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# taz.de -- Pro und Contra Wohnungsneubau: Lässt Lompscher zu wenig bauen?
> Der Stadtentwicklungssenatorin wird vorgeworfen, zu viel Mieterschutz und
> zu wenig Neubau zu betreiben. Wäre das ein Fehler?
Bild: Ist der Helm nur Kosmetik?
Ja, sagt Stefan Alberti
„Senatorin für Stadtentwicklung“ ist das Amt überschrieben, das Katrin
Lompscher bekleidet – Entwicklung, nicht Stillstand und auch nicht allein
Mieterschutz. Lompscher aber entwickelt nicht, sie bewahrt oder versucht es
zumindest. Das wäre völlig legitim, wenn sie Vorsitzende einer
Kiezinitiative gegen Verdrängung wäre. Die darf gerne nur ihre eigenen
Interessen im Blick haben. Ein Regierungsmitglied wie sie aber hat sich am
Gesamtbild vieler solcher Initiativen und Einflüsse zu orientieren. Sie ist
qua Amt dem Wohl der ganzen Stadt verpflichtet – der „wachsenden“ Stadt,
von der der Senat sonst schier in jedem dritten Satz redet.
Mit jeder Wohnung, die weniger gebaut wird, verschärft sich der Kampf um
eine bezahlbare Behausung – wobei „bezahlbar“ genauso wie das in gleicher
Weise verwendete „preiswert“ rein subjektiv ist: Schon zwischen SPD und
Linkspartei gehen die Definitionen darüber auseinander. Jede neue Wohnung,
egal ob bezahlbar oder teuer, ist eine mehr auf dem Markt – und lässt einen
Suchenden weniger zurück, der sonst einen Altbaueigentümer dazu bringen
könnte, seinen bisherigen Mieter rauszuekeln und die Wohnung anschließend
doppelt so teuer zu vermieten.
Neue Wohnungen können zudem entstehen, ohne jede freie Rasenfläche
zuzuklotzen. Lompschers Vorgänger, SPD-Mann Andreas Geisel, hatte zu Recht
dafür geworben, platzsparend in die Höhe zu bauen, was ja für eine
Großstadt innerstädtisch normal sein müsste.
Der Zuzug wird vorerst anhalten, und er wird sich künftig verstärkt auf
diejenigen auswirken, die jetzt eine Wohnung haben, die sie bezahlen
können. Wer jetzt günstig allein wohnt, lebt mit gewisser
Wahrscheinlichkeit irgendwann mal zu zweit und später zu dritt oder viert
und wird dafür eine gleichfalls bezahlbare Wohnung brauchen, wie die jetzt
nach Berlin drängenden Menschen. Diese Wohnung ist dann aber nicht da, wenn
Berlin hinter seinen Neubauzielen zurückbleibt. Wer jetzt nicht bauen
lässt, schadet letztlich denen, die er oder sie schützen will.
Parteipolitisch mag sich Lompschers enge Amtsinterpretation als oberste
Mieterschützerin für die Linkspartei kurzfristig weiter auszahlen – die
jüngsten Umfragen und das Ergebnis bei der Bundestagswahl legen das nahe.
Aber auch nur, solange die Linke bloß Klientelpartei sein will:
Verantwortungsgefühl für die ganze Stadt, zentraler Maßstab für jegliche
Regierung jeglicher Couleur, findet sich in ihrem Ansatz nämlich nicht.
Stefan Alberti
## Nein, sagt Uwe Rada
Eine Neubausenatorin ist Katrin Lompscher bisher nicht gewesen. Die Zahl
der Baugenehmigungen bleibt hinter den Erwartungen zurück, selbst die
landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften haben mehr Anstrengungen beim
Neubau preiswerter Wohnungen gefordert. Weil zudem die im Koalitionsvertrag
vereinbarte Bürgerbeteiligung manches Bauvorhaben verzögert, wird Lompscher
nun – vor allem von der SPD – der Vorwurf gemacht, BerlinerInnen, die eine
Wohnung haben, zu schützen, neu Zuziehende dagegen auszugrenzen.
Weil Berlin im Schnitt derzeit jährlich um 50.000 neue BewohnerInnen
wächst, gehen die Mieten durch die Decke. 194.000 neue Wohnungen sind bis
2030 erforderlich, so eine neue Prognose des Senats. Selbst will
Rot-Rot-Grün jährlich 6.000 neue Wohnungen von den landeseigenen
Gesellschaften bauen lassen. Dahinter steckt die Annahme, dass nur der
Neubau die Wohnungsnot lindern und auch ein Ansteigen der Mieten im Bestand
dämpfen kann. Das aber ist irrig.
Neubauwohnungen sind teuer, und die wenigen preiswerten, die gebaut werden,
werden nicht nur von Zuzüglern gebraucht, sondern auch von denen, die aus
ihren Kiezen vertrieben werden. Der „Klassenkampf Berliner gegen Zuzügler“,
wie ihn gerade erst der Tagesspiegel ausgerufen hat, wird durch den Neubau
nicht entschärft. Er gehört, das ist ganz offensichtlich, zur Realität
einer wachsenden Stadt dazu.
Stellen wir uns doch einmal vor, wir hätten vor, nach New York zu ziehen
oder nach Paris. Und dann würden wir uns beschweren, dass es dort noch
Altmieter gibt, die von der lokalen Politik geschützt werden. Weil das
diskriminierend ist, wollen wir als Zuzügler genauso gut behandelt werden
wie diese Altmieter. Oder aber die genauso schlecht wie wir. Weltfremd,
oder? Und das ist der Grund, warum wir nicht nach New York oder Paris
ziehen. Aus dem gleichen Grund wird irgendwann auch der Zuzug nach Berlin
abebben.
Gut, dass dann wenigstens die Wohnungen in den Milieuschutzgebieten einer
gewissen Regulierung unterliegen. Gut, dass nicht alle Mittel und Energie
in den Neubau geflossen sein werden, von dem ohnehin nur eine Minderheit
profitiert hätte. Und gut, dass Berlin Wohnungen durch das Vorkaufsrecht
vor Spekulation schützt. Protektionismus, mögen da manche rufen. Das ist
falsch. Keiner wird davon abgehalten, nach Berlin zu kommen. Aber
öffentliche Mittel sollen vor allem für die da sein, die sich den Wahnsinn
nicht leisten können. Uwe Rada
24 Oct 2017
## AUTOREN
Stefan Alberti
Uwe Rada
## TAGS
Katrin Lompscher
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
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