| # taz.de -- Gericht entscheidet über Abschiebung: Gefährder ohne Chance | |
| > Die deutsche Justiz hat die Möglichkeit zur Schnellabschiebung bei | |
| > „terroristischer Gefahr“ akzeptiert. Den Behörden passt das gut. | |
| Bild: Gängige Praxis: Deutsche Gerichte finden es okay, Menschen abzuschieben,… | |
| Freiburg taz | An diesem Dienstag entscheidet das Bundesverwaltungsgericht | |
| erstmals in der Hauptsache, ob Gefährder aus Deutschland im | |
| Schnellverfahren abgeschoben werden können. Mit Überraschungen ist nicht zu | |
| rechnen, die deutsche Justiz hat das Verfahren längst akzeptiert. | |
| Schon seit dem Jahr 2004 gibt es die Möglichkeit, gefährliche Ausländer | |
| sofort abzuschieben, auch wenn sie eigentlich ein Aufenthaltsrecht haben. | |
| Erforderlich ist eine „terroristische Gefahr“, so Paragraf 58a des | |
| Aufenthaltsgesetzes. Von dieser Möglichkeit wurde aber wohl nie Gebrauch | |
| gemacht, da die Hürden für den Nachweis als unerreichbar hoch galten. | |
| Erst der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) nutzte das | |
| Instrument offensiv. Im Februar erließ er zwei Abschiebungsanordnungen | |
| gegen Göttinger Islamisten. In einem Eilbeschluss billigte im März das | |
| Bundesverwaltungsgericht das Vorgehen und definierte die Schwelle der | |
| terroristischen Gefahr ziemlich niedrig. Es genüge ein „beachtliches | |
| Risiko“, dass der Ausländer einen terroristischen Anschlag verübt. | |
| Letztlich reichen eine islamistische Gesinnung plus eine vage | |
| Gewaltbereitschaft. | |
| Die Richter rechtfertigen dies damit, dass sich ein Terroranschlag „ohne | |
| großen Vorbereitungsaufwand und mit allgemein verfügbaren Mitteln jederzeit | |
| und überall verwirklichen“ lasse. Wenn im Herkunftsstaat die Gefahr von | |
| Folter drohe, müsse allerdings eine Zusicherung der dortigen Regierung | |
| eingeholt werden, dass der Abgeschobene nicht unmenschlich behandelt wird. | |
| Ende Juli erklärte das Bundesverfassungsgericht in zwei Fällen den | |
| Paragrafen 58a für grundgesetzkonform. Dabei ging es allerdings vor allem | |
| um die Entstehungsgeschichte im Vermittlungsausschuss von Bundestag und | |
| Bundesrat. Außerdem sei der Bezug auf eine „terroristische Gefahr“ bestimmt | |
| genug; die Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts wurde bestätigt. Es | |
| spielte in Karlsruhe so gut wie keine Rolle, dass einer der Kläger, ein | |
| 18-Jähriger Dagestan-Russe, in Deutschland aufwuchs und fast sein gesamtes | |
| Leben hier verbrachte. | |
| Nach dieser Rückendeckung aus Karlsruhe sind die beiden | |
| Hauptsache-Verfahren, die an diesem Dienstag beim Bundesverwaltungsgericht | |
| durchgeführt werden, wohl Formsache. Die beiden Islamisten aus Göttingen | |
| können eh nicht teilnehmen, sie wurden bereits nach Algerien und Nigeria | |
| abgeschoben. | |
| Insgesamt haben sieben Betroffene gegen ihre 58a-Abschiebungsanordnungen | |
| beim Bundesverwaltungsgericht geklagt, das in einziger Instanz entscheidet. | |
| Vier Klagen wurden im Eilverfahren bereits abgelehnt, drei weitere sind | |
| noch anhängig. | |
| ## Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte angerufen | |
| Inzwischen gehen aber nicht mehr alle Betroffenen nach Leipzig. Vorige | |
| Woche wurden zwei bosnische Gefährder aus Mecklenburg-Vorpommern | |
| abgeschoben – eine Klage beim Bundesverwaltungsgericht hielten sie für | |
| verzichtbar. | |
| Vorläufigen Erfolg hatte Anfang August nur der 18-jährige Dagestan-Russe. | |
| Nach der Ablehnung beim Bundesverfassungsgericht rief er auch noch den | |
| Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an. Dieser bat dann | |
| überraschend um einen Aufschub der Abschiebung, um den Fall gründlich | |
| prüfen zu können. Dabei dürfte es aber wohl vor allem um die Frage gehen, | |
| ob der 18-Jährige ohne eine Zusicherung der russischen Regierung, dass er | |
| dort rechtsstaatlich behandelt wird, abgeschoben werden kann. Auf die | |
| Straßburger Entscheidung wartet der 18-Jährige in Bremer Haft. | |
| 22 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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