# taz.de -- Wirbelsturm „Irma“ in Florida: Festnahmegrund Hurrikan | |
> Florida ergreift drastische Maßnahmen: Flutretter führen Obdachlose in | |
> Handschellen ab, Papierlose fürchten sich vor dem Sturm und vor | |
> Abschiebung. | |
Bild: Bietet diesem Obdachlosen nur einen geringen Schutz vor dem Hurrikan: ein… | |
NEW YORK taz | „Wir wollen nur helfen“, sagten die Sozialarbeiter, | |
Psychiater und Polizisten, die vor der Ankunft von „Irma“ gemeinsam die | |
Straßen von Miami nach Obdachlosen durchkämmten. Gouverneur Rick Scott | |
hatte die Evakuierung angeordnet, weil die Stadt mit einer Überschwemmung | |
rechnete. | |
Mit denen, die auf den Straßen geblieben waren, mussten die staatlichen | |
Flutretter diskutieren. Manche ließen sich schließlich in die Schutzräume | |
bringen. Andere blieben bei ihrem prinzipiellen „Nein“. Mindestens sechs | |
Personen wurden in Handschellen abgeführt und in die Psychiatrie | |
zwangseingewiesen. | |
Das Baker-Gesetz erlaubt die Zwangsinternierung für eine „Begutachtung“, | |
wenn Menschen eine Gefahr für sich selbst darstellen. Erst 72 Stunden nach | |
der Einweisung muss ein Richter entscheiden. Im Fall von „Irma“ reichte | |
dieser Zeitraum bis Montag – genug, um den großen Sturm zu überbrücken. | |
„Ich will keine Selbstmordbriefe mit meinem Namen unterzeichnen“, | |
begründete der Sozialarbeiter Ron Brook gegenüber Journalisten die | |
Zwangsinternierung. Seine Gruppe, die auf den Straßen des Miami-Dade County | |
mit Obdachlosen arbeitet, war unterwegs, bis „Irma“ Windstärken von 72 | |
Stundenkilometern erreichte. Dann rückte sie nicht mehr aus. | |
Florida zieht wegen seines normalerweise milden Klimas Obdachlose aus allen | |
Teilen der USA an. Mehr als 40.000 Obdachlose leben insgesamt auf den | |
Straßen des Bundesstaats. Doch jenseits des Wetters ist Florida zugleich | |
der gefährlichste aller Bundesstaaten für Obdachlose. Es gibt dort mehr | |
individuelle Gewaltakte gegen Obdachlose als irgendwo sonst in den USA. | |
Auch die Behörden sind berüchtigt für ihren feindseligen Umgang mit | |
Obdachlosen. | |
## Papierlose haben doppelt Angst | |
So haben es elf Städte in Florida verboten, im öffentlichen Raum – wie | |
Parks – ohne behördliche Genehmigung Essen an Obdachlose zu verteilen. Erst | |
im vergangenen Januar wurden sieben Aktivisten der Gruppe „Food not Bombs“ | |
auf Grundlage dieses Verbots in Tampa festgenommen. | |
Eine andere – deutlich größere – Bevölkerungsgruppe in Florida, die wäh… | |
des Sturms doppelte Angst hatte, sind die Papierlosen. Mehr noch als den | |
Hurrikan und die Flutwellen fürchteten sie das Zugreifen der | |
Ausländerpolizei und eine mögliche Abschiebung. | |
Der Sheriff von Polk County, Grady Judd, verunsicherte sie zusätzlich, als | |
er kurz vor dem Sturm twitterte, am Eingang zu jedem Schutzraum würden | |
[1][„vereidigte Strafvollzugsbeamte“] stehen. In einem weiteren Tweet | |
kündigte er an, seine Beamten würden Gesetzesbrecher [2][„gern in den | |
sicheren Schutz des County Jails“][3][„gern in den sicheren Schutz des | |
County Jails“] bringen. Für zusätzliche Angst sorgte, dass auch das | |
Ministerium für die Heimatsicherheit und die auf Abschiebungen | |
spezialisierte Ausländerpolizei ICE an den Rettungsaktionen im Sturm | |
beteiligt waren. | |
Allein im südlichen Florida leben rund 450.000 Menschen ohne Papiere. Sie | |
stammen aus Lateinamerika und der Karibik – insbesondere aus Haiti – und | |
sie arbeiten in der Gastronomie, der Landwirtschaft und dem Bauwesen des | |
Bundesstaats. Sie leben in den ärmeren Teilen der Städte und sehr viele von | |
ihnen mieten Wohnwagen in den besonders überschwemmungsgefährdeten | |
Gebieten von Florida. | |
## Sogar aus dem Weißen Haus kommt Unterstützung | |
Sozialarbeiter, Einwanderungsaktivisten und Kirchenleute sind in den Tagen | |
vor dem Sturm von Wohnwagen zu Wohnwagen gegangen ist, um die Bewohner | |
davon zu überzeugen, in Schutzräume zu gehen. Was sie oft zu hören bekamen: | |
dass sich die Papierlosen zwischen „Irma“ und der befürchteten Abschiebung | |
entscheiden. | |
„Die Angst ist groß“, bestätigte die Nonne Ann Kendrick in Apopka gegenü… | |
Journalisten. Nachdem sich zuvor schon bei dem Sturm in Texas gezeigt | |
hatte, dass Papierlose aus Angst vor der Abschiebung nicht in Schutzräume | |
gegangen sind, versuchten in Florida im letzten Moment auch republikanische | |
Politiker, diese Menschen zu beruhigen. | |
Senator Marco Rubio versicherte, dass Papierlose keine Abschiebung | |
riskierten, wenn sie in einen Schutzraum gingen. Und der Bürgermeister von | |
Miami-Dade County, Carlos Gimenez, sagte ausdrücklich: „Jeder, der Schutz | |
sucht, ist willkommen.“ Selbst aus dem Weißen Haus kam Unterstützung für | |
die Papierlosen. Dort erklärte der Berater für die Heimatsicherheit, Tom | |
Bossert, wenn es um die „unmittelbare Lebensrettung“ gehe, müsse sich kein | |
Individuum wegen seines Einwanderungsstatus sorgen. | |
In Polk County rechtfertigte sich Sheriff Judd für seine Tweets: Er habe | |
ausschließlich die Sicherheit seiner Mitbürger im Sinn gehabt. „Ich hätte | |
nie gedacht, dass ich dafür kritisiert werden würde, dass ich meine Arbeit | |
tue.“ | |
11 Sep 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/PolkCoSheriff/status/905438093527928834 | |
[2] https://twitter.com/PolkCoSheriff/status/905438240278278144 | |
[3] https://twitter.com/PolkCoSheriff/status/905438240278278144 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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