# taz.de -- Kriegsgefahr in Asien: Die Logik der Eskalation | |
> Nordkorea treibt die Staatenwelt vor sich her. Die großen Mächte | |
> blockieren sich gegenseitig. Was tun? | |
Bild: Lebensversicherung Atombombe: Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un im Kreis … | |
Seoul/Peking/New York taz | Nach der Zündung einer mutmaßlichen | |
Wasserstoffbombe in Nordkorea wächst in Südostasien die Furcht vor einer | |
militärischen Auseinandersetzung. Südkoreas linksgerichtete Regierung | |
reagierte am Dienstag mit einer deutlichen Kurskorrektur: Bei der bisher | |
zweigleisigen Strategie von Präsident Moon Jae In – Dialog bei | |
gleichzeitigen Sanktionen – soll der Fokus künftig vor allem auf | |
militärischen Machtdemonstrationen liegen. | |
Das Seouler Verteidigungsministerium bat das verbündete Washington darum, | |
„strategische Waffensysteme“ der US-Amerikaner möglichst regelmäßig nach | |
Südkorea zu entsenden. Dass dies in einer permanenten Stationierung von | |
US-Atomwaffen münden könnte, stritt Verteidigungsminister Song Young Moo | |
allerdings ab. | |
Zudem kündigte Südkorea Militärmanöver mit Kampfflugzeugen an, bei denen | |
ein deutscher Rüstungsexport im Mittelpunkt steht: Taurus-Bomben, im | |
bayerischen Schrobenhausen hergestellt. Die sogenannten Bunkerbrecher | |
sollen auf bis zu 500 Kilometer Entfernung ihr Ziel präzise treffen. | |
Solche Maßnahmen bleiben dennoch letztlich symbolischer Natur. An dem | |
Kernproblem – Nordkoreas Atomprogramm – ändern sie freilich wenig: Um | |
Nordkorea durch Luftschläge zu denuklearisieren, müsste man zumindest die | |
genauen Standorte seines Arsenals kennen. Selbst US-Nuklearwaffen auf | |
südkoreanischem Boden wären rein symbolischer Natur, schließlich deckt der | |
atomare Schutzschild der Amerikaner Südkorea ohnehin bereits gründlich ab. | |
„Ich kann mir momentan kein Szenario vorstellen, in dem Nordkorea sein | |
Nuklearprogramm aufgeben würde“, sagt Andray Abrahamian, der als | |
Gastforscher beim Jeju Piece Forum residiert: „Die Führung unter Kim | |
vertraut weder den Chinesen noch den Amerikanern. Aus ihrer Sicht gibt es | |
nichts Besseres als ein Atomarsenal, um dem Staat die größtmögliche | |
Sicherheit zu geben.“ | |
## Die Option Sanktionen | |
Bleiben Sanktionen. Das Atomprogramm selbst werden sie zwar kaum verhindern | |
können, denn das essenzielle Know-how haben die hauseigenen Ingenieure | |
längst verinnerlicht. Wohl aber könnte ein vollständiger Lieferstopp | |
chinesischen Öls Nordkoreas Lebensader durchtrennen – und die gesamte | |
Wirtschaft unmittelbar zum Kollabieren bringen. Laut Meinungen vieler | |
Experten wäre dies jedoch ein überaus risikoreiches Unternehmen, | |
schließlich könnte sich Pjöngjang mit einem „atomaren Knall“ verabschied… | |
„Das wäre zwar in der Konsequenz selbstmörderisch, aber ganz ist das Risiko | |
nicht auszuschließen, dass Kim sich lieber für diese dramatische Option als | |
für einen langsamen Tod entscheiden wird“, meint Rüdiger Frank, Leiter des | |
Instituts für Ostasienwissenschaften an der Universität Wien. | |
Hinzu kommt: Die chinesische Führung scheint weiterhin nicht bereit, sich | |
entschieden hinter ein geschlossenes Vorgehen gegen Nordkorea zu stellen. | |
Den verschärften Wirtschaftssanktionen im UN-Sicherheitsrat im Juli hatte | |
China zwar zugestimmt. Sie hätten, in die Tat umgesetzt enorme | |
Auswirkungen, denn 90 Prozent des nordkoreanischen Außenhandels laufen über | |
China. Doch der chinesisch-nordkoreanische Handel ist nur offiziell | |
gestoppt. Augenzeugen im Grenzgebiet berichten, dass weiter Lieferwagen gen | |
Nordkorea fahren. | |
Westliche Diplomaten in Peking glauben denn auch nicht, dass die | |
chinesische Führung den Zusammenbruch des Regimes in Pjöngjang riskieren | |
will – zu groß ist Pekings Furcht, dass US-Truppen einmarschieren könnten | |
und diese dann unmittelbar vor der chinesischen Grenze stehen würden. China | |
hält Washingtons Einfluss in der Region jetzt schon für zu groß. | |
Dabei macht die chinesische Führung keinen Hehl daraus, dass ihr Nordkoreas | |
jüngste Provokationen äußerst ungelegen kommen. China hat am Montag das | |
Vorgehen des einstigen Bruderstaats erneut und deutlich verurteilt. Der | |
Regierung in Pjöngjang sei deutlich gemacht worden, dass China den | |
neuerlichen Atomtest missbillige, versicherte ein Sprecher des chinesischen | |
Außenministeriums. | |
## Nur der falsche Zeitpunkt? | |
Trotzdem bekommt man in Peking den Eindruck, dass das Regime sich gar nicht | |
so sehr an Nordkoreas Test an sich stört, sondern vor allem am Zeitpunkt. | |
China ist derzeit Gastgeber des Gipfels der Brics-Staaten, den fünf | |
führenden Schwellenländern Brasilien, Russland, Indien, China und | |
Südafrika. Ihre Regierungschefs haben sich am Sonntag für drei Tage in der | |
südchinesischen Stadt Xiamen zusammengefunden. Die Konferenzthemen sollten | |
eigentlich eine engere wirtschaftliche Kooperation der Schwellenländer und | |
Freihandel sein. Dass Nordkorea nun seinen Schatten auf den Gipfel wirft, | |
kommt den Chinesen gar nicht gelegen. | |
Geht es nach dem Willen Chinas, soll es in der Abschlusserklärung des | |
Gipfels denn auch lediglich einen Absatz geben, in dem Nordkoreas | |
Nukleartest „aufs Schärfste verurteilt wird“ – ganz am Ende im 44. Absat… | |
Russland und den anderen drei Brics-Staaten scheint das zu genügen. | |
Russlands Vize-Außenminister rang sich auf dem Gipfel auch nur zu einer | |
Äußerung durch, die sich nicht allein gegen Nordkorea richtet, sondern | |
„alle Beteiligte“ zu „mehr Besonnenheit“ aufruft. | |
## Ist Krieg eine Option? | |
Unterdessen warf US-Präsident Donald Trump den Machthabern in Peking vor, | |
ihre Politik gegenüber Nordkorea sei gescheitert. US-Finanzminister Steven | |
Mnuchin verschärfte den Druck zusätzlich mit der Ankündigung, man erwäge, | |
den Handel mit sämtlichen Ländern zu stoppen, die Handel mit Nordkorea | |
betrieben. Das wiederum stieß prompt auf den Protest Chinas. | |
Bislang ist Trumps Drohdiplomatie gescheitert. Trotz oder gerade wegen | |
seiner Drohung, dass er „Feuer und Wut“ über Nordkorea verbreiten lassen | |
könnte, hat sich das Regime Kim Jong Un unbeeindruckt gezeigt. Nach dem | |
jüngsten Bombentest ließen sich der US-Präsident und sein Vize Mike Pence | |
von ihren Spitzenmilitärs unterrichten. Bei der Sitzung wurden wieder | |
einmal sämtliche militärischen Optionen erwogen. | |
Verteidigungsminister James Mattis erklärte anschließend: „Wir werden auf | |
jede Drohung gegen uns – inklusive gegen Guam und gegen unsere Alliierten – | |
mit massiver militärischer Reaktion antworten.“ Er fügte hinzu, dass die | |
USA die „totale Vernichtung Nordkoreas“ nicht beabsichtigten, aber dass sie | |
„viele Möglichkeiten hätten, dies zu tun“. | |
## Auf Trump-Linie | |
Mattis ist, genau wie Trumps Berater für die nationale Sicherheit und sein | |
Stabschef im Weißen Haus, ein Karrieregeneral. Sie sind diejenigen, die den | |
Umgang mit Nordkorea bestimmen. Nach Trumps Feuer-und-Wut-Rede hatte sich | |
Mattis zusammen mit Außenminister Rex Tillerson noch auf die Suche nach | |
diplomatischen Lösungen gemacht. Dieses Mal war Mattis’ Ton stärker auf der | |
Trump-Linie. | |
Trump selbst steht acht Monate nach seinem Amtsantritt das Wasser bis zum | |
Hals. Er ist mit zahlreiche Krisen im Inneren wie im Äußeren konfrontiert. | |
Am Sonntag, als Trump vor einer Kirche gefragt wurde, was er in Nordkorea | |
tun werde, sagte er nur: „Ihr werdet sehen.“ – „Alle Optionen sind auf … | |
Tisch. Er ist der Führer der freien Welt“, sagte seine Beraterin Kellyanne | |
Conway im Fernsehen. | |
Zahlreiche Spitzenmilitärs und Diplomaten in den USA warnen vor einer | |
militärischen Konfrontation mit Nordkorea. Diese würde, darin sind sich vom | |
Ex-Chef von CIA und NSA, Michael Hayden bis hin zu dem Republikaner Ted | |
Cruz, alle einig, das Leben Tausender Zivilisten kosten. | |
## Den Atomstaat akzeptieren | |
Kurzfristig gibt es wohl keine Lösung, um aus der Eskalationsspirale | |
herauszukommen. Mittelfristig wäre zumindest denkbar, dass Nordkorea – | |
sollte es die Krise durchstehen – allmählich, wenn auch äußerst | |
widerwillig, als Atomstaat akzeptiert wird. Dass dies nicht abwegig ist, | |
zeigt ein Blick auf die Atommächte Indien und Pakistan. | |
Zwar könnte sich Nordkorea durchaus beflügelt fühlen, seinen militärischen | |
Provokationskurs nun noch stärker voranzutreiben. Einige Beobachter gehen | |
jedoch vom genauen Gegenteil aus, nämlich dass Kim Jong Un dann vorerst | |
Ruhe gibt. Ihre Annahme fußt darauf, dass der Diktator begriffen haben | |
könnte, dass auch er unter Druck steht, um seine desolate Wirtschaft zu | |
modernisieren. Wenn der versprochene materielle Fortschritt nämlich | |
ausbleibt, riskiert der Staat eine wachsende Opposition von innen, die für | |
die Parteielite in Pjöngjang ebenso gefährlich werden kann wie ein | |
Militärschlag von außen. | |
Damit die Wirtschaft in der Privatdiktatur Kim Jong Uns florieren kann, | |
braucht es jedoch eine Lockerung der Sanktionen – oder zumindest eine | |
laxere Umsetzung. „Wenn Nordkorea wirklich für ein paar Jahre von der | |
medialen Bildfläche verschwindet, dann wird es nicht mehr darum gehen, jede | |
Schiffsfracht mit Meeresfrüchten aus Nordkorea streng zu kontrollieren“, | |
sagt Nordkorea-Experte Andray Abrahamian. | |
4 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
Felix Lee | |
Dorothea Hahn | |
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