# taz.de -- Kolumne Immer bereit: Die Stadt ist einfach zu voll! | |
> Kitaplätze sind rar, Schulplätze gibt es schon mal gar nicht, von | |
> Wohnungen nicht zu reden. | |
Bild: Bitte nicht mehr einsteigen. Ist schon voll | |
Es ist schon wieder wie zu Ostzeiten“, sagte meine Freundin Susi gestern. | |
„Die Leute bleiben ewig in ihren zu kleinen Wohnungen hocken, weil es | |
einfach nichts Größeres mehr gibt.“ | |
Susie wohnt mit ihrem Mann und zwei Kindern in einer Zweiraumwohnung in | |
Prenzlauer Berg. Das große Kind geht in die vierte Klasse. Da kann man | |
nicht eben ans andere Ende der Stadt ziehen. Kitaplätze sind rar und | |
Schulplätze gibt es schon mal gar nicht. | |
Meine Nachbarin ist Elternsprecherin an einer Schule in Pankow und sie | |
erzählt, die Schule hätte letztes Jahr drei mal so viele Anmeldungen | |
erhalten wie sie Plätze zur Verfügung hat. | |
Eine Frau aus meiner Sportgruppe ist Erzieherin im Kindergarten. Sie | |
erzählt, die meisten Kitas sind so unterbesetzt, dass die Kitas Kopfgeld | |
ausschreiben, wenn jemand neues Personal ranschafft. | |
Die Stadt ist einfach zu voll! | |
Als meine Eltern 1980 mit mir in eine größere Wohnung nach Adlershof zogen, | |
musste dafür vorher mein Großvater sterben. Nur dadurch wurde die Wohnung | |
frei, die meine Eltern dann besetzten. Vorher hatten sie in der | |
Einliegerwohnung eines Einfamilienhauses in Herzberge gewohnt, mitten in | |
der Pampa. Und bevor sie da einziehen konnten, waren sie schon zwei Jahre | |
verheiratet. | |
Davor hatte meine erwachsene, verheiratete Mutter mit ihrer erwachsenen, | |
verheirateten Schwester, deren Ehemann und Kind sowie meiner Großmutter und | |
einem Untermieter in einer Vierzimmerwohnung in Karlshorst gewohnt. Wenn am | |
Wochenende dann noch mein Vater und die Freundin des Untermieters kamen, | |
wurde es richtig kuschelig. | |
Jede Woche rannte meine Mutter aufs Wohnungsamt. | |
„Frau Streisand!“, sagten die Beamten. „Sie sollen doch nicht herkommen! | |
Wir melden uns bei Ihnen.“ Was sie natürlich nie taten. Weswegen meine | |
Mutter die Woche drauf dann wieder auf der Matte stand. | |
Damals ging es um Platz, heute geht es vor allem um Geld. | |
In Prenzlauer Berg gibt es zwar größere Wohnungen, aber keine, die Susis | |
Familie sich leisten kann. | |
Hanna hat ein anderes Problem. Sie hat Geld, weswegen sie und ihr Mann, als | |
sie 2016 aus Baden-Württemberg nach Berlin kamen, nach einigem Suchen eine | |
durchaus schöne Mietwohnung beziehen konnten. In Baumschulenweg, ehemaliger | |
Ostberliner Arbeiterbezirk. Die Wohnung war Eigentum eines Pärchens, das | |
mit einer Baugruppe gebaut, sich aber noch während des Baus mit den | |
Nachbarn verkracht hatte und gar nicht eingezogen war. Wert der Wohnung: | |
300.000 Euro. | |
Hanna war hochschwanger beim Einzug. Im Vertrag wurde eine Mindestmietfrist | |
von zwölf Monaten festgesetzt, die Hanna gerne unterschrieb. Mit Säugling | |
hat man andere Hobbys als Umziehen. | |
Ein halbes Jahr später, die kleine Familie hatte sich gut eingelebt, das | |
Kind war mittlerweile in der Kita angemeldet, erzählt ein Nachbar ihnen, | |
ihre Wohnung würde übrigens im Internet zum Verkauf angeboten. | |
Hanna und ihr Mann fielen aus allen Wolken. Die Eigentümer hatten mit der | |
Vermietung nur die Frist überbrücken wollen, bis die Wohnung im Grundbuch | |
eingetragen war. Vorher kann eine Wohnung nämlich nicht verkauft werden. | |
Der anvisierte Verkaufspreis lag bei 600.000 Euro. Das Doppelte der | |
Baukosten! Eine halbe Million und noch hunderttausend. In Baumschulenweg! | |
Die Bude wurde verkauft. An ein Paar mit Kind, sehr sympathisch. | |
Hanna und ihre Familie haben was Neues gefunden in Baumschulenweg. Aber die | |
Miete liegt jetzt im Schnitt 400 Euro höher als noch vor einem Jahr. | |
„Früher hab ich immer entschieden, wann ich umziehen will“, sagt Hanna. | |
„Aber dieses Gefühl, du bist in deinen eigenen vier Wänden nicht mehr | |
sicher, jemand anders dringt in dein Leben ein, das ist echt unheimlich.“ | |
4 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
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