# taz.de -- Bodo Ramelow über Rechtspopulismus: „Wie in der Weimarer Republi… | |
> Mit aller Macht will die AfD das Parlament als vermeintliche | |
> „Schwatzbude“ vorführen, warnt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramel… | |
Bild: Die AfD wird das Parlament missbrauchen, fürchtet Bodo Ramelow | |
taz: Herr Ramelow, was ist denn wirklich spannend an dieser Wahl? | |
Bodo Ramelow: Im Moment ist einfach kein Ergebnis zu erkennen. Ich sehe das | |
jedenfalls nicht. Zweimal in letzter Zeit, dachte ich bei Wahlen, es wird | |
schon nicht so schlimm kommen und am nächsten Morgen kam das böse Erwachen: | |
Brexit und Trump. Schlimmer geht offenbar immer. | |
Aber mit [1][Rot-Rot-Grün] wird es nichts mehr. | |
Ich vermag da keine seriöse Prognose abzugeben, weder für Rot-Rot-Grün noch | |
für Schwarz-Gelb. Vor drei Jahren waren wir in Thüringen die ersten mit | |
Rot-Rot-Grün. Damals hieß es: das hält höchstens 100 Tage. Mir haben alle | |
immer gesagt, Dreierkonstellationen gehen gar nicht. Wir haben inzwischen | |
Koalitionen in Deutschland, die hätte sich vor drei Jahren niemand | |
vorstellen können. Dabei handelt es sich zumeist um Konstellationen, die | |
durch die Wahlerfolge der AfD bedingt sind. Deswegen sage ich: Diese | |
Bundestagswahl wird am Ende zu einer großen mathematischen Herausforderung | |
für viele Akteure führen. | |
Wenn kein Wunder geschieht, werden wir die AfD im Bundestag haben. [2][Wie | |
soll man damit umgehen]? | |
Der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert hat mit großer Weitsicht | |
und Souveränität die Parlamentsrechte geachtet, gepflegt und entwickelt. Er | |
wird jetzt nicht mehr dabei sein. Und wenn ich mir vor Augen führe, was die | |
AfD mit der Geschäftsordnung in Thüringen schon angestellt hat – und Sie | |
werden im Bundestag einen sehr lauten Herrn Brandner erleben –, dann muss | |
sich dieser Bundestag auf eine Entwicklung einstellen, die ich sehr ungut | |
finde. | |
Nämlich? | |
Das Agieren in den Endzwanziger Jahren der Weimarer Republik: „Das | |
Parlament ist eine Schwatzbude, und wir nutzen die Geschäftsordnung so aus, | |
dass die Schwatzbude sich selber ad absurdum führt“ wird eine starke | |
Wiederbelebung erfahren. Darauf muss sich das Parlament vorbereiten, auch | |
mental. Wir haben das exemplarisch anlässlich des traditionellen | |
parlamentarischen Abends der Handwerker in Thüringen erlebt. | |
Inwiefern? Das ist doch eine ganz solide Veranstaltung. | |
Das konnte sich bis dahin niemand vorstellen: An genau diesem Tag bricht | |
die AfD eine künstliche Geschäftsordnungsdebatte vom Zaun, über Stunden | |
hinweg, mit der Absicht, den parlamentarischen Abend zu stören | |
beziehungsweise zu verhindern. Da standen Hunderte von Handwerksmeistern | |
und warteten vergeblich auf den Diskurs mit den Abgeordneten. Hinterher, am | |
Büfett war die AfD gut vertreten, Björn Höcke war wohl einer der Ersten. | |
Wir müssen uns also auf endlose Geschäftsordnungsdebatten einstellen? | |
Ich fürchte ja. Leute wie Stephan Brandner werden die Geschäftsordnung so | |
verbiegen, um das Parlament vorzuführen. So schräg können Sie gar nicht | |
denken. | |
Das klingt nicht gut. | |
Das ist auch nicht gut. Wenn wir mit Herrn Carius . . . | |
. . . Christian Carius, Parlamentspräsident von der CDU . . . | |
. . . und den demokratischen Parteien, die von der AfD samt und sonders das | |
Altparteienkartell genannt werden, keine Übereinkunft hätten, wäre es noch | |
misslicher. Ein Beispiel: Am Tag des Holocaust-Gedenkens hat Herr Carius | |
durch seine Haltung den AfD-Fraktionsvorsitzenden Höcke davon abgehalten, | |
den Plenarsaal zu betreten, weil seine Teilnahme den anwesenden | |
Buchenwald-Überlebenden nicht zuzumuten war. Anschließend hat Höcke in der | |
KZ-Gedenkstätte von der dortigen Stiftung Hausverbot erhalten, genau für | |
zwei Stunden, mit polizeilicher Absicherung und der Einladung zu einer | |
Sonderführung, um sich über Gedenkstättenarbeit sachkundig machen zu | |
können. | |
Zu Ende gedacht heißt das? | |
Früher, unter dem alten parlamentarischen Konsens, wäre das nie passiert. | |
Es hätte immer einen Aushandlungsprozess gegeben. Ich bin lange genug im | |
Parlament. Ich kenne noch die Zeiten, als die PDS ausgegrenzt war. Aber an | |
Parlamentsregeln, auch an die ungeschriebenen, haben sich immer alle | |
gehalten. Jetzt ist es so, dass die ungeschriebenen Regeln gar nichts mehr | |
gelten und selbst die geschriebenen ausgehebelt oder überdehnt werden. | |
Gab es neulich nicht auch so ein Theater um die Vereidigung eines neuen | |
Ministers Ihrer Regierung? | |
Ja. Noch nie hat jemand dazu eine Aussprache verlangt. Es war bisher | |
unbestrittene Praxis: Die Begründung für den neuen Minister gibt der | |
Ministerpräsident, anschließend vereidigt der Landtagspräsident. Aber die | |
AfD zettelt eine Geschäftsordnungsdebatte an, der Landtagspräsident weist | |
das im Rahmen seiner Hoheit zurück, das wiederum beanstandet die AfD, | |
danach geht es in den Justizausschuss, der von der AfD geleitet wird und | |
immer so weiter. Deswegen empfehle ich: Man muss sich unter diesem | |
Gesichtspunkten die Geschäftsordnung des Bundestages anschauen. Die wird | |
die AfD in ihrem Interesse nutzen, koste es, was es wolle. Mich erinnert | |
das an die Endphase der Weimarer Republik. Wenn man mit den Herren Höcke | |
und Brandner nahe zu tun hat, ist dieses Gefühl geradezu greifbar. | |
Darauf kann man sich doch gar nicht vorbereiten, oder? | |
Das Parlament kann das. Es muss Klärungsort, Ort der Worte und der | |
Mehrheiten sein. Aber es darf und muss sich davor schützen, als Parlament | |
entwertet werden. Genau das versucht der Teil der AfD, mit dem wir hier zu | |
tun haben, regelmäßig. | |
21 Sep 2017 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Jan Feddersen | |
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