| # taz.de -- Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft: Lobbyismus mit gekauften H… | |
| > Die Metaller-Lobby macht mobil. Weniger Staat, weniger Steuern und mehr | |
| > Wettbewerb lauten die Botschaften. Ihre Kampagnen sind irreführend. | |
| Bild: Typisch tendenziöse INSM-Werbung am Berliner Hauptbahnhof | |
| Berlin taz | Im Restaurant „Habel“ am Reichstag lassen es sich die Gäste | |
| schmecken. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) hat zum | |
| Pressefrühstück geladen – und knapp 50 Besucher sind der Einladung an | |
| diesem Mittwoch gefolgt. Der Anlass: Die Initiative hat die Wahlprogramme | |
| der Parteien evaluiert. Aus Arbeitgeberperspektive freilich, denn bei der | |
| Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft handelt es sich um eine | |
| Lobbyorganisation der Unternehmerverbände der Metall- und Elektroindustrie. | |
| Sie fordert in der Regel weniger Sozialstaat, weniger Steuern sowie mehr | |
| Wettbewerb, und sie wurde in der Vergangenheit wegen fragwürdiger | |
| Lobbyarbeit in der Öffentlichkeit bekannt. | |
| Doch im „Habel“ soll es nicht um die Vergangenheit, sondern um die Zukunft | |
| gehen. „Wie viel soziale Marktwirtschaft steckt in den Wahlprogrammen zur | |
| Bundestagswahl“, fragt die INSM. Das Ergebnis überrascht nicht. Der | |
| SPD-Vorschlag zur Rentenstabilisierung gehe auf Kosten künftiger | |
| Generationen, soziale Wohltaten seien nicht gegenfinanziert. | |
| Christina Boll vom privat finanzierten Hamburgischen | |
| Weltwirtschaftsinstitut hat die Evaluierung für die INSM erstellt und | |
| findet Lohnuntergrenzen „kontraproduktiv“. Ausnahmen vom Mindestlohn für | |
| Langzeitarbeitslose befürwortet sie – so weit so vorhersehbar. | |
| ## Zweifelhafte Lobbyaktionen | |
| Viel Lob gibt es vor allem für die FDP. Sie sei die „einzige Partei, die | |
| Strukturreformen im Schulsystem anspricht“, sagt Boll. Das heißt im Sinne | |
| der INSM vor allem mehr Wettbewerb zwischen den Schulen. Auch beim Thema | |
| Schuldenabbau passt zwischen die INSM und die Freien Demokraten kein Blatt | |
| Papier. | |
| Solange die Konjunktur gut ist, sollen die Staatsschulden abgebaut werden, | |
| so die übereinstimmende Forderung. Das sei man künftigen Generationen | |
| schuldig und wichtiger, als mit kurzfristigen „Geschenken“ an die Wähler | |
| die Staatsfinanzen zu gefährden. | |
| In der Vergangenheit machte die INSM mit Lobbyaktionen auf sich aufmerksam, | |
| die Transparenz vermissen ließen. 2002 platzierte sie ihre Botschaften | |
| beispielsweise in der Daily-Soap Marienhof und präsentierte sich in der | |
| Öffentlichkeit als unabhängige Vereinigung. Ab 2005 häuften sich dann | |
| kritische Berichte über die Arbeit der Metallerlobby. | |
| ## Neue Transparenz | |
| „Seitdem hat sich die mediale Berichterstattung über die INSM verändert“, | |
| sagt Timo Lange vom lobbykritischen Verein Lobbycontrol. „Immer mehr | |
| Redaktionen ordnen die Initiative mittlerweile als Lobbyorganisation ein, | |
| während viele Medien sie früher eher als unabhängigen Thinktank | |
| wahrnahmen.“ | |
| Deshalb würden ihre Kampagnen in den Medien auch seltener rezipiert. Auch | |
| habe die INSM mittlerweile ihre Kommunikationsstrategie angepasst und weise | |
| in Pressemitteilungen darauf hin, wer ihre Geldgeber sind. | |
| Doch nicht nur Pressevertreter möchte die Initiative auf ihre Seite ziehen. | |
| Vor allem die Öffentlichkeit möchten die Lobbyisten im Sinne ihrer | |
| Vorstellungen von „sozialer“ Marktwirtschaft beeinflussen. Mit Anzeigen in | |
| Zeitungen, großflächigen Plakaten, Broschüren und Studien sollen die | |
| Botschaften der Arbeitgeber unter das Volk gelangen. | |
| ## Verkürzte Botschaften | |
| Doch ein Geschmäckle bleibt bei den großformatigen Kampagnen der INSM noch | |
| immer. Auf ihrer Facebookseite sieht der Besucher ein Wimmelbild mit | |
| hunderten Menschen. Zumindest implizit gibt sich die Initiative damit den | |
| Anstrich einer Graswurzelorganisation. | |
| Auch die Botschaften der Initiative wirken zumindest verkürzt. So warb die | |
| Initiative im Mai mit einem großformatigen Plakat (wieder mit einer | |
| Menschenansammlung als Motiv) mit dem Spruch: „82 Prozent der Deutschen | |
| fordern: Schulden abbauen.“ | |
| Daraus könnte man schließen, dass der Schuldenabbau für die Menschen im | |
| Land absolute politische Priorität genießt. Ein genauer Blick auf die von | |
| der INSM in Auftrag gegebene Emnid-Umfrage zeichnet aber ein anderes Bild. | |
| Denn die sehr klein gedruckte Frage lautete: „Wie würden Sie einen | |
| Schuldenabbau-Plan für den Bund bewerten, der vorgibt, wie der Staat in den | |
| kommenden Jahren seine Schulden abbauen soll?“ Bereits die Frage ist | |
| suggestiv, denn sie wird nicht mit anderen möglichen politischen Optionen, | |
| etwa öffentlichen Investitionen in Bildung oder Soziales, gegengeschnitten. | |
| Daraus eine generelle Forderung zum Schuldenabbau abzuleiten, wirkt | |
| zumindest tendenziös. | |
| ## Hashtag for sale | |
| Doch nicht nur am Berliner Hauptbahnhof ist die INSM aktiv. Auch beim | |
| TV-Duell am Sonntag mischte die INSM lobbytechnisch mit. Die Initiative | |
| „sponsorte“ über Twitter das Hashtag #tvduell. Wer bei Twitter nach dem | |
| Thema suchte, bekam als erstes einen Beitrag der INSM angezeigt, in der sie | |
| „Keine Rentengeschenke auf Kosten unserer Kinder und Enkel!“ fordert. | |
| Pressesprecher Florian von Hennet zeigt sich beim Pressefrühstück zufrieden | |
| mit der Aktion. „Die Analysen laufen noch, aber wir schätzen, dass wir | |
| mehrere Zehntausend Twitter-Nutzer erreicht haben.“ | |
| Ein Lobbyerfolg für die Initiative. Wie viel die Twitterkampagne gekostet | |
| hat, will die INSM nicht verraten. An Geld mangelt es den Lobbyisten aber | |
| nicht. Sieben Millionen Euro beträgt das Budget für das laufende Jahr. Zum | |
| Vergleich: Lobby Control hatte im vergangenen Jahr etwa 960.000 Euro zur | |
| Verfügung. | |
| 7 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jörg Wimalasena | |
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| Canan Bayram | |
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