# taz.de -- Literatur aus Hamburg: Die Liebe in Zeiten des Verrats | |
> In „Lichter als der Tag“ erzählt Autor Mirko Bonné von der Liebe in den | |
> mittleren Lebensjahren – und von der Kraft eines neuen Aufbruchs | |
Bild: Mag keinen Wirbel um seine Bücher: Mirko Bonné. | |
HAMBURG taz | Als Raimund Merz nach vielen Jahren, in denen sie keinen | |
Kontakt mehr zueinander hatten, am Hamburger Hauptbahnhof seine | |
Jugendfreundin Inger wiedererkennt, die er nie vergessen konnte und immer | |
noch liebt, trifft es ihn wie einen Schock. Der verzweifelte und am Leben | |
gescheiterte Familienvater, der sich längst verloren hat im Lügen und | |
Saufen, kann danach nicht mehr anders, als sich nach ihr auf die Suche zu | |
machen. | |
Eine tragische Geschichte von Erinnerungen, verschütteter Leidenschaft und | |
Befreiung entspinnt sich so im neuen Roman „Lichter als der Tag“ des | |
Schriftstellers Mirko Bonné. Es ist eine Viereck-Konstellation wie in | |
Geothes „Wahlverwandschaften“, in der sich Merz, seine ungeliebte Ehefrau | |
Floriane sowie die Freund*innen Inger und Moritz – die sich alle schon seit | |
den Teenagerjahren kennen – wechselseitig verraten, verzeihen und lieben. | |
Mit der Herausforderung, leidenschaftliche und zugleich langfristige | |
Beziehungen zu führen, kennt sich der Hamburger aus: Er hat selbst bereits | |
drei Ehen hinter sich. | |
Beim Kaffee spricht Bonné konzentriert, wirkt fast scheu. Auch seine | |
Figuren quälen sich mit Selbstzweifeln, mit diesem | |
„Unwirklichkeitsempfinden“, das Bonné schon so lange beschäftigt und sich | |
anfühle „wie hinter einer Glaswand zu sein“. Umso lebhafter wirkt es, wie | |
er dann mit leuchtenden Augen vom Gras schwärmt. „Das Gras“, so heißt auch | |
sein Onlineblog, auf dem er Beobachtungen, Fotos und Aphorismen sammelt. | |
Man bekommt so schon einen Eindruck vom Klang seiner Sprache: „Die | |
verschiedenen Grüntöne, wie sehr es leuchten kann! Schneiden Sie das Gras | |
ab und es wächst einfach weiter! Man liegt darin herum, man freut sich des | |
Lebens – es ist wie ein Bett aus Leben.“ Solches Reden erinnert an den | |
träumenden, suchenden Raimund Merz, von dem es im Buch heißt: „Von Anfang | |
an sollte Flori Kieferchirurgin werden. Er blickt stattdessen in den Himmel | |
und die Wolken an.“ | |
Der so zurückhaltend auftretende ehemalige Altenpflegehelfer und | |
Buchhandelsgehilfe Bonné ist vielfältig begabt: Nicht nur Übersetzungen aus | |
dem Englischen und Französischen von Songtexten, Lyrik und Prosa hat der | |
„französischste Autor in der neuen deutschen Literatur“ (FAZ) | |
veröffentlicht. Außerdem ist er als Lyriker mit Gedichtbänden wie „Die | |
Republik der Silberfische“ (2008) oder „Traklpark“ (2012) bekannt. Nach | |
„Wie wir verschwinden“ (2009, Longlist) und „Nie mehr Nacht“ (2013, | |
Shortlist) stand der 52-Jährige mit „Lichter als der Tag“ jetzt schon zum | |
dritten Mal auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Auf die sechs | |
Romane umfassende Shortlist hat er es aber nicht geschafft. | |
Der Erfolg, er ist der augenscheinlichste Unterschied zwischen der | |
Romanfigur Raimund Merz und dem Autor Mirko Bonné. Am Abend vor unserem | |
Treffen trat Bonné beim großen Longlist-Leseabend in der Freien Akademie | |
der Künste in Hamburg auf. Dorthin hatte das Literaturhaus 14 der 20 auf | |
der Longlist stehenden Autor*innen eingeladen, um in jeweils 20 Minuten | |
ihren aktuellen Roman vorzustellen. | |
In der Pausen signierte Bonné Bücher – höflich, aber auch ein wenig kühl. | |
Erfolgreich und gefragt, wie er eben ist, kann er sich solche Zurückhaltung | |
leisten. Auch auf der Bühne zeigt er keine Spur von Profilierungssucht, | |
gibt klare, kurze Antworten. Erst als er zu lesen beginnt – klar, betont | |
und fesselnd – fühlt man sich ihm nahe. | |
Statt mit seiner Literatur zu unterhalten, versuche er, „die Leser zu | |
fordern und ihnen Fragen zu stellen, damit sie sich selbst Fragen stellen“, | |
sagt Bonné. Das Tamtam um seine Literatur interessiere ihn dabei gar nicht. | |
„Sehr fragwürdig“ sei für ihn auch der Buchpreis selbst: „Es wäre mein… | |
Ansicht nach viel sinnvoller, auf so einen Preis zu verzichten und eine | |
wirklich stabile und umsichtige Autorenförderung zu installieren.“ | |
Auseinandersetzen soll man sich also mit seiner Literatur, die ihm so | |
wichtig ist, dass er mich am Ende unseres Gesprächs noch auf seine | |
Lieblingsfigur im Buch hinweist und fast empört zu sein scheint, dass ich | |
zu ihr gar keine Fragen gestellt habe: Bruno DeWitt, ein Kollege von | |
Raimund Merz, der mit seiner unkomplizierten Lebenseinstellung und seinen | |
vielen Liebschaften so etwas wie ein Gegenentwurf zum am Leben | |
gescheiterten Protagonisten darstellt, habe ihm selbst „sehr viel gegeben“. | |
Aber offenbar auch Raimund Merz. Denn auch der versucht – in einer | |
packenden Variation des „Breaking Bad“-Motivs – schließlich seinem selbst | |
geschaffenen Lebensgefängnis zu entfliehen. Was zu einer zwar wenig | |
glaubhaften, aber gerade darum umso märchenhaft-schöneneren Schlussszene | |
führt. | |
17 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Daniel Trommer | |
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