# taz.de -- Die EU und Seenotrettung im Mittelmeer: Rettung, wo sonst niemand r… | |
> Nichtregierungsorganisationen retten Schiffbrüchige im Mittelmeer. Damit | |
> wollen sie Druck auf die EU aufbauen. Die aber zeigt sich unbeeindruckt. | |
Bild: Über Bord gefallene Flüchtlinge kämpfen vor der libyschen Küste ums �… | |
Sie rüsten auf: Jetzt, da die [1][Hochsaison der Flüchtlings-Überfahrten | |
auf dem Mittelmeer beginnt], geht eine „zivile Luftaufklärungsmission“ vor | |
Libyen an den Start. Ein Suchflugzeug, Typ Cirrus SR22, bezahlt vor allem | |
von der Evangelischen Kirche in Deutschland. Stationiert auf Malta und | |
benannt nach dem Zugvogel Moonbird. | |
Was das Flugzeug leisten kann, zeigte sich beim Testlauf am | |
Osterwochenende: Mit seiner Hilfe konnte ein vom Radar verschwundenes | |
Schlauchboot mit 150 Menschen wieder lokalisiert werden. „Moonbird“ ist das | |
neueste Projekt der privaten deutschen Seerettungs-NGO Sea Watch. Die hatte | |
erst kürzlich eine App präsentiert, mit der die Flüchtlinge Notrufe | |
absetzen können sollen. | |
Vor allem aber ist es die jüngste Etappe des moralischen Stellungskriegs an | |
der EU-Außengrenze. Seit Jahren gehen die Todeszahlen dort immer weiter | |
nach oben, die EU unterlässt es bis heute, mit der gebotenen Effektivität | |
dagegen vorzugehen. Ihre vor Ort kreuzenden Schiffe der Militärmission | |
EUNAVFOR MED haben einen anderen Auftrag. | |
Die Untätigkeit der EU hat eine ganze Branche neuer NGOs hervorgebracht, | |
die meisten stammen aus Deutschland. Private Gesellschaften zur Rettung | |
Schiffbrüchiger, die vor Ort sind, wo sonst niemand rettet. Keiner weiß, | |
wie viele weitere Menschen in den letzten Jahren ertrunken wären, gäbe es | |
sie nicht. | |
Ihre Arbeit soll praktische Hilfe sein, und gleichzeitig eine Anklage: Wir | |
sind hier, weil Europa seine Werte verrät, wissentlich und immer wieder. | |
Ihre Hoffnung dabei war, irgendwann, möglichst bald, überflüssig zu werden, | |
weil die Arbeit wieder von denen erledigt wird, die dafür zuständig sind: | |
Marine und Küstenwache. | |
## Kritik von Frontex | |
Doch so scheint es nicht zu kommen. Stattdessen übt sich die EU in | |
Umkehrung von Ursache und Wirkung. Die Arbeit der NGOs führe dazu, „dass | |
die Schleuser noch mehr Migranten als in den Jahren zuvor auf die | |
seeuntüchtigen Boote zwingen“, sagte Frontex-Direktor Fabricio Leggeri | |
kürzlich. | |
Aber die Menschen brechen nicht in Eritrea auf, weil ein Sea Watch-Schiff | |
vor Misrata liegt. Und dass die Schlepper ihre Praxis den neuen | |
Gegebenheiten anpassen ist nicht die Schuld der NGOs. „Wir sollten deshalb | |
das aktuelle Konzept der Rettungsmaßnahmen vor Libyen auf den Prüfstand | |
stellen“, fordert Leggeri dennoch. | |
Wer eine Vorstellung davon bekommen will, was er damit meinen könnte, der | |
sei daran erinnert, dass Frontex vor zwei Jahren Italien ganz unverblümt | |
aufgefordert hatte, nicht mehr nahe der libyschen Küste zu retten. | |
Druck gibt es auch von anderer Seite: Die italienische Justiz, so wird | |
gemunkelt, habe Ermittlungen wegen Schlepperei aufgenommen. Neu wäre das | |
nicht: So wollte sie schon 2003 die Cap Anamur und helfende tunesische | |
Fischer kleinkriegen. Die Zeiten, dachten viele, seien jetzt vorbei. | |
## Unesco-Friedenspreis für NGO | |
Österreichs zackiger, junger Außenminister Sebastian Kurz schließlich | |
spricht von einem „NGO-Wahnsinn“ und behauptet, dass Frontex wiederum | |
behaupte, dass manche der NGOs „mit Schleppern kooperieren“ – was Leggeri | |
so nicht gesagt hat. Für ihn sei die private Seenotrettung der „absolut | |
falsche Weg“, sagte Kurz. Sein Kollege aus dem Innenressort, Wolfgang | |
Sobotka, forderte am Donnerstag die „sofortige Sperre der Mittelmeerroute“ | |
– wie auch immer man sich dies praktisch vorstellen soll. | |
Die Vorschläge laufen darauf hinaus, die bisherige Strategie der EU zu | |
radikalisieren: Immer weiter sterben lassen und hoffen, dass irgendwann | |
keiner mehr nachkommt. | |
Insofern scheitern die NGOs bislang mit ihrem Plan, moralischen Druck | |
aufzubauen, um eine andere Politik zu erzwingen. [2][Für die praktische | |
Seite ihrer Arbeit bleibt der Bedarf so unverändert]. Der Rücken wird ihnen | |
dafür jetzt von der Unesco gestärkt: Sie vergab am Mittwoch an die NGO SOS | |
Méditerranée, gemeinsam mit Lampedusas Bürgermeisterin Giuseppina Nicolini, | |
ihren diesjährigen Friedenspreis. | |
21 Apr 2017 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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