# taz.de -- Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen: Muss man sich leisten können | |
> Um zu wissen, ob die Bündnisoption klappt, muss man nach NRW schauen. | |
> Kritiker bemängeln den Abbau sozialer und ökologischer Standards. | |
Bild: Laschet (CDU) regiert mit nur einer Stimme Mehrheit. Seinen Partner FDP d… | |
Bis zur Bundestagswahl will Nordrhein-Westfalens neuer, seit Ende Juni | |
regierender CDU-Ministerpräsident Armin Laschet niemanden verprellen. Mit | |
„Maß und Mitte“ werde er regieren, verspricht der 56-Jährige. Auch sein | |
Koalitionspartner Christian Lindner, der in der Landeshauptstadt Düsseldorf | |
als FDP-Fraktionschef auf Abruf amtiert, gibt sich zumindest bis Sonntag | |
gemäßigt: „Ökonomie und Ökologie versöhnen“ wolle die selbst ernannte | |
„NRW-Koalition“ aus CDU und FDP, versichert der Star der Liberalen gern. | |
In ihren ersten 87 Tagen habe die schwarz-gelbe Regierung „eher auf | |
Kontinuität“ gesetzt, sagt deshalb der Politikwissenschaftler Martin | |
Florack von der Universität Duisburg-Essen. Mittelfristig stehe der mit nur | |
einer Stimme Mehrheit regierende Christdemokrat Laschet aber durchaus unter | |
Druck seines kleinen Koalitionspartners. | |
„Wirtschaftspolitisch ist die neue FDP die alte“, analysiert er. Für | |
Laschet bedeutet das: Vergrätzt er auch nur einen Neoliberalen, könnte | |
seine Regierung schnell Geschichte sein. „Stephan Weil lässt grüßen“, sa… | |
Florack mit Blick auf die nach dem Seitenwechsel der Grünen Elke Twesten | |
vor Neuwahlen stehende, SPD-geführte Landesregierung Niedersachsens. | |
Aller schwarz-gelben Vorwahl-Beruhigungsrhetorik zum Trotz blicken | |
Gewerkschafter und Umweltschützer daher besorgt nach Düsseldorf, ebenso | |
VertreterInnen von Sozial- und Mieterverbänden und Eine-Welt-Initiativen. | |
Aktuell kritisieren sie vor allem das „Entfesselungspaket“, mit dem Laschet | |
und Lindner den „schlafenden Riesen“ NRW per „Bürokratieabbau“ aufweck… | |
wollen. | |
## Billige Produzenten werden bevorzugt | |
Dazu sollen nicht nur beim Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutz | |
Widerspruchs- und damit Bürgerrechte wegfallen. Entkernt werden soll auch | |
das Tariftreuegesetz, dass die Behörden des Landes bisher verpflichtet, | |
bei ihren milliardenschweren Einkäufen auf faire Arbeitsbedingungen zu | |
achten. | |
„Ökologische und soziale Standards werden ersatzlos gestrichen“, kritisiert | |
Nordrhein-Westfalens DGB-Vorsitzender Andreas Meyer-Lauber. „Billige Arbeit | |
verdrängt tarifliche Bezahlung und damit geregelte, faire | |
Arbeitsbedingungen.“ Dabei hat das Entfesselungspaket aus der Rheinprovinz | |
auch international Wirkung: Das Tariftreuegesetz verpflichtete die | |
Behörden des Landes bisher, zum Beispiel beim Kauf von Uniformen für | |
Polizei und Feuerwehr oder der Weißwäsche für Krankenhäuser nur bei | |
Unternehmen einzukaufen, die weltweit Arbeits- und Menschenrechte | |
einhalten. | |
„Keine Kinderarbeit, keine Zwangsarbeit, keine Behinderung von | |
Gewerkschaften, keine Gewalt gegen Frauen“: Aufgrund der Einkaufsmacht des | |
Landes hielten immer mehr Unternehmen des Textilhandels diese Kriterien | |
ein, sagt Johanna Fincke von der in der Tradition der Befreiungstheologie | |
stehenden Christlichen Initiative Romero aus Münster. „Unfassbar“ sei, dass | |
künftig nur noch der Preis zählen solle, kritisiert die Aktivistin: | |
„Unternehmen, die auf Kosten von Arbeits- und Menschenrechten produzieren, | |
werden bevorzugt.“ | |
Schlechte Karten haben unter Schwarz-Gelb auch die mehr als 300.000 | |
Langzeitarbeitslosen in NRW. Einen öffentlich geförderten, sozialen | |
Arbeitsmarkt lehnt Christian Lindner kategorisch ab: „Gesinnungsethik“ | |
seien entsprechende Forderungen von SPD und Grünen, tönt der | |
FDP-Bundeschef, der nach der Bundestagswahl nach Berlin verschwinden will. | |
Lindner vertrete eben nur eine „kleine Gruppe materiell gut Versorgter“, | |
sagt der Vorsitzende des Sozialverbands VdK in Nordrhein-Westfalen, Horst | |
Vöge. | |
## Großkraftwerk nah bei Kinderkrankenhaus | |
„Lindner hat das Problem nicht verstanden“, meint auch Matthias Veit vom | |
Sozialverband SoVD. Neben Geringqualifizierten gebe es allein in NRW 50.000 | |
schwerbehinderte Langzeitarbeitslose, die aufgrund ihres Handicaps auch in | |
Boomzeiten bestenfalls Aussicht auf prekäre, nicht existenzsichernde Jobs | |
hätten. | |
„Nur noch absurd“ sei auch die Energiepolitik von FDP-Wirtschaftsminister | |
Andreas Pinkwart, finden Umweltschützer. Für Windräder soll künftig ein | |
Mindestabstand von 1.500 Metern zur Wohnbebauung gelten – die für | |
Windenergie zur Verfügung stehende Fläche wird damit um 80 Prozent | |
eingeschränkt. „Braunkohlentagebaue dürfen dagegen bis zu 100 Meter an | |
Siedlungen heranrücken und Großkraftwerke wie in Datteln in unmittelbarer | |
Nähe zu einem Kinderkrankenhaus betrieben werden“, klagt Holger Sticht, | |
Landesvorsitzender des Umweltverbands BUND. | |
„Nicht hinnehmbar“ sei auch die Atompolitik von Laschet selbst, findet Udo | |
Buchholz, Vorstand beim Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU): | |
Zwar fordere der Ministerpräsident öffentlichkeitswirksam ein Aus für die | |
belgischen Reaktoren Tihange und Doel, in deren Reaktorbehältern tausende | |
Haarrisse gefunden wurden. Zu Deutschlands einziger | |
Urananreicherungsanlage, die vom münsterländischen Gronau aus noch immer | |
dutzende AKWs mit Atombrennstoff versorgt, sage Laschet dagegen „kein | |
Wort“. | |
Bescheiden geworden ist auch CDU-Verkehrsminister Hendrik Wüst. Von den | |
vollmundigen Wahlkampfversprechen, den Dauerstau auf Nordrhein-Westfalens | |
Autobahnen effektiv zu bekämpfen, ist nicht mehr viel zu hören. „Desolat“ | |
sei die Lage nach sieben Jahren Rot-Grün eben, tönt deshalb | |
Vizeministerpräsident Joachim Stamp. Gezielt verschweigt der | |
Familienminister allerdings Haushaltsmehreinnahmen von satten 1,4 | |
Milliarden Euro allein in diesem Jahr. Ohne neue Schulden kann Lindners | |
Ziehsohn so 500 Millionen Euro in die Kitas in NRW pumpen – und Werbung für | |
seine Partei machen. „Selten gab es eine so komfortable Finanzlage“, sagt | |
der Politikwissenschaftler Florack dazu. „Unangenehme Entscheidungen muss | |
die Landesregierung nicht treffen.“ | |
21 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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