| # taz.de -- Räumung einer Unterkunft für Geflüchtete: Asyl und obdachlos in … | |
| > Italien bietet Geflüchteten nicht automatisch Wohnraum. Die Räumung eines | |
| > Gebäudes entzweit die Gesellschaft und politische Institutionen. | |
| Bild: Die Polizei geht mit Wasserwerfern gegen die Flüchtlinge in Rom vor | |
| Rom taz | Im Morgengrauen rückten die Hundertschaften an. Auch den Tag | |
| hatten sie mit Bedacht gewählt: den 19. August, als ganz Rom in Urlaub war. | |
| Es galt ein Bürogebäude im Herzen der Stadt zu räumen, seit 2013 besetzt | |
| von mehr als 200 Äthiopiern und Eritreern. Die meisten sind anerkannt als | |
| Flüchtlinge, doch das nützt ihnen nichts. Wohnraum stellt der italienische | |
| Staat Flüchtlingen nicht zur Verfügung. | |
| Nur etwa 80 Personen, Familien mit kleinen Kindern vorneweg, war es vorerst | |
| gestattet worden, im ersten Stock des Gebäudes auszuharren. Und so saßen | |
| die Männer, Frauen, Kinder aus Afrika nach der Räumung wieder da, wo sie | |
| vor der Besetzung waren: auf der Straße. Genauer gesagt: auf der Piazza | |
| Indipendenza, dem Platz direkt vor dem Bürobau, in dessen Grünanlagen sie | |
| von nun an nächtigten. Doch auch das war den Behörden nicht recht. Am 24. | |
| August schickte die Polizei erneut ein Großaufgebot, diesmal, um den Platz | |
| frei zu machen. | |
| Die Platzräumung artete zur Straßenschlacht aus. Die Uniformierten machten | |
| von den Schlagstöcken und Wasserwerfern großzügigen Gebrauch, einer der | |
| Einsatzleiter brüllte: „Wenn einer was wirft, brecht ihm den Arm!“ | |
| Seitdem ist auch der Platz frei, die Migranten nächtigen verstreut über die | |
| Stadt. Einige haben ein Protestcamp errichtet. Nur ein paar hundert Meter | |
| vom Kolosseum entfernt haben sie dort unter einer Zeltplane ihre Isomatten | |
| ausgerollt. | |
| ## Tausende leben auf der Straße | |
| Seitdem ist aber auch die Stadt gespalten. Man kann es schon vor dem | |
| Protestcamp mit seinem Spruchband „Die Wohnung ist ein universelles Recht“ | |
| beobachten. Während die Touristen achtlos vorbeiziehen, hält eine junge | |
| Römerin inne, murmelt: „Die armen Schweine, das ist doch kein Leben …“ E… | |
| Minute später liefert ein akkurat gekleideter Mann eine andere Sicht der | |
| Dinge. „Kriminelle“ seien das, die erst zu einer illegalen Besetzung | |
| geschritten seien, „unsere Polizisten“ attackiert hätten, „und jetzt | |
| verlangen sie Gratiswohnraum von der Stadt!“ | |
| Der Riss verläuft auch zwischen den Institutionen. Bürgermeisterin Virginia | |
| Raggi vom Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) bedauert zwar, dass | |
| „Hunderte Männer, Frauen und Kinder ohne Dach überm Kopf auf der Straße | |
| stehen“. Doch bloß Frauen mit Kleinkindern, Behinderten, Alten unter den | |
| Flüchtlingen mag sie jetzt eine Unterbringung anbieten, so sei die | |
| Rechtslage. Schuld hätten die Region Latium und die nationale Regierung, | |
| beide unter Führung von Politikern der gemäßigt linken Partito Democratico | |
| (PD). | |
| Jahrelang, so Raggi, hätten Region und Regierung das Problem schleifen | |
| lassen. In der Tat: Spätestens seit den früheren 2000er Jahren leben allein | |
| in Rom Tausende Flüchtlinge und Migranten in besetzten Immobilien, oft ohne | |
| Strom, Heizung und Wasser. | |
| Dennoch spielte Regionsgouverneur Nicola Zingaretti den Vorwurf der | |
| Untätigkeit sofort an die Stadt zurück. Im letzten Mai habe der Latium der | |
| Stadt Rom 40 Millionen Euro für Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung | |
| gestellt. Kein Cent sei abgerufen, kein Plan vorgelegt worden. | |
| Krach gibt es aber auch in Raggis eigener Partei. Der Promi Luigi Di Maio | |
| feierte die Polizei und forderte, Flüchtlingen, die Gewalt gegen Polizisten | |
| verübt hätten, das Aufenthaltsrecht zu entziehen. Das wollte sein | |
| Parteifreund Roberto Fico nicht so stehen lassen. Der Abgeordnete bemerkte, | |
| ein Staat, der anerkannte Flüchtlinge auf die Straße setze, sei „ein Staat, | |
| der mich nicht repräsentiert“. | |
| 2 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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