielle Unterstützung für | |
| Stall-umbauten. Es gibt solche Fonds, etwa das | |
| Agrarinvestitionsförderungsprogramm. Der grüne niedersächsische | |
| Agrarminister Christian Meyer hat die Gelder allerdings an mehr Tierschutz | |
| und Platz für die Tiere gekoppelt. Megaställe werden nicht mehr gefördert. | |
| Es bleibt abzuwarten, was eine große Koalition daraus macht. | |
| Was jedoch ebenso wichtig ist: Die Verbraucher müssen bereit sein, einen | |
| höheren Preis zu zahlen – damit Bauern wieder von ihrem Hof leben können. | |
| Mehr zum Thema Höfesterben finden Sie in der Wochenendausgabe der taz.nord | |
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| 10 Nov 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andrea Scharpen | |
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