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# taz.de -- Richter disst Tierschutzaktivisten: Sitzblockierer „in der Tradit…
> Dieses Urteil knallt: Weil er vier Stunden auf einem LKW saß, soll ein
> Tierrechtler drei Monate in Haft. Der Richter wählt einen sehr deutschen
> Bezug.
Bild: Suchbild: Wer auf diesem Bild die „Unrechtstradition der SA“ findet, …
BERLIN taz | Es sollte am 17. August in jenem Raum des Amtsgerichts
Nienburg nur um eine recht überschaubare Angelegenheit gehen: Ein Mann
namens Carl-Philipp Heldman, 32, hatte sich ein Jahr zuvor über vier
Stunden lang auf einen weißen LKW gesetzt, um diesen an der Weiterfahrt zu
hindern. Es ging um Tiertransporte und eine Tierfabrik. Außer, dass Heldman
auf dem Führerhaus saß und sich weigerte hinunterzukommen, ist damals nicht
viel passiert. Nun also sollte der Mann ohne Vorstrafen zum ersten Mal
bestraft werden. Häufig endet so etwas mit ein paar Tagessätzen Geldstrafe.
So wollte es in diesem Fall auch die Staatsanwaltschaft.
Am Ende dieser Verhandlung jedoch steht ein Urteil, das noch weit über
Nienburg hinaus für Gesprächsstoff sorgen dürfte. Aus zwei Gründen. Erstens
ging der Richter weit über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus. Er
verhängte nicht etwa eine Geldstrafe, sondern gleich drei Monate Haft – und
zwar ohne Bewährungszeit.
Doch was noch wesentlich bemerkenswerter ist: Im Urteil – „im Namen des
Volkes!“ – zieht der Strafrichter Jan-Hauke Förtsch eine direkte Linie von
der nationalsozialistischen Kampforganisation SA zu dem
Tierschutzaktivisten, der am 2. August 2016 vier Stunden und 47 Minuten auf
dem Lastkraftwagen in der Nähe einer Geflügelfabrik saß.
## „Strafverschärfend ist zu werten“
In der Urteilsschrift, die der taz vorliegt, heißt es auf Seite 6, wir
zitieren den Absatz:
„Strafverschärfend ist zu werten, dass der Angeklagte die Tat zu
politischen Zwecken begangen hat und mit der Tat besonderes öffentliches
Interesse erregen wollte. Denn der Angriff auf die Willensfreiheit Dritter
im vermeintlichen Kleide der Freiheitsrechte zur Durchsetzung eigener
politischer Ziele ist in einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung
besonders verwerflich. Insoweit steht der Angeklagte nicht in der etwaigen
philosophischen Tradition eines euphemistischen ‚zivilen Widerstands‘,
sondern in der Unrechtstradition politischer Straßenkämpfer wie der SA,
derer Methoden er sich hier im Kern bedient hat.“
Moment mal – die SA, war das nicht in der Zeit des Nationalsozialismus die
Sturmabteilung und paramilitärische Kampfeinheit der NSDAP?
Doch, das war sie.
Ups. Da muss dem Richter wohl einiges zu Kopf gestiegen sein, denn das
Verfahren verlief durchaus turbulent. Erstens ging es darin etwa um
Spitzfindigkeiten wie die Frage – kein Witz! –, ob es als Gewalt zu werten
sei, dass sich „der auf dem LKW sitzende Angeklagte die durch seine eigene
Masse vermittelte Schwerkraft und die daraus resultierende Reibung auf der
Oberfläche (gemeint ist: die Straßenoberfläche, d. Red.) als eigene
körperliche Kraftentfaltung zu Nutze gemacht hat“. Und zweitens war auch
der Angeklagte von der renitenten Sorte. Denn Carl-Philipp Heldman stammt
aus dem Kreis der Sympathisanten der Projektwerkstatt Saasen.
## Der Gerichtssaal als Bühne
Das ist eine Gruppe radikaler Aktivistinnen und Aktivisten, die gezielt
üben, wie sie mit maximaler Ausnutzung formaler Tricks [1][die Gerichtssäle
als Bühne nutzen] können – und die so versuchen, aus jeder
Gerichtsverhandlung noch ein Politikum zu machen. Nervig, klar, ist das für
einen Richter schon. Richter Förtsch ließ den Angeklagten Heldman daher
auch einmal ganz aus dem Gerichtssaal tragen.
Dass er in seiner Urteilsschrift dann aber bis zur SA greifen musste, ist
dann, sagen wir: zumindest bemerkenswert.
Immerhin haben andere Staatsbedienstete in dem Verfahren einen kühlen Kopf
behalten und verhindert, dass das Urteil rechtskräftig wird. Und auch das
ist eine Besonderheit: Nicht nur der Angeklagte, sondern die Ankläger
fanden das Urteil so überzogen, dass sie Berufung einlegten.
Der zuständige Oberstaatsanwalt Marcus Röske sagte der taz: „Wir hielten
eine Freiheitsstrafe von drei Monaten hier für unangemessen. Letztendlich
ging es in dem Verfahren um das Blockieren eines LKW.“
22 Sep 2017
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## AUTOREN
Martin Kaul
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Sitzblockade
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