# taz.de -- Al Gores neuer Klimawandel-Film: Eine allzu bequeme Wahrheit | |
> Wieder will Al Gore die US-Öffentlichkeit aufrütteln. In Zeiten von | |
> US-Präsident und Klimawandel-Leugner Trump ist das nötig. Gore scheitert | |
> dennoch. | |
Bild: Von Hurrikan „Irma“ geplagt: Miami lässt wegen des steigenden Meeres… | |
Sie haben die Wahl. Die Wahl zwischen Gut und Böse, zwischen Himmel und | |
Hölle, zwischen Vernichtung und Leben. Sie treffen die Wahl heute, hier und | |
jetzt. Wollen Sie wirklich auf der falschen Seite stehen? Wollen Sie schuld | |
sein an Hunderten Millionen von Menschen, die in Fluten ertrinken und in | |
Waldbränden ersticken, an toten Kindern, am Ende der Zivilisation? Falls | |
nicht, Sie können was dagegen tun: Kämpfen Sie gegen den Klimawandel. Sonst | |
stehen Sie auf der falschen Seite der Geschichte. | |
Das ist die Botschaft von Al Gore, von 1993 bis 2001 US-Vizepräsident unter | |
Bill Clinton. Gore, Spiritus Rector der Klimabewegung in den USA, ist | |
zurück. Vergangenen Donnerstag ist sein neuer Film in den deutschen Kinos | |
angelaufen, die Dokumentation „Immer noch eine unbequeme Wahrheit – Unsere | |
Zeit läuft ab“. Es ist ein Film, in der Gore vieles richtig und leider auch | |
vieles falsch macht. Es ist sein zweiter Versuch, insbesondere seinen | |
Landsleuten klarzumachen, dass die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel | |
steht, wenn wir die Erderwärmung nicht stoppen. | |
Den ersten Versuch unternahm Gore 2006 mit seinem oscarprämierten Film | |
„Eine unbequeme Wahrheit“ – dem Einspielergebnis nach die weltweit | |
dritterfolgreichste Dokumentation aller Zeiten. Ein Jahr später erhielt | |
Gore zusammen mit dem Weltklimarat IPCC den Friedensnobelpreis. | |
Der Film damals kam inmitten dunkler Zeiten für den Klimaschutz, während | |
der Regierungszeit von George W. Bush. Gore hatte gegen ihn die | |
Präsidentschaftswahl 2000 in der knappsten Wahl der US-Geschichte verloren: | |
Nach wochenlangem Gerichtsstreit und Nachzählungen holte Bush den | |
entscheidenden Staat Florida mit 537 Stimmen Vorsprung. 537 Stimmen, die | |
statt eines erklärten Kämpfers gegen die Erderwärmung einen erklärten | |
Leugner des Klimawandels zum Präsidenten machten. Gore hatte landesweit | |
mehr Stimmen, Bush mehr Wahlmänner. | |
Genau diese Konstellation brachte auch 2016 Donald Trump („Klimawandel ist | |
eine Erfindung der Chinesen“) statt Hillary Clinton („Als Präsidentin werde | |
ich mutige Ziele im Kampf gegen den Klimawandel setzen“) in das mächtigste | |
Amt der Welt. Das amerikanische Wahlsystem ist eine der größten Gefahren | |
für das Weltklima. | |
## Weltpolitiker in tiefem Entsetzen | |
Die Wahl Trumps platzte mitten hinein in die Produktionsphase der | |
Dokumentation, die Gore auf seinen Touren im Kampf gegen den Klimawandel | |
zeigt – in Indien, bei Polarwissenschaftlern, unter deren Forschungsstation | |
das Eis wegschmilzt, im aktuell „Irma“-geplagten Miami, das Straßen wegen | |
des steigenden Meeresspiegels höher legen lässt, auf dem Weltklimagipfel in | |
Paris. | |
Eine der eindrucksvollsten Szenen ist der Moment, in dem Gore von Hillary | |
Clintons Niederlage erfährt: Da sieht man einen Weltpolitiker, den tiefes | |
Entsetzen befällt. Die Idee des Films war eigentlich eine Botschaft der | |
Hoffnung: Weltklimavertrag 2015, weltweit rasanter Ausbau erneuerbarer | |
Energien. Und dann Trump. | |
Mittlerweile ist Gore zurück im Routinemodus: positiv denken, weitermachen. | |
Kürzlich weilte er in Berlin und sprach auch mit der taz, um seinen Film zu | |
promoten, aber auch als Botschafter desjenigen Teils der USA, die | |
Klimaschutz wollen. „Ja, es ist hart. Es wäre einfacher, die USA würden die | |
Welt im Klimaschutz anführen. Aber so ist es nun eben nicht. Wir müssen | |
einen anderen Weg finden“, sagt Gore. Seiner Analyse nach ist die Welt kurz | |
vor einem Kipppunkt, in dem Energieeffizienz und vor allem Solarenergie | |
ökonomisch so überlegen sind, dass Klimaschutz ein Selbstläufer wird. | |
Aber noch ist der Kampf nicht entschieden. In den USA sieht Gore eine | |
Demokratiekrise, die gelöst werden müsse, um auch Antworten auf die | |
Klimafrage zu finden. Seine Antwort darauf ist die Vision einer globalen | |
Bewegung für das Klima, in der Tradition der Bürgerrechts- und | |
Frauenrechtsbewegungen der USA. | |
Solche Bewegungen bilden sich aber nicht durch Klimadiagramme und | |
Temperaturkurven, auch wenn die in Gores Film reichlich vorkommen. Sondern | |
durch Unrechtsbewusstsein und Emotionen. Sein Film zeigt weinende syrische | |
Flüchtlingskinder und er sagt: Wenn ihr nichts macht, gibt es nicht | |
Millionen, sondern Hunderte Millionen Flüchtlinge und neue Kriege in | |
überbevölkerten Regionen, in denen sich die Menschen in ihrer Not | |
radikalisieren und um Wasser und Nahrung streiten. | |
Er zeigt Originalaufnahmen von Familien, die in ihren überfluteten Häusern | |
um ihr Leben kämpfen; die Bilder sind so dramatisch, man würde sie für | |
übertrieben halten, wären sie inszeniert. Und dann sieht man Donald Trump, | |
wie er vor seinen Anhängern scherzt: „Es ist kalt draußen, wir brauchen | |
mehr globale Erwärmung.“ Alle lachen. | |
## Misslungene Personalisierung | |
Gore setzt diesem tödlichen Zynismus ein humanistischen Glaubensbekenntnis | |
entgegen: Du Mensch, bist schuld, aber du Mensch, kannst es ändern, kannst | |
dich ändern. Es ist eine Sprache, die in Europa befremdlich wirkt – weil | |
sie keine Kompromisse mehr zulässt. Die Dokumentation wird zum Spiegel der | |
amerikanischen Gesellschaft in Zeiten Trumps. Ja oder nein. | |
Empirisch nachzuvollziehen in den Bewertungen, die der Film auf der | |
Internetplattform International Movie Data Base erhält. Auf einer Skala von | |
eins bis zehn haben drei Viertel der Abstimmenden der Doku entweder die | |
Bestnote zehn oder die schlechteste Wertung eins gegeben. Zwischentöne gibt | |
es fast keine. | |
Doch genau im Bemühen um Emotionalität macht Gore Fehler. Der erste ist die | |
misslungene Personalisierung. Wer nicht glühender Anhänger ist, der ist | |
nach einer halben Stunde von den Al-Gore-Festspielen schlicht genervt. Der | |
ehemalige US-Vize will zwar die weltweite Klimaschutzbewegung stärken, | |
dreht dann aber ein Film, in dem nicht ein einziger Protagonist dieser | |
Bewegung Raum bekommt – außer er selbst. Fast lächerlich wird es, als Gore | |
versucht, sich selbst als Retter des Klimagipfels von Paris zu inszenieren. | |
Der Film insinuiert, die entscheidende Hürde sei der Widerstand Indiens | |
gewesen und den habe Gore mit ein paar Anrufen wegtelefoniert – unter | |
anderem, in dem er das kalifornische Solarunternehmen Solar City zu einem | |
Technologietransfer nach Indien überredete. Immerhin verfügt Gore über | |
exzellente Kontakte, er ist nicht nur Exvizepräsident, sondern auch Partner | |
bei der Risikokapitalgesellschaft Kleiner Perkins Caufield & Byers, die | |
Geld in allen Unternehmen stecken hat, die im Silicon Valley Rang und Namen | |
haben. | |
Trotzdem ist die Darstellung im Film, wenn nicht unglaubwürdig, dann | |
zumindest übertrieben. Längst war 2015 mit dem Green Climate Fund ein | |
100-Milliarden-Dollar-Investitionsprogramm für Klimaschutzprojekte in | |
Entwicklungsländern beschlossen, inklusive Technologietransfer. Wer | |
Klimapolitik verfolgt, der weiß, dass es jahrelanger Verhandlungen | |
bedurfte, um Staaten wie Saudi-Arabien, Indien, China oder Venezuela (da | |
intervenierte sogar der Papst) vom Klimaschutz zu überzeugen – und Al Gore | |
allenfalls einer von vielen war, der dabei eine Rolle spielte. | |
## Die Ingenieure werden es richten? | |
Der zweite Fehler ist Gores im Prinzip gemütliche Botschaft: Ihr müsst zwar | |
vom Klimawandel überzeugt sein, die Lösung liefern dann aber Investitionen | |
in erneuerbare Energien. Die Ingenieure werden es schon richten. Das | |
Problem Überkonsum spart sich Gore in dem Film aus. Müssen wir nicht alle | |
weniger Fleisch essen, weniger fahren weniger fliegen, weniger konsumieren? | |
Gore, der eine Zeitlang vegan lebte, sagte in Berlin, das sei durchaus ein | |
Teil der Lösung. „Aber ich glaube auch, um eine Mehrheit aufzubauen, die | |
eine Lösung der Klimakrise unterstützt, ist es wichtig, auf die | |
Veränderungen zu fokussieren, die es Menschen ermöglichen, zu sauberen | |
Energien oder nicht verschmutzenden Transportmöglichkeiten zu wechseln.“ Im | |
momentanen Status zur Lösung der Klimakrise habe er sich dafür entschieden, | |
die Menschen nicht zu einer anderen Ernährung bekehren zu wollen. | |
Das sagt eben einiges darüber aus, wie Klimaschutz in den USA überhaupt | |
anschlussfähig ist. Als Mischung aus moralischem Appell, apokalyptischer | |
Drohung und einer Erfolgsgeschichte eines zu erwartenden grünen | |
Wirtschaftswunders. Welt retten ohne Konsequenzen sozusagen. | |
Das kann politisch klug sein. Erst alle überzeugen, die Bescheidenheit | |
kommt dann von selbst. Es kann aber auch ein historisches Irrtum sein, die | |
unbequeme Wahrheit nicht beim Namen zu nennen: Die Klimakrise ist die Krise | |
eines Wirtschaftssystems, das auf ewiges Wachstum und immer mehr Konsum | |
setzt. | |
11 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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