# taz.de -- Katalonien-Demonstration in Barcelona: „Dialog? Nein! Knast!“ | |
> Hunderttausende protestieren gegen die Abspaltung von Katalonien. An | |
> ihrer Dialogbereitschaft ließen viele zweifeln. | |
Bild: Barcelona am Samstag: Tausende Menschen fordern einen Dialog im Katalonie… | |
MADRID taz | Die Farben Spaniens bestimmen das Straßenbild Barcelonas eine | |
Woche nach der Abstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens und nur zwei | |
Tage vor einer möglichen einseitigen Unabhängigkeitserklärung durch den | |
katalanischen Autonomiepräsidenten Carles Puigdemont. Am Sonntag zogen | |
Hunderttausende durch die Straßen der katalanischen Hauptstadt. Aufgerufen | |
hatte die Katalanische Zivilgesellschaft (SCC) unter dem Motto „Genug: | |
Gewinnen wir die Besonnenheit zurück“. | |
Es gehe darum, der schweigenden Mehrheit in Katalonien eine Stimme zu | |
geben, so die Veranstalter. Die SCC wurde 2014 von Persönlichkeiten aus dem | |
Umfeld der in Madrid regierenden Partido Popular (PP) von Premier Mariano | |
Rajoy, der sozialistischen PSOE und der rechtsliberalen Ciudadanos (C’s) | |
gegründet, um der wachsenden Unabhängigkeitsbewegung etwas | |
entgegenzusetzen. Immer wieder werden der Organisation Kontakte zu | |
rechtsextremen Kreisen nachgesagt. | |
„Zusätzlich zu den Katalanen sind Tausende von Männern und Frauen aus allen | |
Ecken Spaniens hier, selbst aus Peru, um den katalanischen Freunden zu | |
sagen, dass sie nicht allein sind, dass wir mit ihnen sind, dass wir mit | |
ihnen die Schlacht um die Freiheit führen werden“, erklärte der | |
eingebürgerte peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa auf | |
der Abschlusskundgebung. | |
Deren Teilnehmer – über 900.000 laut SCC, 350.000 laut Stadtpolizei von | |
Barcelona – kamen per Bahn, Privat-Pkw und eigens gecharterten Bussen aus | |
allen Teilen Spaniens. Unter ihnen befanden sich PP-Minister und ranghohe | |
-Politiker, aber viele Sozialisten – allen voran Josep Borrell, Katalane | |
und Expräsident des Europaparlamentes, der gemeinsam mit Vargas Llosa | |
auftrat. Beide führten die Demo zusammen mit dem Delegierten der Madrider | |
Zentralregierung in Katalonien, Enric Millo, an. Millo hat den Oberbefehl | |
über die in Katalonien zusammengezogenen Polizeikräfte – und damit die | |
Verantwortung für die brutalen Einsätze am Tag des Referendums und knapp | |
900 Verletzte. | |
## #hablamos? #parlem? | |
„Puigdemont ins Gefängnis“ lautete die wohl häufigste Parole. „Dialog? | |
Nein! Knast!“ war auf Pappschildern zu lesen. „Katalanen, wir mögen euch�… | |
riefen die Demonstranten und ließen gleichzeitig die Guardia Civil und die | |
Nationalpolizei hochleben. Immer wieder wurden Beamte der katalanischen | |
Autonomiepolizei mit Sätzen wie „Raus hier, das ist Spanien“ beschimpft. So | |
mancher Demonstrant trug auf seinem T-Shirt Symbole der Franco-Diktatur, | |
eine große Gruppe von Ex-Berufssoldaten machte sich durch Militärmützen | |
kenntlich. | |
Nur 24 Stunden zuvor hatten andere Demonstranten die Bilder in Spaniens | |
Medien bestimmt. Vom kleinsten Dorf bis zu den größten Städten sammelten | |
sich am Samstag um 12 Uhr Menschen in weißer Kleidung mit weißen Fahnen vor | |
den Rathäusern und forderten einen Dialog zwischen der Madrider Zentral- | |
und der Autonomieregierung „Generalitat“ in Barcelona. Das Motto der | |
Initiative, zu der eine Handvoll junger Politologen aufgerufen hatten, | |
lautete „#hablamos? #parlem?“ (Sprechen wir?). In der katalanischen | |
Hauptstadt war der Platz San Jaume, auf dessen einen Seite das Rathaus und | |
auf der anderen der Sitz der Generalitat liegt, brechend voll. In Madrid | |
versammelten sich weit über zehntausend Menschen. | |
„Spanien ist besser als seine Regierenden“, beginnt das Manifest, das die | |
Initiatoren vergangenen Montag auf Facebook und Twitter gestellt hatten. | |
„Sie haben Hass gesät, sie entzweien und konfrontieren uns. Wenn wir als | |
Gesellschaft nicht eingreifen, wird Spanien zu einem Land, in dem es sich | |
nur schwer leben lassen wird.“ | |
Doch Premier Mariano Rajoy will von einem Dialog nichts wissen. „Auf | |
Erpressung kann nichts aufgebaut werden“, erklärte er in einem | |
Exklusivinterview in der Madrider Tageszeitung El País vom Sonntag. Er | |
lobte die Demonstrationen für die Einheit des Landes und zeigte sich | |
angetan von der Idee einer „Regierung der Konzentration“ mit allen | |
Parteien, die sein hartes Vorgehen zum Schutz der Verfassung unterstützen. | |
## „Bis die Normalität zurückkehrt“ | |
Autonomiepräsident Puigdemont dagegen will am Dienstag vor dem Parlament in | |
Barcelona über die Lage diskutieren. Er könnte dies zum Anlass nehmen, | |
einseitig die Unabhängigkeit auszurufen. 43 Prozent der Katalanen hatten | |
trotz Verbot und Polizeigewalt abgestimmt, 90,2 Prozent davon unterstützten | |
die Unabhängigkeit. | |
Die spanische Regierung behalte sich „alle Schritte“ vor, beteuert derweil | |
Rajoy. Auch die Anwendung des Artikels 155 sei nicht ausgeschlossen. Dieser | |
sieht vor, dass Madrid die Autonomieverwaltung in Katalonien aussetzt und | |
selbst die Regierungsgeschäfte in der nordostspanischen Region übernimmt. | |
Die anlässlich des Referendums nach Katalonien verlegten 6.000 Polizisten | |
und Guardia Civiles würden so lange bleiben, „bis die Normalität | |
zurückkehrt“. Eine Vermittlung lehnte er strikt ab. | |
Am Vorabend der Demonstration in Barcelona erhielt Rajoy Unterstützung | |
durch Ex-Regierungschef Felipe González. „Ich hätte den Artikel 155 | |
angewendet, um die Verfassung und das Statut (über Kataloniens Autonomie) | |
zu verteidigen“, so der Sozialist in Berlin und schloss sich damit den | |
Stimmen aus der PP und aus Ciudadanos an, die Rajoy ein zögerliches | |
Vorgehen vorwerfen. Der Ruf nach Dialog und Vermittlung der katalanischen | |
Regierung, der unter anderem von der linksalternativen Podemos, den | |
baskischen Parteien, Teilen der Amtskirche, von Gewerkschaften und der | |
katalanischen Anwaltskammer unterstützt wird, sei „Geklingel, das nur Leute | |
interessiert, die den Rahmen der Verfassung nicht akzeptieren“. | |
Nach der Schweizer Regierung boten am Sonntag „The Elders“ ihre Vermittlung | |
an. Der Gruppe, die von Nelson Mandela, dessen Frau Graça Machel und | |
Desmond Tutu gegründet worden war, gehören neben dem Ex-Generalsekretär der | |
Vereinten Nationen, Kofi Annan, zahlreiche ehemalige Staatsmänner und | |
-frauen an. | |
8 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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