| # taz.de -- Neue Gedichte von Mirko Bonné: Mögliche Wege raus aus dem Bleisti… | |
| > Mirko Bonnés Gedichtband „Wege durch die Spiegel“ bietet poetisierende | |
| > Blicke auf Hälfte eins der 2020er Jahre. Der Rückblick ist frei von | |
| > Verklärung. | |
| Bild: Mirko Bonné | |
| Berlin taz | Die Lyrikszene in Deutschland ist innerhalb nur eines | |
| Jahrzehnts weitgehend brav geworden. Die letzte heftige Debatte fand 2016 | |
| statt; deutsche Lyrik dockt gern an je virulente Diskurse an, das macht sie | |
| zu einer feierlich ernsten und emotional höchst sparsamen | |
| Vereinzelungsanlage. | |
| Deutlich wird das in fast jedem „Jahrbuch der Lyrik“ und am deutlichsten in | |
| den Nachworten, die von Mitgliedern des Diplomatischen Corps geschrieben | |
| sein könnten. Doch es gibt Ausnahmen: „Ehrlich, sagt mir in einem Gespräch | |
| einer, Rilke habe nichts zu sagen über (oder zu!) Menschen von heute, mit | |
| dem mag ich nicht länger reden,“ entgegnet Mirko Bonné Christoph Buchwald, | |
| weiland (2019) ständiger Herausgeber dieser Lyrik-Anthologie, auf die Frage | |
| nach generationalen Eigenheiten, nach Traditionsbeständen und dem Wandel | |
| des Publikumsgeschmacks. | |
| Von Mirko Bonné, dem um Verdikte nicht verlegenen Mitherausgeber, seit | |
| dreißig Jahren selbst geachteter Autor, übrigens auch [1][von Romanen] und | |
| Libretti, erscheint nun mit „Wege durch die Spiegel“ der siebte | |
| Gedichtband. Man kann einen ästhetisch völlig andern Standpunkt haben, und | |
| sich doch schwertun damit, dem Sog dieser mäandernden Poesie zu entkommen. | |
| Er erreicht einen ersten Peak in den „Różewicz-Liedern“ und seine stärks… | |
| Intensität in den Kindheitsgedichten „Gegen den Uhrzeigersinn“ und | |
| „Schattenwürfe“: „Der Junge, der ich war und unverändert bin,/ sah zu, … | |
| einer starb, ich lernte leben und von Glas/ und meiner Haut den | |
| Unterschied. Ich lernte machtlos sein“. | |
| ## Lebt Rimbaud? | |
| Einige wenige Volten wirken übertrieben, etwa wenn der späte Mörike und | |
| dessen Privatmythos „Orplid“ herangezogen werden, um Utopie nach innen zu | |
| verlagern. Mirko Bonné zählt jedoch auch zur winzigen Schar von Poeten, die | |
| beim Wort „Poetry Slam“ nicht reflexhaft die Augenbrauen hochziehen. | |
| Nonchalance verrieten schon die Titel vorangegangener Lyrikbände, etwa | |
| „Republik der Silberfische“ oder „Traklpark“. | |
| Der aus dem tiefsten Bayern früh [2][nach Hamburg] übersiedelte und | |
| weitgereiste Autor deutet mit lockerer Gestik an, keine der kurzfristigen | |
| Hypes der Szene für triftig halten zu müssen: „Du lebst, Rimbaud!/ Ja, und | |
| falls nicht,/ tun wir beide so“. | |
| Das an Francis Ponge angelehnte „Eine Regennacht“ fragt: „Hat der Regen | |
| Beine,/ Schulterblätter“? Der Rückblick aufs eigene Leben ist frei von | |
| Verklärung, die Mehrzahl der Gedichte im Band ist magisch-atmosphärische | |
| Skizze, entweder von Landschaften oder prägenden Personen im Lebenslauf, | |
| auch [3][das von Rilke] perfektionierte Dinggedicht kommt zu seinem Recht, | |
| etwa in der Rede auf einen „Glastisch“: „Er ist wie ein Fabeltier, das | |
| ausgerechnet/ von deinem Leben alles mitangesehen hat“, etwa grausame | |
| Kindesmisshandlung oder das Zerbrechen einer Ehe. | |
| Die den Buchtitel spendende Zeile spielt auf den Gedichtband „Wand im | |
| Spiegel“ des ikonischen und ideologisch vereinnahmten Giannis Ritsos an: | |
| „Alles war bewaffnet, Jannis, wie wir da/ kampflustig so zur Kapelle | |
| hinanstiegen“. Relativ bald lässt sich die Suche nach einer Balance von | |
| Gravität, Klangvernarrtheit und einem emphatischen | |
| Sich-in-Kontexte-Versenken als Antrieb ausfindig machen. | |
| ## Ohne weihevolles Kuddelmuddel | |
| Ein derart austariertes Gedicht ist das Vincent van Gogh gewidmete „Down | |
| and out in Arles“: „Die Hitze! Das Fiasko/ der Hundstage in Arles. 13 | |
| Jahrzehnte/ später stand ich auf einer Hotelterrasse/ wie vor einer | |
| Nachtrede von der Mairie/ Die sieben Sonnenblumenbilder. Efeu./ Berggarten | |
| – seine Lieblinge. Tant pis.“ | |
| Wer Gravität ohne weihevolles Kuddelmuddel sucht, findet es: „Schon | |
| verlässt das Gedicht das Bleistiftstadium“ heißt es im Poem „Nizza“. Zu… | |
| mag es einen grausen, dass wer aufs Abendland setzt. Der zweite Blick zeigt | |
| jedoch, es geht Bonné um einen Ort heller Geschäftigkeit, um Wandel und | |
| Austausch, nicht um eine einzuzäunende kulturelle Hegemonie. In eleganten | |
| Loops variiert „Nizza“ schamanisch die Zeilen; der Anfang gleicht dem Ende: | |
| „Und sei er aus den verschwundenen Wäldern des Libanon/ Kein Kletterer im | |
| Berg kennt den Berg, aber du/ Bis die Wellenbrecher alles achtlos | |
| zertrümmern/ Schon verlässt das Gedicht das Bleistiftstadium“. | |
| Im Poem „l’envol“ notiert Bonné, dem Titel entsprechend schwungvoll: „… | |
| uns also bis zum Morgen trinken/ erst Sternschnuppen, dann alle Sterne im/ | |
| Sternbild Stier (…) Sind Gryphius und/ seine bald 400 Jahre alten Sternen | |
| [!] weniger da/ weniger hier“? Mirko Bonnés „Wege durch die Spiegel“ ist | |
| fraglos der poetisierende Blick auf Hälfte eins der 2020er Jahre; von einem | |
| – hélas! – der wenigen unverkrampft frankophilen deutschen Dichter. | |
| 18 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konstantin Ames | |
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