Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Braunschweig vor der Bundestagswahl: Ein bisschen zu gut
> In Braunschweig scheint die Wahl entschieden: Die Frauen-Union bejubelt
> Kanzlerin Angela Merkel. Themen? Braucht keiner.
Bild: Viele Frauen, wenig konkrete Versprechen: die Frauen-Union in Braunschweig
Braunschweig taz | Mitfünfzigerinnen in violetten, türkis- und
orangefarbenen Poloshirts – so muss Erfolg aussehen. Getreu dem Leitspruch
des Tages „#DressforSuccess – Frauen für Merkel“ bejubelt die
Braunschweiger Frauen-Union ihre Kanzlerin elegant und in Farbe. Genau
hier, in der Braunschweiger Stadthalle am letzten Samstag im August, fühlt
sich der Wahlkampf schon nach Wahlkampf an. Vor der Tür schläft die
Löwenstadt allerdings noch.
Die Gegenwart Braunschweigs liest sich fast zu gut: Stolz trägt man den
Titel „Stadt der Wissenschaft“, es herrscht die geringste
Pro-Kopf-Verschuldungen in der Bundesrepublik, die Stadt ist
verkehrstechnologischer Forschungsstandort VWs. Die Diesel-Krise fühlt sich
sehr weit weg an. Von Problemdruck keine Spur.
Das sieht man auch in der Innenstadt. Knapp vier Wochen vor der
Bundestagswahl und neun Wochen vor der vorgezogenen Landtagswahl stehen und
hängen zwar alibimäßig die Wahlplakate der großen Parteien in der Stadt.
Erstaunlicherweise keine von der AfD, die bei den letzten Kommunalwahlen
noch große Siegerin war.
## „Kein richtiges Wahlkampfthema“
Aber in den Fußgängerzonen sucht man Stände der kandidierenden Parteien
vergebens. Der Kioskbesitzer sagt: „In Braunschweig gibt es meines Wissens
kein richtiges Wahlkampfthema“. Die Buchhändlerin sagt: „Noch geht’s uns
ganz gut.“ Kaum jemand auf den Straßen zweifelt daran, dass die Wahl
bereits entschieden sei.
Genauso in der Stadthalle: Die Kanzlerin betritt die Bühne und die
Unions-Frauen jubeln frenetisch. Sie feiern Angela Merkel, als hätte diese
bereits gewonnen. Merkel spricht in ihrer Rede von Frauenquote und
Kindergartenplätzen. Sie sagt Altbewährtes, alles klingt nach „Weiter so!�…
Konkrete Versprechen scheinen nicht entscheidend – der Applaus des
Publikums ist ihr nach jeder Aussage ohnehin sicher.
„Noch nie haben so viele geklatscht“, sagt eine Delegierte. Merkels Frauen
nehmen die Worte begierig auf. Die Braunschweiger Erklärung mit den
familien- und frauenpolitischen Wünschen an die kommende Regierung steht
zur Abstimmung und wird wenig überraschen einstimmig verabschiedet.
Auch ein Mann bekommt ein wenig Bühnenzeit auf dem Frauendelegiertentag –
der niedersächsische CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann, anlässlich der
Landtagswahl am 15. Oktober: Er erntet tosenden Applaus bei seiner
Ankündigung, dass sich die weibliche Hälfte der niedersächsischen
Bevölkerung in seinem zukünftigen Kabinett widerspiegeln solle – wie nobel
von ihm. An seine Niederlage glaubt im Publikum niemand.
## Weltall zu Gast
Krönender Abschluss der überschwänglichen Einigkeit ist das Statement von
Dorothea Schittenhelmder, der obersten Frau der Österreichischen
Volkspartei: „Nicht nur Deutschland, nicht nur Europa, nein, die Welt
braucht Angela Merkel.“ Das Weltall ist übrigens durch Nicola Baumann, der
Bewerberin als erste deutsche Astronautin auf der Internationalen
Raumstation, ebenfalls vertreten.
Und der VW-Skandal? Er bleibt nur eine Randnotiz an diesem Tag. „Von hier
ist ja Wolfsburg nicht weit. Arbeitsplätze der Zukunft werden sich
wandeln“, so Merkel merkellike unkonkret. Macht nicht gerade dieser
bevorstehende industrielle Wandel die lethargische Wahlkampfstimmung der
Stadt so verwunderlich? Hier, wo alle vom Volkswagenkonzern, dessen
Zulieferern und der Kaufkraft der VW-Mitarbeiter abhängig sind – und die
seit 2015 anschwellende VW-Dieselaffäre genügend Zündstoff für politischen
Missmut böte.
Das ansässige VW-Werk entließ sämtliche Leiharbeiter, die bevorstehende
Umstrukturierung zum Kompetenzcenter für E-Mobilität verlangt den Arbeitern
viel Flexibilität ab und die öffentlichen Finanzen leiden wie in der
gesamten Metropolregion um Wolfsburg.
Wer sich Veränderung wünscht, flüchtet sich in Braunschweig ins Lokale.
Engagiert sich in Initiativen für mehr Fahrradwege, besseren Nahverkehr
oder bezahlbare Mieten. Braunschweig scheint kurz vor den Bundestagswahlen
zu warten: Entweder darauf, dass das Schwächeln des VW-Konzerns und der
Frust darüber eine kritische Schwelle übersteigt oder darauf, dass alles
zum Alten zurückkehrt. Und die Autos mit WOB-Kennzeichen weiter das
Stadtbild beherrschen.
6 Sep 2017
## AUTOREN
Annika Maretzki
## TAGS
Schwerpunkt taz.meinland
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Angela Merkel
Braunschweig
Schwerpunkt taz.meinland
Hagen
Schwerpunkt taz.meinland
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
TV-Duell
TV-Duell
Wahlkampf
Rügen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Junge Freiwillige vor der Wahl: Krass unterschiedlich drauf
Ein altes Pionierlager in Brandenburg: 300 Jugendliche bereiten sich auf
ihren Freiwilligendienst im Ausland vor – und diskutieren über die Wahl.
Hagen vor der Bundestagswahl: Mehr als nur Ödnis
Es heißt, Hagen sei nicht schön und ihre Bewohner*innen seien nicht
glücklich. Doch manchmal lohnt sich ein zweiter Blick.
Arnstadt vor der Wahl: Wunschlos unglücklich
Geht es um Autokennzeichen und Blumenkübel, kochen die Emotionen hoch.
Ansonsten gibt man sich mitten in Thüringen unpolitisch.
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft: Lobbyismus mit gekauften Hashtags
Die Metaller-Lobby macht mobil. Weniger Staat, weniger Steuern und mehr
Wettbewerb lauten die Botschaften. Ihre Kampagnen sind irreführend.
Warum wir das TV-Duell brauchen: Die Stimmung ist schön lauwarm
Ob Kampf oder Gekuschel, ist nicht entscheidend. Wir sollten uns auf das
nächste Kanzlerduell in vier Jahren freuen.
Merkels Absage an Rente mit 70: Ökonomen kritisch, Verdi optimistisch
Wirtschaftsexperten kritisieren Merkels Einlassungen zur Rente mit 70. Die
Gewerkschaft Verdi lobt die Absage, warnt aber: Das Thema sei damit noch
nicht vom Tisch.
Satire im Wahlkampf: Die einzige ernstzunehmende Politik
Die verlogene Politik der AfD wird am besten mit Satire verarbeitet.
Deshalb ist die „Spaßpartei“ Die PARTEI oft effektiver als die „ernsten�…
Parteien.
Rügen vor der Bundestagswahl: Im Reich der Wahlkönigin
Auf Rügen sind alle chancenlos, bis auf die Direktkandidatin Angela Merkel.
Die AfD hat trotzdem großen Erfolg. Warum?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.