# taz.de -- Berlins grüne Spitzenkandidatin: „Für Jamaika fehlt mir die Fan… | |
> Lisa Paus setzt inhaltlich auf Wohnungspolitik. Sie will eine Begrenzung | |
> der Mieterhöhungen „ohne Ausnahmen“ und eine rot-rot-grüne Koalition. | |
Bild: „Ich bin eine Kämpferin“: Lisa Paus im Gespräch mit taz-Redakteur S… | |
taz: Frau Paus, können Sie sich noch erinnern, wer vor Renate Künast | |
Spitzenkandidatin der Berliner Grünen für die Bundestagswahl war? | |
Lisa Paus: Klar, das war Andrea Fischer. | |
Ich musste das erst einmal nachgucken, weil das fast 20 Jahre her ist, | |
schier eine Ewigkeit. Da kann man schon von einer Künast-Ära sprechen – | |
macht Ihnen das Druck als neuer Spitzenkandidatin? | |
Es ist ja klar, wenn ich mit Renate unterwegs bin, dann ist sie bekannter | |
als ich – aber das ist ja auch kein Wunder. Sie war ja nicht nur | |
Spitzenkandidatin, sie war Verbraucherschutzministerin, hat die Republik in | |
dieser Rolle geprägt, hat hier in Berlin die Grünen mitgegründet. Daran | |
messe ich mich genauso wenig wie an Christian Ströbele – das ist eine | |
andere Generation mit einem anderen Bekanntheitsgrad, da wäre ich mit dem | |
Klammerbeutel gepudert, wenn ich mich da vergleichen würde. In den | |
Positionen, in denen ich war, habe ich wohl einen ganz guten Job gemacht, | |
deswegen haben die Parteimitglieder mich ja zur Spitzenkandidatin gewählt – | |
und die wollten wohl auch mal eine andere Person vorne sehen. | |
Was ist in der neuen Rolle anders als bei Ihren bisherigen zwei | |
Bundestagswahlkämpfen, 2009 und 2013? | |
Als Renate die ersten Male Spitzenkandidatin war, gab es noch keine | |
offiziellen bundesweiten Spitzenkandidaten. Joschka Fischers herausgehobene | |
Rolle war ja noch eine inoffizielle. Da hatten die Landesspitzenkandidaten | |
eine andere, stärkere Rolle. Seither aber ist das anders – ich werde nicht | |
landesweit plakatiert, sondern nur hier in meinem Wahlkreis in | |
Charlottenburg-Wilmersdorf. Aber es ist natürlich so, dass ich als | |
Spitzenkandidatin die erste Medienansprechpartnerin bin, sonst säßen wir ja | |
hier auch nicht zusammen. | |
Ein kurzer Blick zurück: Bettina Jarasch, die langjährige Landeschefin, | |
wollte auch gern Nummer eins werden, verlor aber gegen Sie. Was | |
überraschte, weil das Ergebnis so überdeutlich war, obwohl Jarasch stets | |
mit guten Ergebnissen zur Vorsitzenden gewählt worden war und als beliebt | |
galt. Was gab den Ausschlag? | |
Ich bin wahrscheinlich stärker als Bettina Jarasch komplementär zu den | |
beiden bundesweiten Spitzenkandidaten … | |
… komplementär, weil Sie im Parteischema links einzuordnen sind, Cem | |
Özdemir und Katrin Göring-Eckardt hingegen als Realos? | |
Ich stehe halt für klassische Berliner Themen, vor allem bezahlbare Mieten, | |
mit denen ich mich in den vergangenen vier Jahren beschäftigt habe, | |
Kinderarmut, das grüne Konzept der Kindergrundsicherung, das | |
Familienbudget, das habe ich entwickelt. Bettina Jarasch war 2016 ins | |
Spitzenteam für die Abgeordnetenhauswahl gewählt worden, da war vielleicht | |
der eine oder andere irritiert über diesen schnellen Wechsel von der | |
Spitzenkandidatin fürs Abgeordnetenhaus zur Spitzenkandidatin für den | |
Bundestag. Es gab auch Journalisten, die gesagt haben: Da komm ich so | |
schnell nicht mit … | |
Einer davon sitzt Ihnen gerade gegenüber. | |
… und dieses Gefühl war wohl breiter vorhanden, als Bettina Jarasch es | |
gedacht hatte. | |
Es war ja nicht Ihre erste Kampfkandidatur – 2009 entschied es sich | |
zwischen Ihnen und der Kulturexpertin Alice Ströver, wer den letzten | |
aussichtsreichen Platz für den Bundestag bekam. Ist das Ihr Ding, dieser | |
offene Wettstreit? | |
Ich suche nicht den Konflikt, wenn er nicht sein muss. Aber es ist schon | |
so, dass so eine Situation etwas bei mir mobilisiert. Ich bin eine | |
Kämpferin. | |
In der jetzt zu Ende gehenden Wahlperiode haben Sie entscheidend mithelfen | |
können, dass aus dem Dragonerareal in Kreuzberg kein Luxusquartier wird. | |
War das Ihr größter Erfolg, oder ist der nur am bekanntesten geworden? | |
Aus meiner Sicht wird das davon getoppt, dass ich mithelfen konnte, eine | |
unsinnige und milliardenteure Steuersubvention für Vermieter zu stoppen – | |
was nicht so breit wahrgenommen wurde, weil sie ja eben nicht gekommen ist. | |
Das hätte für viele in Berlin sehr negative Konsequenzen gehabt. | |
Acht Jahre im Bundestag, zuvor zehn im Abgeordnetenhaus – wo lässt sich aus | |
Ihrer Sicht mehr politisch bewirken? | |
Ist doch klar: im Bundestag, sonst würde ich ja nicht kandidieren – ich bin | |
ja nicht dahin abgeschoben worden. | |
Nein, aber manche Bundesparlamentarier beklagen auch, sie seien von | |
alltäglichen Fragen zu weit weg. | |
Stimmt, Katrin Lompscher etwa [Senatorin und Abgeordnete der Linkspartei, | |
d. taz] hat mir mal gesagt, sie würde im Leben nicht im Bundestag sitzen | |
wollen – sie wolle immer direkt vor Augen haben, was sie verändert. Bei mir | |
ist das anders: Mir war schon in der Schule Mathe immer lieber als Physik. | |
Ich sehe zum Beispiel, wie und warum die Mietpreisbremse der Großen | |
Koalition die Mieten in Berlin erhöht und nicht gesenkt hat, und will | |
deshalb eine Begrenzung der Mieterhöhungen ohne Ausnahmen. Mietrecht ist | |
Bundesrecht. | |
Bevor Sie nach Berlin kamen, um Volkswirtschaft zu studieren, sind Sie im | |
Emsland aufgewachsen, wo Ihre Eltern eine Maschinenfabrik mit 300 | |
Mitarbeitern aufbauten. Haben Sie da grünes Denken einbringen können – oder | |
sagt Ihre Familie: Mach du mal deine Grünen-Politik, wir machen hier unser | |
Ding? | |
Ich muss gestehen, dass mein Einfluss nicht groß ist – ich bin ja auch die | |
Jüngste. Sowohl mein Vater als auch einer meiner Brüder sind in der CDU und | |
haben auch Gemeindepolitik gemacht. Das heißt aber nicht, dass wir nicht | |
diskutieren, und natürlich ist dafür gerade im Maschinenbau Bedarf, weil | |
die Maschinen, bei der Firma für den Bergbau, alle mit Diesel laufen. Mein | |
Vater und ich diskutieren da seit Längerem andere Antriebsmöglichkeiten – | |
der hat da auch immer ziemlich rumexperimentiert. Das Problem ist, dass er | |
keine anderen Motorenhersteller findet, er selbst baut ja nur die Maschine | |
drum herum. Wir haben uns auch bei der E-Mobilität umgeschaut – aber zu der | |
Zeit saß der einzige Hersteller in Frankreich. Auf dem Dach der Firma Paus | |
steht übrigens eine Photovoltaik-Anlage. | |
Hatten Sie bei den Grünen jemals Probleme als Unternehmertochter? War das | |
ein Makel? | |
Ich glaub nicht, dass das alle in der Partei wissen. In den Anfangsjahren | |
war ich schon bemüht, dass das nicht im Vordergrund stand und ich als | |
eigenständige Person wahrgenommen wurde. Es ist höchstens mal aufgefallen, | |
weil Kollegen aus dem Abgeordnetenhaus überrascht waren, wenn wir | |
Unternehmer trafen und ich deren Sprache sprechen konnte. Viele hatten mich | |
einfach nur als links eingeordnet, und das schien wohl manchem nicht | |
vereinbar mit dem Gedanken, dass ich auch von Wirtschaft und Unternehmertum | |
Ahnung haben könnte. Michaele Schreyer … | |
… Senatorin und später EU-Kommissarin… | |
… fürchtete anfangs, ich sei doch eigentlich eine verkappte Neoliberale, | |
weil ich bei kommunalen Unternehmen damals der Ansicht war, dass der Staat | |
für die Daseinsvorsorge zuständig ist, dass er aber nicht alles selbst | |
machen muss und dass ich da durchaus gern mehr Wettbewerb zum Vorteil der | |
Verbraucher hätte. | |
Im Dieselskandal müssten doch die Umfragewerte einer Partei, als deren | |
Kernkompetenz Umwelt gilt, durch die Decke gehen. Vielleicht nicht wie nach | |
der Fukushima-Katastrophe, aber doch weit über die derzeitigen 8 Prozent | |
hinaus. | |
Atomkraftwerke abzuschalten ändert an der konkreten Lebenssituation des | |
Einzelnen erst einmal weniger als Fahrverbote in Innenstädten. Leider haben | |
wir uns ja schon an diese Gesundheitsschäden gewöhnt. Wenn wir Grünen jetzt | |
noch mal sagen, dass 10.000 Menschen pro Jahr früher sterben wegen der | |
Stickoxide und dass diese Zahl doppelt so hoch ist wie die der | |
Verkehrstoten, dann hören die Leute das zwar, aber konkret haben viele nur | |
im Kopf, dass ihnen ein Fahrverbot Probleme machen könnte. | |
Sie waren auch an den Verhandlungen zu Rot-Rot-Grün in Berlin beteiligt, | |
und viele sahen und sehen die als Blaupause für solch ein Bündnis auf | |
Bundesebene. Sie auch? | |
Ja, auf jeden Fall. Es ist die einzige Möglichkeit, einen wirklichen | |
Politikwechsel hinzubekommen. | |
Und was ist mit den oft angeführten Vorbehalten wegen der außen- und | |
sicherheitspolitischen Positionen der Linkspartei, die nicht auf | |
Landesebene, wohl aber in einer Bundesregierung relevant wären? | |
Darüber muss man reden, das muss man ausloten. Leider haben die SPD und | |
Martin Schulz diese Möglichkeit nach gutem Auftakt versemmelt, gerade durch | |
das Schweigen während des NRW-Wahlkampfs … | |
… weshalb Rot-Rot-Grün derzeit nur auf 41 Prozent käme. So bleiben den | |
Grünen nur zwei Möglichkeiten: mit Union und FDP zusammen zu gehen oder | |
sich weiter eine schwarz-rote Koalition von der Opposition aus anzusehen. | |
Was ist weniger schlimm? | |
Wir haben gesagt, dass wir mit allen demokratischen Parteien sprechen – | |
wobei die AfD klar nicht demokratisch ist. Entscheidend ist jetzt, wer die | |
dritte Kraft bei dieser Bundestagswahl wird: die Linkspartei, die FDP, die | |
AfD oder wir Grüne. Alle liegen gerade Kopf an Kopf bei 8 Prozent. Und dann | |
kommt es tatsächlich auf die gemeinsamen Inhalte an. | |
Und wie sieht es aus bei den Gemeinsamkeiten? | |
Ich habe darüber nachgedacht, was auf dem Tisch liegen müsste, damit eine | |
Jamaika-Koalition mit Union und FDP funktionieren könnte – und mir fehlt | |
bisher die Fantasie, mir das für vier Jahre vorzustellen: Da muss ich nur | |
an einen Herrn Seehofer denken, der eine Obergrenze für Flüchtlinge ins | |
Grundgesetz schreiben will. Und eine FDP, die in NRW gerade die Windkraft | |
völlig ausgehebelt hat und vor allem die Bestverdiener entlasten möchte. | |
Einen Herrn Lindner als Finanzminister will ich definitiv nicht. | |
11 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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