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# taz.de -- Kolumne Latin Affairs: Zum Abschuss freigegeben
> „Hier spricht man nicht schlecht von Chávez“: Dieser Satz ist eine
> Drohung an alle, die sich in Venezuela dem Regierungsdiskurs verweigern.
Bild: Der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ reproduziert unverzeihliche Fe…
„Entweder Sie zahlen, oder Sie verbringen das Wochenende im Gefängnis“,
drohte der Polizist in der venezolanischen Hauptstadt Carracas, ohne dass
ich auch nur das Geringste verbrochen hätte. Darum ging es auch gar nicht.
Der Beamte verlangte einfach Schutzgeld, und zwar nicht eben wenig.
„Überlegen Sie, was Ihnen das wert ist!“ Seine Rechnung war einfach: Ich
bin Ausländer – also verdächtig. Und ich bin kritischer Journalist – also
ungefähr das Letzte, was man im venezolanischen Sozialismus gebrauchen
kann.
Im Gegenteil: „Hier spricht man nicht schlecht von Chávez“, stellt ein
Warnschild klar, dass in keiner Polizeistation, keiner öffentlichen
Einrichtung und in keinem staatlichen Betrieb Venezuelas fehlen darf.
Getarnt als Ausdruck revolutionärer Tugend ist dieser Satz eine Drohung an
alle, die sich dem Regierungsdiskurs verweigern.
Gemeint ist freilich nicht nur der verstorbene Präsident Hugo Chávez,
sondern auch dessen Nachfolger Nicolas Maduro und der Militär- und
Bürokratieapparat – also die gesamte sozialistische Resterampe, die das
heruntergerockte Regime am Laufen hält. Während Hunderttausende flüchten,
Kranke wegen fehlender Medikamente sterben und viele nicht wissen, wie sie
die ständig steigenden Lebensmittelpreise bezahlen sollen, lässt die
Regierung keinen Zweifel: Die Revolution schreitet in großen Schritten
voran. Alles andere ist Ketzerei.
Insbesondere der wesentlich vom venezolanischen Staat finanzierte
Fernsehsender Telesur befolgt diese Vorgabe in einer Weise, an der Erich
Honecker seine wahre Freude gehabt hätte. Fröhliche Menschen sieht man da,
die eine wohl durch Wahlbetrug zustande gekommene „Verfassunggebende
Versammlung“ als demokratischen Fortschritt feiern, während dieses
regierungstreue Gremium das von der Mehrheit gewählte Parlament entmachtet
hat.
Wie aus stalinistischen Zeiten werden alte Genossinnen und Genossen, die
sich kritisch äußern, zum Abschuss freigegeben. Und immer wieder bemüht
sich Telesur zu beweisen, dass für das doch existierende Elend der
US-Imperialismus verantwortlich ist. Wie überall und wie unzählige Filme
über die kubanische Revolution aus den Sechzigern belegen sollen. Ganz
selbstverständlich werden auch die Terrorangriffe vom 11. September 2001
der CIA zugeschrieben.
## Verhöhnung kritischer Geister
Und nachdem Gringos und Israelis dank Moskau damit gescheitert seien, das
heroische syrische Volk zu zerstören, sei jetzt eben Venezuela dran,
erklärt ein Analytiker. Und warum? „Sie verzeihen uns nicht, dass wir eine
solche Bedeutung für die Welt haben.“
Realsatire mit traurigem Hintergrund. Dabei müsste dem kapitalistischen
Feind daran gelegen sein, dass das Regime noch eine Weile existiert. Sollte
es noch möglich sein, den Begriff Sozialismus zu diskreditieren, dann
erfüllt die venezolanische Regierung diesen Job hervorragend. Wer, wie
viele Latino-Linken, diese Verhältnisse beschönigt, verhöhnt die kritischen
Geister des „Chavismus“, die sich längst von Maduro losgesagt haben.
Der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ reproduziert unverzeihliche Fehler
seiner historischen Vorgänger: Soziale Kontrolle wird groß geschrieben,
kritisches Denken verfolgt. Darüber sollte bei Telesur diskutiert werden.
Doch der einst als Antwort auf CNN gegründete TV-Kanal steht für das
Gegenteil: für die Negation einer selbstkritischen Debatte.
Das trifft nicht nur venezolanische, sondern auch internationale
Kolleginnen und Kollegen. Die Chance, eine Akkreditierung zu bekommen, ist
gering. Einige wurden ausgewiesen, andere bei Protesten angegriffen, wieder
andere verbrachten peinsame Stunden in Haft. Zugegeben: Ich habe mich fürs
Zahlen entschieden. Der Polizist hat damit in einigen Minuten so viel
eingenommen, wie er sonst in mehreren Monaten nicht verdient. Sei’s drum,
die Situation in venezolanischen Gefängnissen ist nicht kalkulierbar. Und
den Vorgaben auf dem Schildchen hätte ich auch nur ungern Folge geleistet.
Ich spreche schlecht über Chávez.
14 Sep 2017
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
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Hugo Chavez
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Nicolás Maduro
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