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# taz.de -- Direktmandat in Berlin-Kreuzberg: Grüne sind sich nicht grün
> Der Grünen-Realo Ratzmann fürchtet um den Wiedereinzug Künasts in den
> Bundestag. Er erklärt Konkurrentin Bayram kurzerhand für „nicht wählbar�…
Bild: Auf Platz Drei der Landesliste: Renate Künast
Berlin taz | Der Satz hat nur fünf Worte: „Die ist echt nicht wählbar.“ Es
ist Volker Ratzmann, der ihn in einem internen grünen Forum geschrieben
hat, Statthalter des baden-württembergischen Ministerpräsidenten und
Ultra-Realos Winfried Kretschmann in Berlin. Gemeint ist Canan Bayram, die
am 24. September als links-grüne Direktkandidatin in
Friedrichshain-Kreuzberg das bundesweit einzige Direktmandat verteidigen
will.
Christian Ströbele, inzwischen 78, der das Mandat vier Mal gewann, hatte
auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Die Reaktionen im Berliner
Landesverband reichen von Unverständnis im Realo-Lager bis hin zu offener
Wut bei den Parteilinken.
Bayram selbst zeigte sich gegenüber der taz überrascht – „ich kenne die
Mail nicht“. Ihr bisheriges Verhältnis zu Ratzmann beschrieb sie so:
„netter Umgang miteinander“. Das überrascht: Denn Bayram gehörte zu jenen
vier links-grünen Landesparlamentariern, die 2011 Ratzmanns erneute Wahl
zum Fraktionschef nicht akzeptierten, weil sie den linken Parteiflügel
nicht vertreten sahen und mit Auszug aus der Fraktion drohten.
Unter ihnen war auch der heutige Berliner Justizsenator Dirk Behrendt.
Diese Aktion mündete in Ratzmanns Rücktritt und Abschied von der Berliner
Landespolitik. Wenige Monate später wurde er bundespolitischer Koordinator
in der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin und 2016
Staatssekretär und deren Leiter.
Ratzmann-Verteidiger verweisen darauf, dass er sein „nicht wählbar“ nicht
öffentlich verkündete, sondern sich nur in einem Diskussionsforum der
Realos im Internet so äußerte. Zudem sei Ratzmann offenbar verärgert über
Bayrams Äußerungen beim Bundesparteitag im Juni gewesen, wo sie dem
Tübinger Oberbürgermeister und Ultra-Realo Boris Palmer riet, „die Fresse
zu halten“.
## „Das war aus einem internen Verteiler“
Allerdings müsste ein langjähriger Politprofi und Jurist wie Ratzmann
wissen, dass eigene Worte auch in geschlossenen Netz-Foren nur ein, zwei
Klicks von der Öffentlichkeit entfernt sind. Außerdem datiert sein „nicht
wählbar“ vom August, ist also keine Spontan-Reaktion auf Bayrams
Parteitagsauftritt. Erst vor wenigen Tagen hatte sich die
Grünen-Bundesspitze von einem Wahlplakat von Bayrams Kreuzberger
Kreisverband distanziert.
Ratzmann sagte der taz, er kommentiere die Sache nicht öffentlich – „das
war aus einem internen Verteiler“. In dem Mail-Zirkel begründet er seine
Haltung damit, statt Bayram weiter Renate Künast im Parlament sehen zu
wollen, die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin.
Die Sorge, dass Künast dieses Mal außen vor bleibt, hat mit der
Besonderheit des deutschen Wahlrechts zu tun, das Mehrheits- und
Verhältniswahl mischt. Nach jüngsten Umfrageergebnissen würden die Grünen
in Berlin bei der Bundestagswahl nämlich nur noch 10 Prozent bekommen, fast
zweieinhalb Prozentpunkte weniger als 2013. Das würde zwar noch drei
Berliner Grüne ins Parlament bringen. Aber bevor die Landesliste greift,
auf der Künast auf Platz 3 steht, kommt ins Parlament, wer direkt einen
Wahlkreis gewinnt. Das war bei den Grünen seit 2002 Ströbele, zuletzt 2013
mit fast 22 Prozentpunkten Vorsprung, und es könnte nun Bayram sein. Für
Künast wäre dann kein Platz, wenn die Grünen nicht noch hinzugewinnen.
## Nur eine Einzelmeinung in der Partei?
Gerade wegen der aktuell schwachen Umfragewerte mag der Landesvorsitzende
Werner Graf vom linken Parteiflügel Ratzmanns Äußerung umso weniger
verstehen – in so einer Lage müsse man um ein besseres Parteiergebnis
kämpfen, auch wenn die Nerven blank lägen. Wobei Graf natürlich versichern
muss, er sei „sehr zuversichtlich, dass wir das mit den vier Mandaten
hinbekommen“.
Seine Kovorsitzende Nina Stahr vom Realo-Flügel sieht in Ratzmanns Worten
nur eine Einzelmeinung in der Partei. Das allerdings passt nicht zu einer
am Dienstag von der Bild-Zeitung verbreiteten Meldung, wonach auch der
Ex-DDR-Bürgerrechtler und frühere Bundestagsabgeordnete Gerd Poppe Bayram
ablehnt, weil sie Verständnis für die Gewalttaten von Linksextremen habe.
Und in Ratzmanns Diskussionsforum soll seine Nicht-wählbar-Haltung durchaus
Zustimmung gefunden haben.
Antje Kapek, Ratzmanns Nachfolgerin in der grünen Fraktionsspitze im
Berliner Landesparlament, deutete gegenüber der taz an, dass der
Boykottaufruf für Ratzmann parteirechtliche Folgen bis hin zum Ausschluss
haben könnte. „Eigentlich müsste man als erfahrener Jurist wissen, dass so
was nicht in Ordnung ist.“
5 Sep 2017
## AUTOREN
Stefan Alberti
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