# taz.de -- Kolumne „Immer bereit“: Wie eine Kreissäge in meinem Mund | |
> Unsere Kolumnistin muss zum Zahnarzt und fühlt sich dabei an | |
> Dauerbaustellen in der Stadt erinnert? Wie passt das bloß zusammen – | |
> kreisch! | |
Bild: Bleib mir damit bloß vom Leib! | |
Zahnarzt! Muss Füllung austauschen. Ganz oben hinten links. Der absolut | |
hinterletzte Backenzahn. Auf dem Weg zur Praxis komme ich an der | |
Dauerbaustelle in unserer Straße vorbei. Die ist da irgendwie ständig. | |
Meine Mutter sagt: „Alle halbe Jahre reißense die Straße uff, holen alle | |
Leitungen raus, sortieren drei Kabel, stopfen alles wieder rein und machen | |
die Straße wieder zu. Solange ick denken kann, hockt da immer eener uff | |
Knien und hämmert Steinchen. Die Arbeiter tun mir so leid! Das ist so eine | |
Scheißarbeit! Warum wird denn ditt nich besser koordiniert?“ | |
Genau dieselbe Frage stelle ich mir gerade in Bezug auf meinen | |
bevorstehenden Zahnarztbesuch. Füllung austauschen, ey! Ich versteh | |
überhaupt nicht, warum das ausgetauscht werden muss, wenn ich gar keine | |
Beschwerden habe! | |
Mama meinte, ich soll mir ’ne Spritze geben lassen – mach ich auch –, | |
intravenös, dann wirkt’s wenigstens. | |
## Zimperlich. Ach was: hysterisch | |
Ich bin ein etwas empfindlicher Mensch. Man könnte auch sagen zimperlich. | |
Und reichlich aufgeregt. Um nicht zu sagen hysterisch. Künstlerin eben. Was | |
soll ich machen? | |
Zwanzig Minuten später liege ich mit dem Kopf nach unten auf einem | |
Zahnarztstuhl und plappere drauflos: „Ich war mal im Krankenhaus für einen | |
Routineeingriff, da wollten sie eigentlich Lokalanästhesie … Und denn bin | |
ich aus der Vollnarkose nach drei Stunden … Die lokale Betäubung hat | |
einfach nicht gewirkt.“ | |
Sie haben mir eine Spritze oben links in den Gaumen gesetzt. Meine | |
Oberlippe ist etwas taub. Ansonsten spüre ich alles. An meiner linken | |
Schläfe sitzt die Zahnarzthelferin. Sie hält eine Art Rüssel in der Hand, | |
der aussieht wie der Abwasserschlauch unserer Waschmaschine. Zu meiner | |
Rechten sitzt die Zahnärztin. Sie trägt eine Brille über ihrem Mundschutz. | |
Auf ihren Brillengläsern sind zwei Lupen montiert, wodurch sie aussieht wie | |
ein Roboter mit Stielaugen. | |
„Wollen wir loslegen?“, nuschelt der Roboter hinterm Mundschutz hervor. | |
## Jetzt dieses Kreischen | |
Ich hatte ja gehofft, die beiden so lange ablenken zu können, bis sie | |
vergessen haben, wofür wir hier sind, und die Behandlungszeit vorbei ist. | |
Hat nicht geklappt. Ich atme tief durch und piepse: „Okay.“ | |
Es ist schrecklich. Es ist einfach schrecklich. Da kann mir einer sagen, | |
was er will. Zuerst kommt der fiese Kreischer, der klingt wie eine | |
Kreissäge in meinem Mund. Ich bin doch so geräuschempfindlich. Besonders in | |
den hohen Tonlagen. Ich kriege schon Ohrenschmerzen, wenn ich selber singe. | |
Und jetzt dieses Kreischen. | |
„Wenn was ist, heben sie die Hand“, nuschelt die Zahnärztin. | |
„Hännnnnghhäh“, sabbere ich. | |
Der Abwasserschlauch rödelt in meinem Mund. Die Zahnarzthelferin streichelt | |
mir die Wange. | |
„Frau Streisand“, flötet sie, „Sie müssen atmen. Atmen.“ | |
„Hännghääägghhhängang“, würge ich. | |
Die beiden Frauen nehmen das Werkzeug aus meinem Mund. „Wie bitte?“ | |
Ich huste. „Ich trau mich nicht“, jammere ich und schnappe nach Luft. „Ich | |
hab immer Angst, mich zu verschlucken.“ | |
„Sie müssen durch die Nase atmen“, sagt die Assistentin. „Sie sind ja sc… | |
ganz blass! Ich mach mal Fenster auf.“ | |
Der Lärm der Straßenbauarbeiten vor dem Fenster schwappt zu uns herein. | |
Presslufthämmer, Betonmischer, Bagger fahren durch die Gegend. Noch nie | |
habe ich mich so eins mit der Straße gefühlt wie jetzt. | |
„Atmen!!!“ | |
„Hänghääckchch.“ Röchel. Spuck. Hust. | |
„Sehnse!“ | |
Gefühlte Stunden später. „Das ist doch gut gelaufen“, sagt die Zahnärztin | |
fröhlich und nimmt ihre Roboterkluft ab. Ich habe Muskelkater am ganzen | |
Körper. Ich musste mich selber vom Wegrennen abhalten. | |
„Nächstes Mal machen wir den Drei-Sechser“, flötet die Zahnärztin. | |
Wenn ich hier rauskomme, werde ich unten die Straße küssen. Wie der Papst. | |
Einfach aus Mitgefühl. | |
8 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
## TAGS | |
Kolumne Immer bereit | |
Zahnarzt | |
Löwenzahn | |
Ökologischer Fußabdruck | |
Kolumne Immer bereit | |
Kolumne Immer bereit | |
Athen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Immer bereit: Was hab ich über Ökomuttis gelästert! | |
Bequeme Einmalwindeln oder lieber ökologisch korrekte Mehrwegwindeln? Der | |
Punkt ist, dass der Grüne Punkt doch nur eine Ausrede ist. | |
Kolumne Immer bereit: Die Stadt ist einfach zu voll! | |
Kitaplätze sind rar, Schulplätze gibt es schon mal gar nicht, von Wohnungen | |
nicht zu reden. | |
Kolumne Immer bereit: Das Leben der Nachbarn | |
Soll man aus dem billigsten Haus von Pankow ausziehen, weil die Nachbarn | |
nerven? Niemals! | |
Kolumne Immer bereit: Katze in Antik | |
Urlaub als Berliner Paar in Athen – das ist einfach schön! Über Gyros und | |
Katzen, Hundescheiße und Katzenpisse, ach ja, und über Wolfgang Schäuble!? |