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# taz.de -- Kolumne Immer bereit: Was hab ich über Ökomuttis gelästert!
> Bequeme Einmalwindeln oder lieber ökologisch korrekte Mehrwegwindeln? Der
> Punkt ist, dass der Grüne Punkt doch nur eine Ausrede ist.
Bild: Einwegwindeln sind ja schon länger ein Problem (hier eine Aufnahme von 1…
So. Nun ist es so weit. Ich bin mein eigenes Feindbild geworden.
Was hab ich früher gelästert über die [1][Ökomuttis] mit ihren Stoffwindeln
und den glasigen Augen und ihrer völligen Fixierung aufs Baby. Mit dieser
selbstverliebten Idee, durch individuelles Konsumverhalten die Welt zu
retten.
„Politische Lösungen!“, hab ich gerufen. „Sonst ist das reinste Gewissen
nur Augenwischerei!“
Und dann habe ich selbst ein Baby bekommen.
Und plötzlich meldete sich mein Gewissen. Was für Berge von Müll so ein
kleiner Mensch produziert! Allein diese Masse an Windeln! Vom
Energieverbrauch aufgrund Fläschchen abkochen, vollgekotzte Klamotten
waschen und Kaffee für die Eltern machen ganz zu schweigen.
„Dieses Kind ist kein halbes Jahr auf der Welt und hat schon mehrfach sein
eigenes Körpergewicht an Windeln vollgekackt“, sagte ich zu Paul.
„Und was die kosten!“, witzelte er. „Ab jetzt nehmen wir nur noch Klopapi…
für den Babypo. Einlagiges. Raufaser.“
## Einmalwindeln im Meer
Ich hatte Albträume von [2][Einmalwindeln], die durch die Tiefsee wabern
wie Quallen aus Plastik. Bis sie im Maul eines Delfins hängen bleiben, der
sie, kurz bevor er qualvoll daran verendet, noch auf irgendein irre
seltenes Korallenriff hustet.
Und dann kam es in den Nachrichten.
220 Kilogramm Verpackungsmüll. Pro Kopf. Pro Jahr. In Deutschland. Und die
Hälfte davon geht auf privaten Verbrauch zurück. Wie konnte das passieren?
Na ja. Gestern war ich einkaufen. Im Supermarkt. Lachs in Plastik, mit
Folie verschweißt. Brot aus der Tüte mit Klippverschluss, Milch und Saft in
Tetrapacks. Und dann Gemüse. Tomaten „aus der Region“ im umweltfreundlichen
Pappschiffchen mit Plastikfolie obendrüber. Bioäpfel, genauso verpackt, aus
Neuseeland; Gurken in Riesenkondomen und Pilze in der Plastikdose.
Wisst ihr noch damals, in den Neunzigern, als wir unser Obst und Gemüse im
Gemüseladen kauften? Ich stand vorm Verkaufstresen, reichte meinen Beutel
rüber und sagte: „Ein Pfund Tomaten, bitte“, und Frau Schramm sagte: „Die
italienischen sind teurer, aber die Brandenburger sind genauso gut.“
Der Bäcker war auf der anderen Straßenseite, Getränke-Hoffmann um die Ecke.
„Flaschen wegbringen“ war ein stehender Begriff.
## Plötzlich denke ich anders
Wir gingen jeden Tag einkaufen. Die Wege waren kürzer, dafür legten wir sie
häufiger zurück. Und wir kauften weniger.
Und heute? Tante-Emma-Läden und Bäcker gibt es nur noch in größeren
Städten. Discounter haben den Lebensmittelmarkt längst unter sich
aufgeteilt.
Na ja, und nun haben wir ein Baby und plötzlich denke ich anders über
alles. Das Leben, die Erde, Partys, Wäsche. Alles.
Der Punkt ist, dass dieser Grüne Punkt doch nur eine Ausrede ist, um so
viel Plastik zu produzieren, dass man das ganze Land darin verpacken
könnte.
1991 wurde die Idee entwickelt. Angeblich wollte man damit Verpackungsmüll
vermeiden. Tatsächlich ist das Ying-und-Yang-artige Piktogramm doch nur
eine Ausrede, so viel Müll zu produzieren wie möglich. Schafft
Arbeitsplätze, bringt die Wirtschaft in Schwung, die Herstellung der
Verpackungen genauso wie das Recycling.
## Ein strukturelles Problem
Und damit ist es eben doch kein privates, sondern ein strukturelles
Problem.
Und deswegen benutzen wir jetzt [3][Stoffwindeln]. Zumindest fürs Erste.
Fragt mich in einer Woche, wie lange wir durchgehalten haben.
5 Aug 2018
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96ko
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Windel
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Gummihose
## AUTOREN
Lea Streisand
## TAGS
Ökologischer Fußabdruck
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