| # taz.de -- Benzinschmuggel in Venezuela: Absurdistan in der Karibik | |
| > 3.000 Liter Benzin kann man für umgerechnet einen Euro in Venezuela | |
| > tanken. Vom illegalen Schmuggel nach Kolumbien profitieren die Wayuu. | |
| Bild: Einen anderen Job gibt es nicht. Franklin López vor geschmuggeltem Benzi… | |
| Paraguachón dpa | Ein indigenes Volk lebt in der Karibik im Grenzgebiet | |
| zwischen Venezuela und Kolumbien. Die Wayuu profitieren vom Chaos in | |
| Caracas und machen Kasse mit Billig-Benzin – was die Krise in Venezuela | |
| noch verschärft. Unterwegs auf den Spuren der Benzinschmuggler. | |
| Das Auto erinnert an Kuba. Der rote Chevrolet ist Baujahr 1977, er steuert | |
| auf die Grenze Venezuelas mit Kolumbien zu. Nur Fußgänger dürfen sie | |
| passieren. „Wir nehmen einen Schleichweg“, sagt Alfredo. 300 Meter vor dem | |
| Schlagbaum geht es rechts von der Straße ab. Was jetzt folgt, ist das wohl | |
| engmaschigste Mautnetz der Welt. Zwei Kilometer, über zwanzig Mautstellen. | |
| Dann biegt der Chevrolet wieder auf die Straße. Willkommen in Kolumbien. | |
| Zwei Dinge sind bemerkenswert. Erstens: Jeder kennt den Schleichweg. Die | |
| venezolanische Grenzpolizei schaut weg. Die offizielle Begründung ist, dass | |
| das Gebiet einem indigenen Volk – den Wayuus – gehört, die besondere | |
| Autonomie genießen. Diese wird von den Wayuu-Familien genutzt, um mit | |
| Seilen die „trochas“ genannten Schleichwege etwa alle hundert Meter zu | |
| versperren. Der Fahrer reicht ein paar Scheine aus dem Fenster, weiter geht | |
| es. Kurz vor der kolumbianischen Grenze nimmt die Besiedlung zu, also gibt | |
| es alle 20 Meter ein Mautseil. | |
| Zweitens: Es gibt regen Verkehr, während die Grenze in der Mittagssonne vor | |
| sich hindämmert. Hier läuft einiges anders, als es dem normalen | |
| Rechtsverständnis entspricht. Schmuggler sagen offen, dass die Polizei | |
| geschmiert wird. Pickups fahren hierher, die jeweils tausende Liter Benzin | |
| rüberschmuggeln. Das meiste gelangt problemlos über die Grenze – letztens | |
| tauchten sogar 4.200 Kilogramm Rinderhaut, die aus Venezuela geschmuggelt | |
| worden waren, in Kolumbien auf. | |
| Alfredo ist ein Stoiker vorm Herrn. Geldschein um Geldschein wirft er aus | |
| dem Fenster, um die grüne Grenze passieren zu können. Dabei redet er nur | |
| das Allernötigste. Am Ende ist Alfredo 6.000 Bolivares ärmer, was | |
| angesichts der höchsten Inflation der Welt umgerechnet nur 20 Cent sind. | |
| Die Korruption fängt hier schon an der Grenze an. | |
| ## Mordpläne unterstellt | |
| Venezuela, 2017: Das Land mit den größten Ölreserven wandelt sich nach | |
| Meinung von EU und USA immer mehr zur Diktatur, zum „zweiten Kuba“. Der | |
| sozialistische Präsident Nicolás Maduro unterstellt US-Präsident Donald | |
| Trump neuerdings Mordpläne gegen seine Person. Nach Angaben der | |
| Welternährungsorganisation hungern 13 Prozent der Menschen in Venezuela, | |
| auch „Saudi-Arabien Südamerikas“ genannt. Medikamente fehlen, die | |
| Kindersterblichkeit ist rasant gestiegen. | |
| Aber während in Kuba zumindest die staatlichen Kontrollmechanismen | |
| funktionieren, herrscht hier eher Anarchie – ein Sinnbild der Krise. Denn | |
| die Misere hat auch mit diesem Absurdistan in der Karibik zu tun, hier in | |
| der Region La Guajira. Während die Gelder fehlen, um zum Beispiel genug | |
| Mehl zum Brotbacken einzuführen, wird das Benzin mit geschätzt bis zu zehn | |
| Milliarden US-Dollar im Jahr subventioniert. | |
| Normalbenzin kostet in Venezuela 9,5 Bolivares pro Liter. Der | |
| Schwarzmarktkurs für einen Euro beträgt derzeit rund 30.000 Bolivares. Das | |
| bedeutet, dass man für einen Euro rund 3.000 Liter tanken kann. Wasser ist | |
| um einiges teurer. Da das Land aber so daniederliegt, dass es nicht mehr | |
| genug Raffineriekapazitäten gibt, muss sogar Benzin aus dem Ausland | |
| eingeführt werden. Das kostet viel Geld. Geld, das für das Allernötigste | |
| der Menschen im Land fehlt. | |
| ## „Das ist kulturell bedingt“ | |
| Und hier am Grenzübergang Paraguachón wird das Benzin, das billigste der | |
| Welt, rüber nach Kolumbien geschmuggelt. Teuer subventioniertes Benzin, mit | |
| dem die Wayuu derzeit gutes Geld machen. Die Volksgruppe lebt in La Guajira | |
| seit Jahrhunderten in verstreuten Siedlungen und ist bekannt für ihr | |
| Kunsthandwerk – es gibt aber auch viele Probleme wie Alkoholismus. Bekannte | |
| fahren das Benzin von Maracaibo hierher, berichtet der Wayuu Franklin López | |
| (17), der das Benzin hinter der Grenze verkauft. Warum die Polizei nichts | |
| macht? „Das ist kulturell bedingt“, lacht er – die ganze Region hat etwas | |
| anarchisches. López lebt an der Straße in einer Hütte, die Schule hat er | |
| abgebrochen. | |
| Der alte, klapprige Chevrolet von Alfredo fährt in Maicao ein, der ersten | |
| größeren Stadt auf kolumbianischer Seite. Überall riecht es nach Benzin, | |
| Verkäufer haben Kanisterwände errichtet, Autos halten an. Mit dem Mund wird | |
| das Benzin angesaugt, dann strömt der goldgelbe Treibstoff aus den | |
| Kanistern in die Tanks. Daneben befinden sich Tankstellen, die vor sich | |
| hinrosten. Dutzende sind aufgegeben worden, weil keiner mehr dort tankt. An | |
| den mobilen Tankstellen der Wayuu gibt es den Liter für 400 kolumbianische | |
| Pesos (11 Cent), den Kanister mit 25 Litern für 10.000 (2,75 Euro). Immer | |
| noch unglaublich billig – auch dank der Inflation auf der anderen Seite der | |
| Grenze. | |
| Die Wayuu bekommen Konkurrenz durch die vielen geflüchteten Menschen aus | |
| Venezuela, die nun auch in das Benzingeschäft einsteigen. Der Schmuggel | |
| boomt, während aus der nur 120 Kilometer entfernten Stadt Maracaibo im | |
| August berichtet wurde, dass im Zoo zwei Pekaris (Nabelschweine) gestohlen | |
| worden seien, um sie zu töten und zu essen. | |
| ## Medikamente auf dem Schwarzmarkt | |
| Einer der „neuen“ Benzinhändler ist Ider Villalobos (20), der aus der | |
| Ölmetropole Maracaibo stammt. „Wir müssen ja irgendwas essen“, sagt er. B… | |
| zu 100.000 Pesos (27,50 Euro) am Tag verdient er. Durch die Krise sei die | |
| Benzinmenge massiv gestiegen – wegen der Inflation und dem wertlosen | |
| Bolivar versucht man damit kolumbianische Pesos zu verdienen. „Eine andere | |
| Arbeit finde ich hier nicht“, sagt Villalobos und saugt Benzin an. Er will | |
| mit dem Benzinhandel auch seine Eltern zu Hause über die Runden bringen. | |
| Der Schmuggel ist ein lukratives Geschäft. Millionen Liter sollen täglich | |
| über die Grenze wandern. | |
| Je weiter weg von der Grenze, desto teurer wird das Schmuggelbenzin, weil | |
| Kolumbiens Polizei außerhalb von Maicao mehr kontrolliert. In Maicao landen | |
| inzwischen auch viele Medikamente aus Venezuela auf dem Schwarzmarkt – | |
| während drüben Mütter verzweifelte Aufrufe im Internet machen, ob jemand | |
| noch Epilepsiemedikamente für die Tochter hat. | |
| Venezuelas Krise mit all ihren Absurditäten setzt sich hier fort. Aber die | |
| ganzen Schmuggelgeschäfte passen sich ein in die Geschichte La Guajiras: Es | |
| gibt hier eine gewisse Tradition mit illegalen Aktivitäten. Von 1974 bis | |
| 1980 machte die Gegend mit der „Bonanza de Marihuana“ Schlagzeilen, rund | |
| 19.000 Hektar Anbaufläche. Statt Geld zu zählen, wurde es gewogen, so viel | |
| wurde mit dem Marihuana-Anbau verdient. Damals roch es hier überall nach | |
| Gras – statt nach Benzin. | |
| 11 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Ismar | |
| ## TAGS | |
| Venezuela | |
| Benzin | |
| Kolumbien | |
| Schmuggel | |
| Venezuela | |
| Nicolás Maduro | |
| Venezuela | |
| Venezuela | |
| Venezuela | |
| Venezuela | |
| Venezuela | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Strom und Benzin in Kuba sind knapp: Der Ölfluss aus Venezuela lässt nach | |
| Die Lieferungen aus Venezuela sind um 20 bis 40 Prozent zurückgegangen. | |
| Kuba leidet unter der Wirtschaftskrise des sozialistischen Verbündeten. | |
| Kommentar Staatspleite in Venezuela: Wenn der Staat nicht investiert | |
| Der drohende Bankrott ist keine Überraschung: Die Regierung Maduro macht | |
| Wohlfahrtsprogramme für ihre Anhänger und schreckt Inverstoren ab. | |
| Venezuela fast zahlungsunfähig: Leere Supermärkte und Apotheken | |
| Für die Regierung in Caracas wird es immer schwieriger, neue Kredite zu | |
| bekommen. Auch die Sanktionen der US-Regierung greifen langsam. | |
| Venezuelas Regionalwahlen: Opposition beklagt Wahlbetrug | |
| Die Chavistas gewinnen die Gouverneurswahlen in Venezuela deutlich, obwohl | |
| die Umfragen einen Sieg des Oppositionsbündnisses vorausgesagt hatten. | |
| Gespräche zur Krise in Venezuela: Bereit für den Weg zum Dialog | |
| In Venezuela gibt es Hoffnung auf Gespräche zwischen Regierung und | |
| Opposition: Beide Seiten schicken Vertreter für ein Treffen in die | |
| Dominikanische Republik. | |
| Kolumne Latin Affairs: Zum Abschuss freigegeben | |
| „Hier spricht man nicht schlecht von Chávez“: Dieser Satz ist eine Drohung | |
| an alle, die sich in Venezuela dem Regierungsdiskurs verweigern. | |
| Schwierige Versorgungslage in Venezuela: Im Land der vergangenen Hoffnung | |
| Tausende müssen sich in Kolumbien mit den Dingen versorgen, die zu Hause | |
| nicht zu haben sind. Hilfe im Land kriegen nur Anhänger Maduros. |