| # taz.de -- Parolen gegen Tourismus in Mexiko: Fiesta oder Siesta | |
| > Wenn es um Gentrifizierung und Tourismus an Mexikos schönen Ecken geht, | |
| > bedienen sich „Aktivist*innen“ gerne eines erfolgversprechenden | |
| > Feindbilds. | |
| Bild: Die Strandpromenade in Mazatlán | |
| Die Gringos machen Ärger. Wegen des Lärms einiger Musikgruppen würden | |
| US-Tourist*innen nicht mehr nach Mazatlán kommen, klagten jüngst | |
| Hotelbesitzer aus der zentralmexikanischen Pazifikstadt. Die lokalen Bands | |
| ziehen bis in die späte Nacht auf der Strandpromenade entlang und blasen, | |
| trommeln und singen, was das Zeug hält. Das fanden einige | |
| Urlauber*innen aus dem Norden offenbar störend. Zweifellos machen | |
| Diskos, Restaurants und insbesondere die vierspurige Straße entlang des | |
| kilometerlangen Strandes reichlich mehr Krach, aber sei’s drum. | |
| [1][Der Sound der Bandas], wie die Bands genannt werden, ist tatsächlich | |
| recht eindringlich. Doch er gehört nun mal zur traditionellen Kultur der | |
| Region und für viele Mexikaner*innen zählen ein Ständchen und ein paar | |
| Tränen zu den wichtigsten Vergnügungen während eines Restaurantbesuchs am | |
| Strand. | |
| Jedenfalls führten erste Versuche der Stadtverwaltung, auf Druck der | |
| Hoteliers die Lärmfreiheit der Musiker*innen einzuschränken, zu wilden | |
| Protesten, Demos und sogar zu Schlägereien mit Polizisten. Wenn den | |
| Tourist*innen die Musik nicht passe, sollten sie halt zu Hause bleiben | |
| oder woanders hingehen, kritisierten Einheimische zu Recht. „Es ist absurd, | |
| irgendwo hinzukommen und einzufordern, dass die öffentliche Dynamik so | |
| verläuft, wie man selbst will und nicht, wie sie ist“, reagierte die | |
| Stadtexpertin Clara Escoffié. | |
| Richtig, zumindest in diesem Zusammenhang. Doch de facto wurde der Konflikt | |
| durch die unterschiedlichen Interessen der heimischen Tourismusindustrie | |
| hervorgerufen: Siesta oder Fiesta. Das unterscheidet schließlich ihre | |
| Kund*innen voneinander. Die einen wollen Action, die anderen Entspannung. | |
| Dennoch bringt die Aufregung die Sorge über eine Entwicklung zum Ausdruck, | |
| die in vielen Orten Mexikos zu beobachten ist. Menschen aus Mexiko-Stadt, | |
| New York oder Paris kommen, machen Urlaub oder bleiben gleich da und ziehen | |
| in die attraktiven Stadtteile. Die Mietpreise steigen, günstige Wohnungen | |
| werden knapper. Kurzum: Gentrifizierung. | |
| ## „Baustoff rassistischer Ausbeutung“? | |
| Diese Dynamik ist für manche Einheimische katastrophal. Natürlich gilt es | |
| deshalb, wie in vielen Städten weltweit, Wege zu suchen, um dieser | |
| Zerstörung von Lebensgrundlagen und alltäglicher Kultur entgegenzuwirken. | |
| Doch anstelle einer rationalen Analyse der Gründe und Möglichkeiten | |
| schütteln „Aktivist*innen“ gerne ein erfolgversprechendes Feindbild aus dem | |
| Ärmel: den Fremden, den Ausländer, natürlich am besten den Gringo. | |
| Dabei sind nicht alle so zaghaft wie die Kritiker*innen aus Mazatlán. | |
| „Gringos sind die neue Plage“, heißt es etwa an einer Hauswand in der | |
| Touristenstadt Oaxaca. Nach einer Demo gegen Gentrifizierung war an einer | |
| Mauer zu lesen: Das Mestizentum, also die Vermischung von Indigenen und | |
| Weißen, „ist der Baustoff rassistischer Ausbeutung. Gringos raus!“ Die rund | |
| 90 Prozent der Bevölkerung Mexikos, die selbst Mestiz*innen sind, | |
| dürften solche Reinrassigkeitsfantasien nicht wirklich gut finden. | |
| Auch einige Viertel der Hauptstadt haben im letzten Jahrzehnt rasante | |
| Veränderungen erlebt. In der Roma, der Condesa oder Polanco von | |
| Mexiko-Stadt haben die Mietpreise locker deutsche Verhältnisse erreicht, | |
| einige Bars sind teurer als so manche US-Bar. Doch auch hier zielt der Zorn | |
| auf [2][digitale Nomad*innen] und Tourist*innen in die falsche | |
| Richtung. Wie in Berlin hat in Mexiko-Stadt eine langjährige verfehlte | |
| Politik dazu geführt, dass heute viel zu wenig bezahlbarer Wohnraum | |
| vorhanden ist. | |
| Schon lange werden zu wenig Wohnungen gebaut. Planlosigkeit, fehlende | |
| Steuereintreibungen, überteuerte Baupreise, Korruption und vieles mehr | |
| spielt dabei eine Rolle. Derzeit beschäftigt sich die Stadtregierung mit | |
| Maßnahmen zur Kontrolle von Airbnb und anderen Plattformen. Es soll | |
| verhindert werden, dass durch professionelle Anbieter und die | |
| Vermittlungsagenturen die Mieten weiter steigen. Eine zweifellos sinnvolle | |
| Maßnahme und sicher zielführender als die Parole, die Aktivist*innen in | |
| Riesenlettern auf eine Wand in der Roma geschrieben haben: „Gringo, go | |
| home.“ | |
| 16 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Wolf-Dieter Vogel | |
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