| # taz.de -- Weniger Geflüchtete über das Mittelmeer: Mittelmeer statt Grenzen… | |
| > Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge in Italien sinkt. Eine Miliz in | |
| > Libyen hindert Migranten an der Abfahrt. Auch Hilfslieferungen aus | |
| > Italien tragen dazu bei. | |
| Bild: Ein Schlauchboot mit 129 Menschen auf der Flucht vor der Küste Libyens | |
| Tripolis/Rom dpa | Das Mittelmeer liegt ruhig in diesen Sommertagen, es | |
| gibt kaum Wellen zwischen der libyschen Küste und Italien. Die Wetterlage | |
| ist stabil. Normalerweise müssten jetzt täglich überfüllte Gummiboote mit | |
| Migranten ablegen – aber in Italien kommen derzeit kaum Flüchtlinge an. Im | |
| Vergleich zum Vorjahr sind die Zahlen im August um knapp 90 Prozent | |
| zurückgegangen. Während die libysche Küstenwache und die europäische | |
| Grenzschutzagentur Frontex die Zahlen vor allem als Erfolg der Behörden auf | |
| See verkaufen, sehen Experten die Gründe an der libyschen Küste selbst: | |
| Eine neue Miliz soll die Seiten gewechselt haben. Über die Gründe und die | |
| Rolle Italiens wird spekuliert. | |
| „Wir wissen aktuell nicht, was die Gründe für den Rückgang sind“, sagt | |
| Christine Petré, Sprecherin der Internationalen Organisation für Migration | |
| (IOM) für Libyen. Aber vor allem im Juli seien die Zahlen derjenigen | |
| Flüchtlinge, die in libyschen Gewässern von der Küstenwache aufgegriffen | |
| und zurückgebracht worden seien, stark zurückgegangen. „Es muss damit zu | |
| tun haben, dass weniger Flüchtlinge von der libyschen Küste ablegen.“ | |
| Die [1][Kleinstadt Sabratha] ist einer der Hauptausgangspunkte für | |
| Flüchtlinge in Libyen. Die Stadt liegt rund 70 Kilometer westlich der | |
| Hauptstadt Tripolis in Richtung der tunesischen Grenze. Italien und Europa | |
| sind hier besonders nah. Die Kulisse eines monumentalen, antiken Theaters | |
| prägt die Küstenlinie. | |
| „Seit einiger Zeit gibt es eine neue bewaffnete Gruppe in der Stadt, die | |
| offenbar dafür sorgt, dass die Schmuggler nicht mehr ablegen“, sagt Mattia | |
| Toaldo, Libyenexperte des European Council for Foreign Relations (ECFR), | |
| einer europäischen Denkfabrik. Es gebe Hinweise darauf, dass ein in der | |
| Region mächtiger Milizen- und Schmuggelchef die Seiten gewechselt habe, | |
| sagt Toaldo. „Vielleicht hofft er, mehr Einfluss zu bekommen, wenn er dafür | |
| sorgt, dass die Flüchtlinge nicht mehr ablegen.“ Ähnliche Entwicklungen gab | |
| es im vergangenen Jahr bereits in Sabrathas Nachbarstadt Suwara, als eine | |
| Art Bürgermiliz die Kontrolle in der Stadt übernahm und die Stadt so weit | |
| es ging von Menschenschmugglern befreite. | |
| ## Intervention „auf der anderen Seite“ | |
| In Italien freut sich die sozialdemokratische Regierung über die aktuellen | |
| Zahlen – auch vor dem Hintergrund, dass bis spätestens im kommenden | |
| Frühjahr gewählt werden muss. Und Migration ist dabei das Topthema, das | |
| rechten und ausländerfeindlichen Parteien Zulauf bringt. „Wir sind noch in | |
| einem langen Tunnel. Aber zum ersten Mal habe ich begonnen, Licht am Ende | |
| des Tunnels zu sehen“, sagte Innenminister Marco Minniti Mitte August. Er | |
| warnte jedoch zugleich, dass das „epochale“ Migrationsphänomen nicht gelö… | |
| sei. | |
| Der Rückgang der Flüchtlingszahlen wird auch auf das Engagement Italiens an | |
| Land zurückgeführt. Es sei sehr wichtig gewesen, auf „der anderen Seite“ | |
| des Mittelmeers zu intervenieren, sagte Minniti. „Wir haben uns auf Libyen | |
| konzentriert, es schien sehr schwierig, aber heute scheint es, als würde | |
| sich etwas bewegen.“ | |
| Unter anderem unterstützt Italien libysche Kommunen. Immer wieder werden in | |
| Rom Delegationen mit Bürgermeistern und lokalen Politikern aus allen | |
| Regionen Libyens empfangen. Auch Minniti war deshalb schon in Libyen. Den | |
| Kommunen soll mehr finanzielle Hilfe zukommen. Man wolle vor dem | |
| Hintergrund von Schlepperei Alternativen für Wachstum und Entwicklung | |
| bieten, hieß es jetzt in einer Erklärung. | |
| Vor einigen Tagen berichtete der Gemeinderat der Küstenstadt Sabratha stolz | |
| über neue Hilfslieferungen aus Italien. Ein C-130 Transporter der Luftwaffe | |
| stand mit geöffneter Ladeluke auf einem Flugfeld in Libyen, davor Vertreter | |
| des Gemeinderates. In der Ladeluke stapelten sich Kartons, in denen | |
| Medikamente für das Krankenhaus sein sollen. Auch der Fernsehsender der | |
| Nachbarstadt Suwara berichtete vor einigen Tagen über neue Hilfslieferungen | |
| aus Italien. | |
| ## Im Chaos des Bürgerkriegslandes festsitzen | |
| „Das ist schon länger die Strategie Italiens, die Kommunen dadurch zu | |
| unterstützen“, sagt Libyen-Experte Mattia Toaldo vom ECFR. „Traditionell | |
| hat Italien gute Geheimdienstnetzwerke in Libyen mit guten Kontakten zu | |
| Bürgermeistern.“ Wenn das bedeute, dass weniger Flüchtlinge im Mittelmeer | |
| ertrinken, halte er diese Strategie für sinnvoll. „Die Frage ist aber, was | |
| mit den Schmugglern passiert und ob sie nicht – wie schon einmal – andere | |
| Startpunkte suchen.“ | |
| Die Entwicklung bedeutet aber auch, dass die [2][Migranten im Chaos des | |
| Bürgerkriegslandes] und in teils unmenschlichen Zuständen festsitzen. Zwei | |
| Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen schlugen angesichts der | |
| Entwicklungen kürzlich Alarm: „Die Lösung kann nicht sein, den Zugang zu | |
| internationalen Gewässern zu verhindern“, kritisierten Felipe González | |
| Morales und Nils Melzer in einem Bericht. Die beiden Sonderberichterstatter | |
| drückten ihre Sorgen aus, dass die EU versuche, die europäischen Grenzen | |
| nach Libyen zu verlagern. | |
| Ein Expertengremium des UN-Sicherheitsrates legte ebenfalls vor kurzem | |
| einen fast 300 Seiten starken Bericht vor und zeigte darin auch die | |
| Verwicklungen zwischen Milizen, Schmugglern und der von europäischen | |
| Staaten unterstützten libyschen Küstenwache auf. | |
| „Italien und die EU dürfen sich an Menschenrechtsverletzungen nicht | |
| mitschuldig machen“, sagt die Fraktionsvorsitzende und migrationspolitische | |
| Sprecherin der Grünen im Europäischen Parlament, Ska Keller. „Italien muss | |
| offen legen, ob es Milizen unterstützt, die das Auslaufen von | |
| Flüchtlingsbooten verhindern, und ob EU-Gelder dabei im Spiel sind.“ | |
| Angesichts des Chaos in Libyen und der hunderten rivalisierenden Milizen | |
| fragen sich sowohl Experten als auch EU-Institutionen, wie lange die | |
| Überfahrten Richtung Europa noch auf solch einem niedrigen Stand bleiben. | |
| 28 Aug 2017 | |
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